WASHINGTON. Wenn es noch eines Beweises bedarf, wie tief Amerika gespalten ist, dann liefert diesen Beleg die Rede von US-Präsident Donald Trump zur Lage der Nation. Hinter Trump sitzt die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, die Gastgeberin Nancy Pelosi.
Der Republikaner schüttelt seiner demokratischen Kontrahentin nicht die ausgestreckte Hand. Pelosi dankt es ihm, indem sie nach der Ansprache und hinter Trumps Rücken vor laufenden Kameras dessen Redemanuskript zerreißt.
VOR DEM FREISPRUCH
Pelosi hat im September das Amtsenthebungsverfahren gegen Trump in die Wege geleitet. Am Dienstag ist Trump nach Bill Clinton im Jahr 1999 erst der zweite Präsident, der sich in der »State of the Union« an die Nation wendet, während gegen ihn ein solches Verfahren läuft. Mit keinem Wort erwähnt Trump das Impeachment, das seit Monaten nicht nur die Schlagzeilen, sondern auch sein Leben dominiert. Trump weiß: Er mag im Senat noch unter Anklage stehen, doch bis zu seinem Freispruch an diesem Mittwoch sind es nur noch Stunden.
Der Präsident hat es im Impeachment-Verfahren geschafft, seine Republikaner bei der Stange zu halten - womit er wieder einmal bewiesen hat, wie sehr er die Partei unter seine Kontrolle gebracht hat. Den Freispruch wird der 73-Jährige als Triumph über die Demokraten feiern. Ohnehin hat Trump neun Monate vor der Präsidentschaftswahl einen ziemlichen Lauf.
TRUMP IM UMFRAGEHOCH
Kurz vor Trumps Rede zur Lage der Nation erscheint am Dienstag eine Umfrage des renommierten Instituts Gallup, die dem Präsidenten Zustimmungswerte von 49 Prozent bescheinigt - die höchsten in einer Gallup-Umfrage seit Trumps Amtsantritt vor gut drei Jahren, und das trotz des Impeachment-Verfahrens. Die Umfrage zeigt allerdings auch, wie polarisiert Amerika unter Trump ist: Bei Republikanern genießt er Zustimmungswerte von 94 Prozent, bei Demokraten sind es gerade einmal 7 Prozent. Das ist die größte Kluft, die Gallup je verzeichnet hat.
Am Podium im Repräsentantenhaus, vor den Augen der Nation, zählt Trump auf, was er seit seiner Ansprache vor einem Jahr alles unter seinen Erfolgen verbucht hat: Unter anderem hat der Präsident das Nordamerika-Freihandelsabkommen USMCA durchgebracht und ein Handelsabkommen mit China abgeschlossen. Trump ließ den iranischen Top-General Ghassem Suleimani und IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi töten. Seine umstrittene Mauer an der Grenze zu Mexiko lässt er gegen den erbitterten Widerstand der Demokraten bauen. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosenquote ist historisch niedrig.
DER MACHER UND DIE »DO NOTHING DEMOCRATS«
Das ist der Kontrast, den Trump zeichnen will: Auf der einen Seite der Präsident als unbeirrter Macher, der Amerika voranbringt. Auf der anderen Seite die »Do Nothing Democrats« (sinngemäß: Die Demokraten, die nichts tun), wie Trump seine Kontrahenten regelmäßig nennt: Fanatische linksradikale Blockierer, die den Kongress mit einem Amtsenthebungsverfahren lahmlegen, das Trump und seine Unterstützer von vornherein als »Hexenjagd« abgetan haben.
DIE VORWAHL-BLAMAGE DER DEMOKRATEN
Und dann noch das Debakel der Demokraten in Iowa: Erst am Nachmittag nach der ersten Vorwahl im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur schaffen sie es am Dienstag, zumindest Teilergebnisse vorzulegen - während das ganze Land auf diese Resultate wartete. Trump-Anhänger spotten, die Demokraten wollten das Weiße Haus übernehmen, könnten aber nicht einmal ihre parteiinternen Wahlen organisieren.
Es ist eine gigantische Blamage für die Partei, die einen Programmier-Fehler in einer App zur Übertragung der Resultate für das Fiasko verantwortlich machte. Da hilft es auch nichts, dass der Chef der Demokraten in dem Bundesstaat, Troy Price, am Dienstag zerknirscht vor die Medien tritt, sich entschuldigt und einräumt, die Verzögerung sei »inakzeptabel«.
WER DEN SCHADEN HAT...
Trump lässt sich die Steilvorlage natürlich nicht entgehen: Der Präsident - der sich in der Russland-Affäre zu unrecht von den Demokraten verfolgt sah - fragt in einem vor Spott triefenden Tweet, wann die Demokraten wohl Russland für das Wahldesaster verantwortlich machen würden - statt ihre eigene Unfähigkeit. Er spricht von einer »totalen Katastrophe«: Nichts funktioniere, wie zu der Zeit, als die Demokraten das Land regierten. Der einzige, der einen »sehr großen Sieg« in Iowa für sich reklamieren könne, sei er selber.
FAST ALLE FÜR TRUMP
Während die Vorwahl der Demokraten in Iowa im Chaos versank, lief die der Republikaner am Montagabend reibungslos ab. Nach nicht einmal drei Stunden veröffentlichten sie das Ergebnis, das als weiterer Beleg für die gigantische Unterstützung Trumps in der Partei dient: Auf mehr als 97 Prozent der Stimmen kam der Amtsinhaber, seine beiden Herausforderer lagen bei jeweils etwas mehr als 1 Prozent.
Die Demokraten präsentieren am Dienstag zunächst Teilergebnisse nach Auszählung von 62 Prozent der Wahlbezirke, die begrenzte Aussagekraft haben - wann ein Endergebnis vorliegt, dazu kann Parteichef Price nichts sagen. Für den Schwung, den der Sieger in Iowa traditionell für seinen Wahlkampf davonträgt, ist es ohnehin längst zu spät. Die Wahlparties der Kandidaten in Iowas Hauptstadt Des Moines sind ergebnislos abgefeiert, die Bewerber längst nach New Hampshire weitergereist, wo kommenden Dienstag die nächste Vorwahl ansteht.
EX-VIZEPRÄSIDENT BIDEN »NIEDERGEWALZT«?
In Führung liegt in Iowa überraschend der frühere Bürgermeister von South Bend in Indiana, Pete Buttigieg, der einen fulminanten Wahlkampf veranstaltet hat. Aber könnte es ein 38-Jähriger ohne Erfahrung in Washington mit Trump aufnehmen? Und ist ein Kandidat, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt, für die vielen konservativen Amerikaner wählbar? Zweitplatziert ist bislang Senator Bernie Sanders (78) - wären die USA wirklich bereit für einen Präsidenten, der sich zum »demokratischen Sozialismus« bekennt? Trump warnt am Dienstag in seiner Rede: »Sozialismus zerstört Nationen.«
Viele Demokraten rechneten dem moderaten Ex-Vizepräsidenten Joe Biden die größten Chancen aus, Trump zu schlagen. Der einstige Hoffnungsträger - von Trump als »Sleepy Joe« (schläfriger Joe) verspottet - kommt nach den Teilergebnissen aber nur auf den vierten Platz in Iowa. Im Wahlkampf dort war dem 77-Jährigen sein Alter - wie so oft in den vergangenen Monaten - deutlich anzumerken. Trumps Wahlkampfteam spottete in einer Mail am Dienstag: »Ein verrückter Sozialist und ein ehemaliger Kleinstadt-Bürgermeister haben gerade den ehemaligen Vizepräsidenten niedergewalzt.«
»GENAU EINE CHANCE, TRUMP ZU BESIEGEN«
Bei den Wahlparties in Des Moines gaben sich die Kandidaten trotz des Debakels um die Auszählung kämpferisch. »Wir haben genau eine Chance, Donald Trump zu besiegen«, rief Buttigieg unter dem Jubel seiner Anhänger. Und Sanders sagte: »Heute wurde der Anfang vom Ende Donald Trumps markiert, des gefährlichsten Präsidenten in der modernen amerikanischen Geschichte.« Am Wahltag, dem 3. November, wird sich herausstellen, ob es sich dabei um Wunschdenken gehandelt hat.