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Seenotrettung: Was Seehofers Malta-Einigung wert ist

Wieder mussten Retter tagelang auf dem Mittelmeer ausharren, ehe sie in Italien anlegen durften. Dabei hatte Horst Seehofer vor sechs Wochen eine Vereinbarung getroffen, die das ändern sollte. Was ist aus seinem vermeintlichen Erfolg geworden?

Seenotretter
Das Rettungsschiff »Alan Kurdi« im Hafen von Tarent in Apulien. Foto: Renato Ingenito/ANSA/dpa
Das Rettungsschiff »Alan Kurdi« im Hafen von Tarent in Apulien. Foto: Renato Ingenito/ANSA/dpa

Berlin/Brüssel (dpa) - Horst Seehofer scheut sich nicht vor großen Worten. Nachdem er sich im September mit seinen Kollegen aus Frankreich, Italien und Malta auf ein Verfahren bei der Seenotrettung geeinigt hatte, rief er nicht weniger als eine »Bewährungsprobe für die Europäische Union« aus.

Und weil bei dem Thema zuvor monatelang nichts vorangegangen war, befand der deutsche Innenminister (CSU), die Bewährungsprobe sei zumindest fürs Erste bestanden. »Jetzt müssen wir schauen, dass wir das in den nächsten Monaten bestätigen.« Sechs Wochen ist das am Montag her - ist seitdem tatsächlich etwas vorangegangen?

Die jüngsten Fälle der Seenotrettung lassen daran zumindest Zweifel aufkommen. Dabei war die Malta-Einigung vom 23. September ohnehin nicht mehr als der kleinste gemeinsame Nenner von vier Staaten mit disparaten Interessen. Malta, Italien und Frankreich waren nicht bereit, feste Quoten zuzusagen, aus dem Kreis der EU schloss sich bislang kein weiteres Land öffentlich der Vereinbarung an. Staaten wie Irland, Portugal und Luxemburg hatten sich zuvor allerdings immer wieder an der Aufnahme von Bootsmigranten beteiligt - nur eben von Fall zu Fall und nicht nach fester Quote.

Denn politisch ist das Thema für fast jede Regierung brisant. Auch Seehofer hat die Malta-Vereinbarung heftigen Ärger in der Heimat eingebracht, vor allem in der Union. Dabei geht es nur um einen sehr kleinen Teil der Migranten, die nach Europa gelangen - nämlich jene, die auf dem zentralen Mittelmeer gerettet werden. Seehofer verweist stets auf die sehr überschaubaren Zahlen: Von Juni 2018 bis Mitte Oktober 2019 kamen nicht einmal 230 Bootsmigranten nach Deutschland.

Der große Gewinn der Malta-Einigung sollte sein, dass Rettungsschiffe mit Migranten an Bord nicht mehr tage- und wochenlang darauf warten müssen, bis Malta und Italien ihnen einen sicheren Hafen zuweisen. Immerhin, in der so festgefahrenen europäischen Migrationspolitik wäre das ein Fortschritt. Anfang Oktober sagte Seehofer beim Treffen der Innenminister, die Einigung sei seit dem 23. September in Kraft: »Wenn ein Schiff vor der italienischen Küste erscheinen würde, würden wir nach dieser Vereinbarung von Malta verfahren.«

Doch dann rettete die »Ocean Viking« am 18. Oktober 104 Menschen vor der libyschen Küste - und wartete und wartete und wartete. Erst nach zwölf Tagen wiesen die italienischen Behörden dem Schiff am Dienstag einen sicheren Hafen zu. Ähnlich erging es der deutschen »Alan Kurdi«, die am 26. Oktober Dutzende Migranten gerettet hatte. Erst gut eine Woche später durfte das Schiff in Italien anlegen. Am Sonnag gingen die Menschen schließlich in Tarent in Süditalien an Land.

Entsprechend groß ist die Kritik an Seehofers vermeintlichem Erfolg von Malta: »Offensichtlich gibt es da gar kein Abkommen, das sind alles Lippenbekenntnisse«, sagt Gorden Isler, Sprecher der Hilfsorganisation Sea Eye. Und der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt sagt: »Das scheint mehr eine Pressekonferenz als eine Lösung gewesen zu sein.« Auch er habe die Einigung im September zunächst begrüßt. Letztlich habe Seehofer den Mund aber zu voll genommen.

Dabei lief es nach der Malta-Einigung zunächst gut. Zwei Mal durfte die »Ocean Viking« recht zügig einen italienischen Hafen ansteuern. Aber warum greift die Vereinbarung schon wenige Wochen später nicht mehr? Warum mussten die »Ocean Viking« und die »Alan Kurdi« so lange warten, ehe sie in einen Hafen einlaufen durften?

Im Fall der »Ocean Viking« habe Italien sich an einem langen Aufenthalt des Schiffs in libyschen Gewässern gestört, hieß es Anfang der Woche aus Teilnehmerkreisen des G6-Innenministertreffens in München. Dies böte einen Anreiz für Schlepper, Boote mit Migranten aus Libyen loszuschicken. Seine italienische Amtskollegin Luciana Lamorgese habe erklärt, sie beobachte die Lage vor Libyen sehr genau, sagte Seehofer. »In dem Moment, wo das nicht mehr Seenotrettung ist, sondern ein Taxidienst, wird hier ein Punkt gesetzt. Aber der ist im Moment nicht erreicht.«

Zudem soll die Wahl im italienischen Umbrien eine Rolle gespielt haben. Die regierenden Parteien der linken Mitte wollten womöglich keine Wahlkampfhilfe für die rechte Lega liefern und ausgerechnet kurz vor der Wahl die Einfahrt in einen Hafen erlauben. Falls dies das Kalkül war, ging es nicht auf: Die Kandidatin der Lega gewann am Sonntag die absolute Mehrheit der Stimmen. Ob die Malta-Einigung wirklich greift, muss sich also noch erweisen.

Seehofer und andere europäische Innenminister treibt die Sorge um, sie könnten die unregulierten Flüchtlingsbewegungen nach Europa durch eigenes Zutun verstärken. Sie verweisen auf kriminelle Schlepper und Schleuser, die ihre Kunden ausnehmen und in Lebensgefahr bringen. Die Seenotretter stehen bei manchen Ministern unter Verdacht, mit libyschen Schleusern zusammenzuarbeiten.

Deshalb hat Seehofer sich unlängst auch für einen Verhaltenskodex für Seenotretter ausgesprochen. Details nannte er nicht - trotzdem stößt er schon auf Widerstand: »Wir sehen bei uns kein Fehlverhalten«, sagt Isler von Sea Eye. Die Seenotretter hielten sich ohne Abstriche an internationale Gesetze - und machten da auch keine Zugeständnisse. Eine Absprache etwa, wonach die Rettungsschiffe nur eine gewisse Zeit vor der libyschen Küste verweilen, sei unvorstellbar.

Gorden Isler auf Twitter