Berlin (dpa) - GroKo-Anhänger gegen GroKo-Gegner, Anhänger des Regierungskurses gegen Fans eines Neuaufbruchs, Hubertus Heil gegen Kevin Kühnert - beim SPD-Parteitag könnten ab diesem Freitag in Berlin Gräben aufreißen.
Allerdings haben die führenden Köpfe der Partei in den vergangenen Tagen eifrig versucht, eine einheitliche Linie zu finden. Mit den designierten Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans feilten sie an Kompromissen.
Was soll der Parteitag bringen?
Vier Dinge: Eine neue Führung, eine Bestimmung des Kurses der Partei in der großen Koalition, eine programmatische Neuausrichtung sowie organisatorische Reformen. All dies war lange angelegt - etwa dass die SPD zur Mitte der Legislaturperiode Bilanz zur Koalition ziehen will. An Dramatik gewann die Entwicklung seit Sommer. Anfang Juni trat die damalige Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles nach Niederlagen für die SPD bei Wahlen und heftigem internen Streit zurück. Seither gab es ein aufwendiges Verfahren für die Suche nach einem neuen Vorsitz mit zwei Mitgliederentscheiden. Nicht verbessert haben sich die Umfragen: Die Werte für die SPD schwanken derzeit zwischen 13 und 15 Prozent.
Wie sind die Chancen der designierten Vorsitzenden?
Die linke Bundestagsabgeordnete Esken und der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister Walter-Borjans wollen von den rund 600 Delegierten breit bestätigt werden - und der Vorstand nominierte sie nun einstimmig. Allerdings hat das Duo beim Mitgliederentscheid lediglich 53 Prozent bekommen. Auf die Unterlegenen, Finanzminister Olaf Scholz und die Brandenburgerin Klara Geywitz, entfielen immerhin 45 Prozent. Und das Ergebnis des Entscheids ist nicht bindend.
Warum könnte es bei den Vizeposten zur Kampfabstimmung kommen?
Die SPD will sich verschlanken - unter anderem mit drei statt bisher sechs Stellvertretern. Vom Vorstand nominiert sind Klara Geywitz als Vertreterin Ostdeutschlands - auch ein Signal, dass Brücken zu den Anhängern der Unterlegenen gebaut werden sollen, wie Walter-Borjans sagt. Nominiert ist ebenfalls die saarländische SPD-Chefin Anke Rehlinger. Doch auch Juso-Chef Kevin Kühnert, der als »Vater des Siegs« von Esken und Walter-Borjans gilt, warf seinen Hut in den Ring - sowie Arbeitsminister Hubertus Heil, der für den Regierungskurs und zentrale Themen seiner Partei steht.
Für was stehen Heil und Kühnert?
Sie repräsentieren die zwei Lager der SPD: Kühnert, der eloquente Kopf der »NoGroKo«-Bewegung mit teils revolutionären Ideen gegen Heil, das realpolitische Regierungsmitglied. Kühnert hat Walter-Borjans und Esken schon in deren Wahlkampf klar unterstützt und lehnte die Koalition mit der Union von Anfang an ab - auch wenn er zuletzt darauf hinwies, mit einem Rückzug werde die SPD auch einen Teil der Kontrolle aufgeben. Heil dagegen warnte die SPD immer wieder davor, den Schlussstrich zu ziehen. Ohne inhaltlichen Grund dürfe die Partei die Regierung nicht verlassen, dafür habe man noch zu viel vor.
Bekommen Esken und Walter-Borjans ein Glaubwürdigkeitsproblem?
Zumindest haben die beiden in ihrem Wahlkampf Dinge angekündigt, die sie so nun nicht mehr vertreten. So sagte Esken damals unmissverständlich, sie werde dem Parteitag einen Ausstieg aus der GroKo empfehlen, wenn die Union den Koalitionsvertrag nicht neu verhandelt. Und Walter-Borjans wiederholte immer wieder, dass für ihn die schwarze Null, also ein ausgeglichener Bundeshaushalt, zur Disposition steht - und zusätzlich 450 bis 500 Milliarden Euro an staatlichen Investitionen binnen zehn Jahren nötig seien.
Was ist nun die Linie zur GroKo?
In dem Leitantrag, den der Vorstand mit Esken und Walter-Borjans verabschiedete, heißt es: »Weder der Verbleib in einer Koalition noch der Austritt sind ein Selbstzweck.« Entscheidend sei die Umsetzung noch offener Punkte aus dem Koalitionsvertrag. Der Parteitag soll die Vorsitzenden beauftragen, gemeinsam mit dem Fraktionsvorsitzenden und Vizekanzler mit CDU/CSU Gespräche über die neuen Vorhaben zu führen. Später soll entschieden werden, ob die Ergebnisse ausreichen. Es gibt aber auch Kräfte, die per Abstimmung einen Ausstieg aus der GroKo erreichen wollen - allen voran die linke Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis?
Was will die SPD laut Vorstand bei der Union nun erreichen?
Höhere staatliche Investitionen in den Bereichen Bildung, Verkehr, Kommunikationsnetze und Klimaschutz - wie viel ist offen. »An dogmatischen Positionen« wie der schwarzen Null soll dies nicht scheitern. Geben soll es »einen sozial gerechten und wirksamen CO2-Preis« - ein sozialer Ausgleich soll »einen höheren CO2-Preis« ermöglichen. Wie hoch dieser statt der beschlossenen zehn Euro pro Tonne sein soll, bleibt offen. Das Mindestlohngesetz soll 2020 weiterentwickelt werden. »Unser klares Ziel ist dabei perspektivisch die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro.« Ein Datum wird nicht genannt.
Was kommt beim Parteitag wann?
Nach der Eröffnung am Freitag und einer Rede der kommissarischen Vorsitzenden Malu Dreyer wird über satzungsändernde Anträge abgestimmt - erst dadurch wird eine Doppelspitze möglich. Am Freitagmittag stellen sich die designierten Vorsitzenden vor. Nach ihrer Wahl soll der Parteitag über den GroKo-Kurs debattieren und abstimmen. Erst danach sollen auch die Stellvertreter und der Generalsekretär gewählt werden. Hier gilt als gesetzt, dass Lars Klingbeil den Posten erneut einnimmt. Am Samstag folgen Vorstands- und weitere Wahlen. Dann debattiert die Partei ihre sozialpolitische Neuaufstellung.
Antrag zur GroKo-Halbzeitbilanz