Berlin (dpa) - Das Beben in der SPD wird zur Belastungsprobe für die große Koalition. Die designierten Parteichefs der Sozialdemokraten, Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, wollen neue Vereinbarungen mit CDU und CSU treffen.
Fordert die SPD Dinge, die für die Union nicht hinnehmbar sind? Es gibt auch aus Sicht der Union durchaus Bedarf für neue Akzente. Das sieht der Vertrag sogar vor: Zur Mitte der Legislaturperiode werde man entscheiden, ob »aufgrund aktueller Entwicklungen neue Vorhaben vereinbart werden müssen«, heißt es dort. Was sind die großen Themen? Ein Überblick:
INVESTITIONEN:
Nach langen Jahren des Aufschwungs hat sich die Konjunktur in Deutschland merklich abgekühlt. Vor allem die exportstarke deutsche Industrie wird belastet von einer schwächeren Weltwirtschaft, internationalen Handelskonflikten und dem unklaren Brexit-Ausgang. Wichtige Branchen wie die Automobilindustrie sind außerdem mitten in schwierigen Umbrüchen. Die Hauptstütze des Wirtschaftswachstums in Deutschland ist derzeit die Binnenkonjunktur, im Bau zum Beispiel dauert der Boom an.
Die »Wirtschaftsweisen« hatten der Bundesregierung in ihrem vor kurzem vorgelegten Jahresgutachten eine klare Botschaft mit auf den Weg gegeben: Sie müsse mehr tun, damit »Wachstumskräfte« gestärkt werden - das bedeutet: Firmen entlasten und mehr in Bildung und Forschung sowie den Ausbau des schnellen Internets investieren.
In einem gemeinsamen Papier forderten der Industrieverband BDI und der DGB ein auf mehrere Jahre angelegtes milliardenschweres Investitionsprogramm. »Wir können es uns nicht länger leisten, den Wohlstand künftiger Generationen durch eine veraltete Infrastruktur und ein unterfinanziertes Bildungssystem zu gefährden«, sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann.
Hier setzen die designierten SPD-Chefs an: Investitionen von 45 Milliarden Euro jährlich in Schulen, Straßen, Klimaschutz soll es geben - und das zehn Jahre lang.
SCHWARZE NULL:
Weite Teile der Union und auch Finanzminister Olaf Scholz (SPD) verweisen darauf, dass der Staat bereits auf Rekordniveau investiere - im Bundeshaushalt 2020 sind knapp 43 Milliarden Euro geplant. Und sie wollen an der Politik der »schwarzen Null« festhalten - einem Haushalt ohne neue Schulden. Walter-Borjans betont hingegen, neue Kredite könnten in den kommenden Jahren nötig sein - und auf dem SPD-Parteitag soll die »schwarze Null« kritisch debattiert werden.
Viele in der SPD aber fordern seit langem, die »schwarze Null« zu lockern, damit mehr investiert werden kann. Auch die »Wirtschaftsweisen« halten dies im Falle einer Wirtschaftskrise für denkbar. DGB-Chef Hoffmann sagte, ein Investitionsprogramm sei »ohne weiteres« finanzierbar, wenn selbst auferlegte Schuldenregeln flexibilisiert oder Ausnahmen genutzt würden.
Einen möglichen Ausweg eröffnet die Regelung zur Schuldenbremse. Denn diese besagt, dass der Bund auch weiterhin Kredite in einem kleineren Umfang aufnehmen dürfe - das könnte einen Spielraum von zusätzlichen Milliarden bedeuten.
Allerdings betonen vor allem Haushaltspolitiker der Union, dass Geld derzeit gar nicht das größte Problem ist, um etwa die Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Viele Mittel nämlich werden gar nicht abgerufen, weil es lange Genehmigungsverfahren und zu wenig Planungskapazitäten in Behörden gibt. Deswegen will die Koalition nun Planungsverfahren beschleunigen.
KLIMAPAKET:
Die künftige SPD-Doppelspitze will beim Klimapaket nachbessern. Esken forderte am Samstag einen CO2-Einstiegspreis im Verkehr und beim Heizen von 40 Euro pro Tonne statt der bisher geplanten 10 Euro. Auch viele Fachleute und Umweltverbände halten den Einstiegspreis von zehn Euro ab 2021 für zu niedrig, um Menschen dazu zu bewegen, sich ein klimafreundlicheres Auto zu kaufen.
Die Koalition aber hatte sich erst nach langem Ringen auf das Klimapaket mit der CO2-Bepreisung geeinigt. Vor allem die CSU drängte auf einen niedrigen Einstiegspreis. Eine Hintertür ist aber noch offen: Der Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat verhandelt demnächst auf Drängen der Länder noch einmal über Steuergesetze aus dem Klimapaket - der CO2-Preis könnte hier durchaus auch noch einmal ein Thema werden.
SOLI:
Rund neun von zehn Steuerzahlern müssen den Solidaritätszuschlag ab 2021 nicht mehr zahlen - das haben Bundestag und Bundesrat beschlossen. Nur die Spitzenverdiener sollen weiter zur Kasse gebeten werden. Die Union fordert aber seit langem eine vollständige Soli-Abschaffung, dies ist bisher an der SPD gescheitert. Kommt es zu Verhandlungen mit der neuen SPD-Spitze über neue Schwerpunkte in der Koalition, dürfte die Union die Forderung nach einem Soli-Aus für alle bekräftigen.
UNTERNEHMENSTEUERN:
Das gilt auch für eine große Reform der Unternehmensteuern. Union und die Wirtschaft wollen steuerliche Entlastungen für Firmen, auch weil Unternehmensteuern in den USA und anderen Ländern gesenkt wurden. Finanzminister Scholz hat einer umfassenden Reform bisher eine Absage erteilt, er will keinen internationalen »Steuersenkungswettbewerb«. Für die Union aber dürfte eine Unternehmensteuer-Reform ein wichtiger Punkt sein in den kommenden Wochen.
MINDESTLOHN:
Walter-Borjans und Esken wollen, dass der Mindestlohn auf 12 Euro pro Stunde steigt. Derzeit liegt er bei 9,19 Euro, 2020 soll er auf 9,35 Euro angehoben werden. Die Politik hat hier Empfehlungen der Mindestlohn-Kommission übernommen, die sich aus den Tarifpartnern zusammensetzt. Vor allem der Unionswirtschaftsflügel dürfte Forderungen nach einem höheren, von der Politik bestimmten Mindestlohn vehement ablehnen.