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Aktuell Interview

Lust auf Swing-Misshandlung

Projekte, Projekte: Ob im Kino, auf dem Bildschirm, auf der Theaterbühne oder im Konzertsaal – Ulrich Tukur ist ständig präsent. Der 57-Jährige mag nicht ruhen. Doch während sein jüngster Einsatz als »Tator«-Kommissar die Nation verblüffte, gilt seine eigentliche Liebe der Musik. Vor seinem Konzert mit den Rhythmus Boys in Reutlingen hat sich Christoph Forsthoff mit dem Wahl-Venezianer unterhalten.

GEA: Schon 2013 schien Ulrich Tukur nicht zu bremsen zu sein, doch Ihr Tanz auf vielen Hochzeiten hat sich auch 2014 nahtlos fortgesetzt …

Tukur: … und dann muss man natürlich Interviews geben, denn nichts spricht mehr für sich, alles muss kommentiert werden. Man ist auf einmal überpräsent, was mir selbst unangenehm ist, denn man bietet unnötige Breitseiten, man läuft Gefahr zu nerven – und wird dann gerne angegriffen. Auch dieses Interview sollte ich mir eigentlich ersparen.

Gibt Ihnen in solch turbulenten Lebensphasen das Schreiben innere Ruhe?

Tukur: Ja, denn es ist eine spannende Reise ins eigene Ich, ins Selbst, die Seele, die eigenen Fantasien und Erinnerungen, und es befriedigt weit mehr als es jede reproduzierende Tätigkeit könnte.

Welche Klarheiten hat Ihnen das Schreiben da gebracht?

Tukur: Mir war zum Beispiel nicht klar, wie sehr ich mich in den Tiefen verorte, in den Vergangenheiten, die meine Existenz erst möglich gemacht haben. All die dahingegangenen Menschen, die versunkenen Generationen, sie leben und flüstern in mir. Und ich habe erfahren, dass für mich eine Welt nicht taugt, die alles zerlegt, zerredet, wissenschaftlich erklären will und nichts zurücklässt als einen Zirkus, der nur noch nach Marktmechanismen funktioniert, in dem allein Wert hat, was sich kaufen oder verkaufen lässt.

Ihre Novelle »Die Spieluhr« haben Sie Ihrer Frau gewidmet. Ein Dank, dass Sie es seit über 20 Jahren mit einem so ruhelosen Menschen aushält?

Tukur: Das ist eine große Verbeugung vor ihr: Ich liebe diese Frau. Ich habe das große Glück, einen Menschen gefunden zu haben, der zu mir passt – das ist ein Sechser im Lotto. Und diese Frau liebe ich heute noch genauso wie am ersten Tag – und durch die Krisen, die wir erlebt und gemeistert haben, ist die Beziehung immer reicher geworden.

Vom Glück in der Ehe zum Glück auf der Bühne – gehört dazu eine Tour mit den Rhythmus Boys?

Tukur: Ja, ich liebe unsere Musik und die Zusammenarbeit mit den Jungs. Die Reisen im zugemüllten Bus, das Einrichten der Bühne, das endlos lange Konzert, das warme Bier danach, das Wiedereinpacken, dann die Übernachtung in dem Schlafsilo aus Beton gleich neben der Autobahn – ein großer Spaß. Wie es auch ein großes Vergnügen ist, mit den Menschen zu reden und Conférencen zu halten, von denen ich überhaupt keine Ahnung habe, wo sie hinführen – und einfach auf die Gunst des Augenblicks zu lauern und zu hoffen, dass mir etwas Gescheites über die Lippen kommt.

Natürlich im Stil der 20er- und 30er-Jahre?

Tukur: In unserem Stil! Doch der ändert sich jetzt in unserem neuen Programm »Let’s misbehave«: Da misshandeln wir englische und amerikanische Jazz- und Swing-Standards, um die wir immer herumgeschlichen sind.

Was konkret stellen Sie mit den Stücken an?

Tukur: Wir haben sie komplett zerlegt und völlig neu arrangiert. Und wir erlauben uns Dinge, die man besser nicht tun sollte: Ich habe uns vier Ballett-Tutus schneidern lassen ... Und zum Schluss kommt noch eine letzte Tour mit eigenen Kompositionen.

Sie planen den Rückzug aus dem Musikgeschäft?

Tukur: Ich weiß ja nicht, wie lange die Herren Rhythmus Boys noch durchhalten – der körperliche Verfall ist schon beeindruckend (lacht). Bluthochdruck, Schnappfinger, Schwindelanfälle, Ohrensausen, Kurzsichtigkeit … Aber wir werden vermutlich weiterspielen, bis der Erste auf der Bühne umfällt.

Angesichts der vielen Bühnen, auf denen Sie all diese musikalischen Reichtümer hörbar machen, sind Sie sicher ein gut organisierter Mensch?

Tukur: Ich bin weder gut organisiert noch diszipliniert. Meist haste ich Verpflichtungen und Verabredungen hinterher, und weil ich große Angst davor habe, als Hochstapler aufzufliegen, strenge ich mich wahnsinnig an, nicht erwischt zu werden. Mit den Jahren wird das immer anstrengender.

Schüren solche Erfahrungen die Angst vor dem Altern?

Tukur: Es gibt Menschen, die denken einfach nicht darüber nach – und es bringt ja auch nichts. Ich beschäftige mich ständig damit, schaue morgens in den Spiegel, sehe, dass ich schon wieder einen Tag älter geworden bin – und dann sagt eine kleine, teuflische Stimme in mir: »Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe …« (lacht)

Was antworten Sie dann?

Tukur: »Halt die Klappe!« Nein, im Ernst, natürlich macht man sich Sorgen im Angesicht des demütigenden Dahinsiechens vieler mir nahestehender Menschen. Erreiche ich den Zustand der Gelassenheit, den man braucht, um das Unabwendbare hinzunehmen, wird mir das Glück des eleganten Abgangs zuteil? Bis dahin aber würde ich mich schon gerne etwas weniger damit beschäftigen.

Also auch keine Abstriche in puncto Lebensfeier machen?

Tukur: Ich will leben! Ich will das machen, wozu ich Lust habe, solange es geht. Nur, ohne Auszeiten und etwas mehr Rücksicht auf den eigenen Leib funktioniert das ab einem gewissen Alter nicht mehr – wenn man es hin und wieder noch einmal krachen lassen will. (lacht)

Über ihre Einsätze als »Tatort«-Kommissar Murot hat die Kritik keineswegs immer gejubelt …

Tukur: Die Kunst, es einem jeden recht zu machen, ist eine Kunst, die keiner versteht – und es ist doch wunderbar, wenn man polarisiert! Wir machen keinen Einheitsbrei, unsere Folgen sind immer der Versuch, etwas Überraschendes zu schaffen, das kann nicht immer glücken.

Stört es Sie, dass Ihre Quoten eher im unteren »Tatort«-Bereich liegen?

Tukur: Tut mir leid, hohe Einschaltquoten reflektieren nicht hohe Qualität. Und der Hessische Rundfunk ist zum Glück ein Sender, der nicht von Quoten-Zombies und Hasenfüßen geleitet wird. (GEA)

Ulrich Tukur und die Rhythmus Boys: 24. Oktober, 20 Uhr Stadthalle Reutlingen