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CDU-Harakiri in Thüringen - Wird die Tür zur AfD geöffnet?

Der Schock sitzt tief: Jahrzehntelang war die CDU die stärkste Partei in Thüringen - seit der Landtagswahl liegt sie hinter Linke und AfD. Nun herrscht Chaos, das auch die Bundespartei unter Druck setzt. Selbst die Mauer zur AfD könnte bröckeln.

Mike Mohring
Mitte? Rechts? Links? Der Thüringer CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring ist durch das Wahlergebnis in eine klassische Zwickmühle geraten. Foto: Michael Kappeler/dpa
Mitte? Rechts? Links? Der Thüringer CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring ist durch das Wahlergebnis in eine klassische Zwickmühle geraten. Foto: Michael Kappeler/dpa

Erfurt/Berlin (dpa) - Thüringens CDU scheint nach der verlorenen Landtagswahl, bei der sie fast ein Drittel ihrer Stimmen und den Status als stärkste Partei verlor, außer Rand und Band.

Erst hat ihr Chef Mike Mohring nach links in Richtung des Wahlgewinners - Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken - geblinkt und damit bundesweit für Debatten über Profil und Markenkern der Christdemokraten gesorgt. Nun blinken Parteifreunde von Mohring aus der Südthüringer Provinz nach rechts in Richtung einer AfD, die mit Björn Höcke den Wortführer des rechtsnationalen Flügels zum Partei- und Fraktionschef hat.

Während Mohring am Dienstag - einen Tag vor seiner geplanten Wiederwahl als Fraktionschef - zu dem »Appell konservativer Unionsmitglieder in Thüringen« schweigt, bemüht sich sein Generalsekretär Raymond Walk um Schadensbegrenzung. »Es wird weder eine Duldung oder Tolerierung einer rot-rot-grünen Koalition noch eine Koalition oder Gespräche über eine Zusammenarbeit mit der AfD oder der Linken geben«, beteuert Walk.

Der Generalsekretär der Bundespartei, Paul Ziemiak, wird noch deutlicher. »Die AfD sät Hass und versucht, unser Land zu spalten«, so Ziemiak in Berlin. »Ich halte die Debatte über eine Zusammenarbeit mit der AfD in Thüringen für absurd.« Walk und Ziemiak verweisen auf den Parteitagsbeschluss von Hamburg, der Koalitionen oder ähnliche Formen der Zusammenarbeit mit der Linken und der AfD ausschließt.

Der Appell, den 17 Thüringer CDU-Politiker aus der zweiten und dritten Reihe unterschrieben, fordert zwar Gespräche mit allen demokratisch gewählten Parteien. Er wird aber vor allem als Signal in Richtung AfD verstanden. Der Grund: Ausdrücklich unterstützt die Gruppe, zu der mit Christian Sitter ein ausgewiesener Vertreter der Werteunion gehört, Positionen von CDU-Fraktionsvize Michael Heym. Der hatte gesagt: »Rechnerisch reicht es für ein Bündnis aus AfD, CDU und FDP. Ich finde, das sollte man nicht von vornherein ausschließen.«

CDU-intern wird darum gerungen, ob Mohring trotz fehlender Mehrheit jenseits der AfD bei der Ministerpräsidentenwahl im Landtag antreten soll. Ein Lager in der Thüringer CDU will das, ein anderes ist strikt dagegen. Der CDU-Landrat des katholisch geprägten Eichsfelds, Werner Henning, sprach von einem »Tag der Schande«, sollte Mohring antreten. Denn es sei schleierhaft, wie Mohring ohne Mitwirkung von Höcke gewählt werden solle.

Henning, der eine der letzten wirklichen CDU-Hochburgen in Thüringen repräsentiert, sieht seine Partei vor einer Zerreißprobe. Der Kommunalpolitiker geht so weit, die christlichen Landtagsabgeordneten aufzufordern, ihrem Chef bei einer solchen Wahl ihre Zustimmung zu verweigern.

Ob Mohring in die Ministerpräsidentenwahl geht, ist noch nicht ausgemacht. Der 47-Jährige propagiert seit einigen Tagen eine »Simbabwe«-Koalition aus CDU, SPD, Grünen und FDP als Minderheitsregierung. Sie käme auf 39 Stimmen, Rot-Rot-Grün, über das Linke, SPD und Grüne am Dienstag erneut in Erfurt verhandelten, kommt auf 42 Stimmen. Möglicherweise hat Mohring, dem manche seiner Kritiker zu wenig Demut nach der Wahlschlappe nachsagen, damit die AfD-Debatte noch beflügelt - woher sonst sollen die fehlenden Stimmen kommen. Die CDU erhielt bei der Landtagswahl 21,8 Prozent der Stimmen, Höckes AfD 23,4 Prozent und Ramelows Linke 31,0 Prozent.

Dass die schwierige Regierungsbildung in Thüringen ein Problem auch der Bundes-CDU bleibt, dürfte die intern angeschlagene Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht überraschen. Der Generalsekretär des SPD-Koalitionspartners, Lars Klingbeil, forderte AKK umgehend auf, gegen eine Öffnung zur AfD einzuschreiten. Auf Twitter schrieb er: »Die Brandmauer nach rechts kriegt in der Union immer und immer mehr Risse. Es wird Zeit, dass das gestoppt wird @akk.« In der Bundes-CDU ist jede Art der Zusammenarbeit mit AfD oder Linkspartei ein No-go.

Im Adenauerhaus, der Parteizentrale in Berlin, ist man der festen Meinung, dass jedes Wackeln oder jedes Blinzeln, in welche Richtung auch immer, den Kern der CDU beschädigen würde. Signalisiere man Bereitschaft zur Kooperation mit der Linkspartei, könne dies zur Folge haben, dass die Grünen - als Hauptkonkurrent bei der nächsten Bundestagswahl ausgemacht - sich in der Mitte des politischen Spektrums verorten könnten, wird intern gewarnt.

Auch gegenüber jeder Art von Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten von der AfD ist die Parteispitze in Berlin hart. Mit fast ungläubigem Staunen verfolgt man dort, dass selbst ein solch extremer Rechtsausleger wie Höcke viele frühere CDU-Wähler nicht abgeschreckt hat, ihr Kreuz bei der AfD zu machen.

Dass die Werteunion, ein von der Bundes-CDU nicht anerkannter Zusammenschluss konservativer Christdemokraten, den Aufruf der 17 Thüringer CDU-Funktionäre sofort unterstützt, scheint folgerichtig. Ihrem Chef Alexander Mitsch dürfte es nicht ungelegen kommen, wenn er über den Umweg Erfurt weiter Unruhe in die wackelige Statik der CDU bringen kann. Aus Sicht der Werteunion sollte Kanzlerin Angela Merkel lieber heute als morgen ihre Regierungszeit beenden. In ihr - und auch in ihrer Nachfolgerin im Parteivorsitz, Kramp-Karrenbauer - sehen Mitsch und seine Gefolgsleute die Hauptursache für die Wahldesaster der CDU und die miesen Umfragewerte.

Für Mohring geht es an diesem Mittwoch um viel: Bleibt er Fraktionschef und unterstützen ihn die neu zusammengesetzte Fraktion und später am Tag das Parteipräsidium beim Versuch, eine Simbabwe-Koalition zu schmieden? Oder bringt das angekündigte Gespräch mit Ramelow doch noch einen neuen Weg? Bundeskanzlerin Angela Merkel findet ein Gespräch von Mohring mit dem Linken laut »Spiegel«-Interview schon mal »völlig ok«.

Klingbeil-Tweet