STUTTGART. Die Zeiten ändern sich. War man als leidgeprüfter VfB-Anhänger in den vergangenen Jahren praktisch über jeden gewonnenen Zähler der Stuttgarter in der Fußball-Bundesliga froh, so blickte man nach dem 1:1 (0:0)-Unentschieden am Samstagnachmittag gegen den 1. FC Köln in viele enttäuschte Gesichter. Mit hängenden Köpfen verließen die Mannen um VfB-Kapitän Waldemar Anton nach einer spielerisch überlegenen Vorstellung den Rasen in der mit 54.500 Zuschauern ausverkauften MHP-Arena. Ein Unentschieden gegen Abstiegskandidaten? Das wird den Ansprüchen des VfB im Februar 2024 nicht mehr gerecht. Verrückt.
»Nach der Führung haben wir einfach zu arrogant gespielt«, ging der nicht für große Sprüche bekannte Stuttgarter Mittelfeldspieler Angelo Stiller mit sich und seinen Mitspielern nach der Partie am Sky-Mikro hart ins Gericht. War das wirklich der Fall? »Das sehe ich nicht so«, nahm VfB-Sportdirektor Fabian Wohlgemuth der Aussage direkt im Anschluss etwas Wind aus den Segeln. Dennoch vermisste auch er die letzte Gier und Überzeugung im Spiel nach vorne. Insbesondere nach dem Stuttgarter Führungstreffer von Enzo Millot, der aus einer herrlichen Traumkombination über mehrere Stationen in der 53. Minute resultierte, den Kölns Sechser Eric Martel nur neun Minuten später mit einem Rechtsschuss nach einem Eckball bereits wieder egalisierte. Es war die bis dato erste gefährliche Torchance der Gäste.
Wohl dem, der über solche Optionen von der Bank verfügt
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Tabellendritte gegen ein extrem kompaktes gegnerisches Defensiv-Bollwerk anlaufen musste. Die große spielerische Überlegenheit (840 zu 278 Pässe) konnte nur selten in gefährliche Chancen umgewandelt werden. Es ist kein Zufall, dass die Kölner seit der Ankunft von Trainer Timo Schultz in bislang sieben Spielen nur einmal mehr als zwei Gegentreffer kassiert haben. Der 46-Jährige hat - im Vergleich zu Vorgänger Steffen Baumgart - eine bemerkenswerte Stabilität in der Verteidigung implementiert. Doch im Spiel nach vorne weht beim Effzeh weiter ein laues Lüftchen. Auch der als großes Talent angepriesene 19-jährige Justin Diehl, dessen Vertrag im Sommer ausläuft und der dem Vernehmen nach großes Interesse von Wohlgemuth und Co. wecken soll, konnte nur selten sein hohes Tempo und seine Qualitäten im Dribbling ausspielen. Weil er häufig allein auf weiter Flur stand und der Ball bei den Rheinländern meist schon wieder weg war, ehe sie ihn eroberten.
Bis auf eine knapp zehnminütige Stuttgarter Druckphase von der 13. bis 23. Minute, sahen die Fans in Bad Cannstatt ein Bundesliga-Spiel auf einem schwachen Niveau. Doch in jener Druckphase fiel vor allem Woo-yeong Jeong auf, der von VfB-Erfolgscoach Sebastian Hoeneß erst zum fünften Mal in dieser Saison in die Startelf befördert wurde, und nahezu an jeder gefährlichen Aktion in diesen zehn Minuten beteiligt war. Der Südkoreaner zeigte mit seinen technischen Fähigkeiten, seiner Unbekümmertheit am Ball und Kreativität, warum er den Stuttgarter Verantwortlichen im Sommer rund vier Millionen Euro wert war. Sein Hauptmanko: Wieder einmal ließ die für einen Offensivspieler alles entscheidende Scorer-Ausbeute zu wünschen übrig. Der 24-Jährige vergab gleich zwei gute Chancen und wartet damit weiter auf seinen ersten Treffer im VfB-Dress. Dennoch steht nach seinem 65 Minuten langen Auftritt am Samstagnachmittag das Urteil: Wohl dem, der über solche Optionen von der Bank verfügt.
Dahoud zeigt, was er kann: Sein Startelf-Debüt rückt näher
Von sich reden machte auch Winterzugang Mahmoud Dahoud, der in der 67. Minute für den wieder einmal fehlerfrei und abgeklärt agierenden Atakan Karazor aufs Feld kam. Mit seiner Einwechslung ging nochmals ein Ruck durch das Stuttgarter Angriffsspiel. Der 28-Jährige demonstrierte gleich mehrfach, über welch überragenden Passqualitäten und Übersicht er verfügt. Keine 60 Sekunden nach seiner Einwechslung leitete die Leihgabe von Brighton & Hove Albion mit einem starken Vertikalpass die Großchance für VfB-Zehner Millot ein, der in dieser Aktion seinen Doppelpack hätte schnüren müssen, in Kölns super parierenden Schlussmann Marvin Schwäbe allerdings seinen Meister fand. Damit dürfte Dahouds Startelf-Debüt immer näherrücken. Gleichzeitig wartet an dieser Stelle eine ganz bestimmte und gemeine Preisfrage: Kann Hoeneß guten Gewissens das Stiller-Karazor-Duo sprengen? Eine schwierige Vorstellung.
Verpasster Sieg hin oder her. »Den Punkt muss man einfach mal akzeptieren«, meinte der VfB-Coach zurecht. »Solche Spiele kannst du auch mal verlieren, wenn es blöd läuft.« Wäre es fast, hätte Köln-Joker Faride Alidou in der 85. Minuten sich den Ball an VfB-Keeper Fabian Bredlow nicht so weit zur Seite vorbeigelegt. Mainz, Darmstadt und nun Köln: »Dass wir sieben Punkte aus diesen sehr schwierigen und unangenehmen Partien geholt haben, ist absolut in Ordnung«, stellte Wohlgemuth klar. Weil die Konkurrenten Leipzig und Dortmund jeweils Niederlagen einstecken mussten, haben die Stuttgarter ihren Vorsprung auf den ersten Nicht-Champions-League-Platz sogar um einen Zähler ausgebaut. (GEA)