CHRISTCHURCH. Die Al-Nur-Moschee von Christchurch ist kein Gebäude, das besonders auffällt. Ein Bau in weiß, mit goldener Kuppel und Minarett und einem großem Parkplatz davor.
Auch wenn Muslime in Neuseeland sehr in der Minderheit sind: An die Moschee in der Deans Avenue, einer eher ruhigen Straße, hat man sich in der drittgrößten Stadt des Pazifikstaats schon lange gewöhnt.
An diesem Freitag jedoch, kurz vor 13.45 Uhr, die Gemeinde ist gerade zum üblichen Freitagsgebet versammelt, etwa 300 Leute, marschiert ein schwer bewaffneter Mann in das Gotteshaus. Später wird bekannt, dass er aus Australien kommt, 28 Jahre alt. Auf dem Helm hat er eine Kamera, die alles filmt.
In den Händen hält er eine Schnellfeuerwaffe, um den Leib hat er sich eine kugelsichere Weste geschnallt. Die Fingerkuppen der Handschuhe hat er abgeschnitten. Dann eröffnet er das Feuer. Auf dem Video, mit dem er seine Tat ins Internet überträgt, hört man zu den Schüssen einen Marsch. Wie ein Ballerspiel, aber in echt.
Was in den nächsten Minuten geschieht, sollte man lieber nicht beschreiben. Diesen Gefallen muss man einem vielfachen Mörder nun wirklich nicht tun. Fest steht jedoch: So etwas wie Normalität wird es in der Al-Nur-Moschee von Christchurch nun sehr lange nicht mehr geben. Auf dem grünem Teppichboden und in den Gängen liegen nun die Leichen von 41 Menschen. Das letzte Opfer ist eine Frau, die schon im Rinnstein liegt.
Als der Mann dann wieder in sein Auto steigt, immer noch mit der Helmkamera auf dem Kopf, ist der Marsch vorbei. Jetzt läuft ein Song von Arthur Brown aus dem Jahr 1968: »Fire«. Die erste Zeile: »Ich bin der Gott des Höllenfeuers. Und ich bringe Euch: Feuer.« Abgesehen von der unfassbaren Grausamkeit ist die Inszenierung auch an Zynismus nicht zu überbieten.
Auf weiteren Waffen, die der Mann im Kofferraum hat, ist »Kebab Remover« (»Kebab-Entferner«) zu lesen und der Name eines Mädchens, das 2017 bei einem Terrorangriff in Schweden starb. Im Netz kursiert zudem ein 74-seitiges »Manifest«, in dem sich mutmaßlich der Täter zu seinen Beweggründen für die Tat äußert. Darin finden sich auch rechtsextreme Parolen und der Verfasser betont, eine »Atmosphäre der Angst« schaffen zu wollen. Sich selbst beschreibt er als jemanden aus der Arbeiterklasse. Die Authentizität des Manifests ist bislang nicht erwiesen. Die Polizei äußerte sich bisher nicht dazu.
Für Neuseeland ist dies eine der schlimmsten Gewalttaten der jüngeren Geschichte. Der letzte Amoklauf liegt hier fast schon ein Vierteljahrhundert zurück. 1990 erschoss ein Mann 13 Menschen. Aber so etwas wie jetzt gab es noch nie. Premierministerin Jacinda Ardern spricht von »dunkelsten Tagen«. Über die muslimischen Opfer sagt sie: »Neuseeland war ihre Heimat. Sie hätten sich hier sicher fühlen sollen.« Sie waren es nicht.
Zumal dann auch noch bekannt wird, dass in einer zweiten Moschee, ein paar Straßen weiter, sieben weitere Menschen erschossen wurden. Wie das zusammenhängt, weiß man auch nach vielen Stunden noch nicht. Auf die Frage, ob das alles koordiniert war, sagt Chefermittler Mike Bush: »Wir haben darüber keine Informationen.«
Fest steht: Drei Verdächtige werden festgenommen - auch der Mann aus der Al-Nur-Moschee. Auf einem Video ist zu sehen, wie ihn Beamte aus seinem Auto zerren, einem weißen Geländewagen, und auf den Boden zwingen. An diesem Samstag soll er wegen vielfachen Mordes einem Richter vorgeführt werden. Seinen Namen nennt die Polizei nicht.
Australiens Premierminister Scott Morrison bestätigt jedoch, dass es sich um einen Australier handelt. Er nennt ihn einen »rechtsextremistischen gewalttätigen Terroristen«. Neuseelands Regierungschefin Ardern stuft die Tat ebenfalls als »terroristischen Angriff« ein, gerichtet gegen Andersgläubige. In Neuseeland ist nur eine kleine Minderheit muslimischen Glaubens: etwa 50.000, viele Einwanderer aus Staaten wie Pakistan oder Bangladesch.
Als der Tag in Christchurch zu Ende geht - der Pazifikstaat ist Deutschland um zwölf Stunden voraus -, sind die beiden Moscheen immer noch weiträumig abgesperrt. 48 Menschen liegen mit Schusswunden in verschiedenen Krankenhäusern, auch kleine Kinder. Man weiß nicht, ob sie alle durchkommen werden. Aus Angst vor weiteren Angriffen waren die Kliniken zwischenzeitlich für Besucher gesperrt, ebenso wie Schulen und andere öffentliche Gebäude. Jetzt dürfen Familien und Freunde wieder hinein.
Die Bürgermeisterin der Stadt, Lianne Dalziel, fasst die Stimmung so zusammen: »Alle sind geschockt. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas hier passieren kann.« Aber es trauert ein ganzes Land. Auf dem Parlamentsgebäude in Wellington, der Hauptstadt, haben sie die Flagge auf halbmast gesetzt. Und auch Neuseelands legendäre Rugby-Nationalmannschaft, die All Blacks, will nicht schweigen. Ihre Botschaft stammt aus der Sprache der Ureinwohner, der Maori: Kia kaha. Bleibt stark. (dpa)