STUTTGART. »Spitzenreiter, Spitzenreitern, Spitzenreiter«, hallte es am späten Samstagnachmittag durch die Stuttgarter MHP-Arena. Der VfB Stuttgart hatte so eben den VfL Bochum nach einer Gala-Vorstellung zum Bundesliga-Auftakt mit 5:0 (2:0) vom Platz gefegt und grüßt nun für mindestens eine Woche von der Tabellenspitze. Vor dem großen FC Bayern. Ein Gefühl, das man als leidgeprüfter VfB-Anhänger nicht alle Tage kennt. Tut gut.
Riesenfreude beim Club aus Bad Cannstatt, großer Frust aufseiten des Gegners aus dem Ruhrpott. »Alles ging in die Hose. Stuttgart konnte machen, was sie wollten«, sagte Bochums Torjäger Philipp Hofmann mit ratloser Miene. Sein Trainer Thomas Letsch sah es ähnlich, wenn auch in einer anderen Wortwahl: »Wir können uns bei allen mitgereisten Fans nur entschuldigen. Mehr habe ich nicht zu sagen.« Die furiose Auftaktpartie gegen Bochum lieferte aus Sicht des VfB Stuttgart drei interessante Erkenntnisse.
- Weltuntergangsstimmung ade
Nachdem »Transfer-Guru« Fabrizio Romano die Transfer-Bombe um den überraschenden Abgang des bisherigen Kapitäns Wataru Endo zum FC Liverpool am späten Mittwochabend auf seinen Social-Media-Kanälen exklusiv platzen ließ, herrschte im Stuttgarter Fan-Lager fast schon Weltuntergangsstimmung. Nicht wenige warfen ihre Saisonprognose noch einmal komplett über Bord. Vom kurz bevorstehenden Abgang von Abwehrchef Konstantinos Mavropanos zu West Ham United ganz zu schweigen. Reichlich Stoff, um eine solch junge Bundesliga-Truppe zu verunsichern. Und die Mannen von VfB-Coach Sebastian Hoeneß? Spielten munter drauf los und legten einen Spielwitz an den Tag, als wäre nie etwas gewesen. Doch genauso wenig man mit »Weltuntergangs-Szenarien« um sich werfen sollte, sollte man diesen spektakulären Saisonauftakt überbewerten. »Wir wissen um unsere Stärke. Aber die vergangenen beiden Jahre haben gezeigt, dass es jetzt sehr schlau ist, wenn wir alle gemeinsam eine gewisse Demut an den Tag legen«, meinte Hoeneß.
- Mittelfeld-Trio überzeugt
Viel wurde darüber spekuliert, wer nach Endos Blitz-Abgang an die Anfield Road die Doppelsechs zusammen mit Atakan Karazor bildet. Ist es Youngster und VfB-Eigengewächs Lilian Egloff, der einer wegweisenden Saison entgegenblickt, weil sein Vertrag im kommenden Sommer ausläuft? Oder etwa Endos Landsmann und Routinier Genki Haraguchi? Die Antwort: Keiner von beiden. VfB-Trainer Sebastian Hoeneß entschied sich dazu, Kreativgeist Enzo Millot eine Position nach hinten zu ziehen. Die Folge: Ein extrem spielstarkes und offensiv ausgerichtetes Mittelfeldtrio bestehend aus Millot, Karazor und dem quirligen sowie laufstarken Neuzugang Woo-yeong Jeong vom SC Freiburg auf der Zehn. Der Schachzug von Hoeneß ging auf. Der 21 Jahre alte Millot war Taktgeber im Angriffsspiel und demonstrierte, dass seine Stärken im Passspiel, seine Ruhe am Ball und seine Übersicht aus dieser tieferen Position womöglich noch besser zur Geltung kommen, als in der Rolle des Zehners. »Ja, es war ein bisschen offensiver als normal. Das kannst du in einem Heimspiel aber mal so machen«, sagte Hoeneß nach Schlusspfiff. Zugleich weiß der 41-Jährige auch, dass diese Herangehensweise gegen desolate Bochumer zwar von Erfolg gekrönt war, mit der man gegen deutlich spielstärkere Gegner – wie am kommenden Freitag Pokalsieger RB Leipzig – allerdings auch gut und gerne ins Verderben rennen kann. Eine dauerhafte Lösung ist dieses Modell daher nicht. Auch deshalb betonte der Coach: »Es ist klar, dass wir den Wegfall von Endo kompensieren müssen.« Mit anderen Worten: Ein Ersatz muss dringend her.
- Musterprofi Pascal Stenzel
Es gibt sie zuhauf: Spieler, über die in der Öffentlichkeit fast niemand spricht. Weil sie aufgrund ihrer unspektakulären Spielweise nicht groß auffallen oder weil die Mannschaftskollegen einen prominenteren Namen tragen. In diese Spielerkategorie reiht sich – bei allem Respekt – auch VfB-Verteidiger Pascal Stenzel ein. Obwohl er von einigen Experten immer wieder zu den größten Gewinnern der Vorbereitung gezählt wurde, ging vor Spielbeginn fast unter, dass ihn Hoeneß zum Bundesliga-Auftakt für die Startelf nominiert hatte. Doch der 27-Jährige zeigte erneut, dass auf ihn Verlass ist. Stenzel, bei dem das Pendel in den vergangenen Jahren stets zwischen Bank und Startelf ausschlug, legte ein überragendes Zweikampfverhalten (neun gewonnene Duelle) an den Tag, steuerte zudem zwei Torvorlagen bei und avancierte still und heimlich zum Mann des Tages. Doch weil Tore die Massen elektrisieren, stand der Rechtsverteidiger auch am Samstag im Schatten der Doppelpacker Silas und Serhou Guirassy. »Er hat es sich jetzt auch mal verdient, genannt zu werden. Pascal ist ein super Teamplayer und guter Fußballer«, lobte ihn Hoeneß. Einen solchen Spieler hätte jeder Bundesliga-Coach gerne in seinen Reihen.
Gala hin oder her. Die Frage »War der VfB jetzt so gut oder Bochum so schlecht?« mal ausgeklammert. Was wäre gewesen, wenn Bochums Philipp Hofmann in der 2. Minute, als er frei vor VfB-Keeper Alexander Nübel auftauchte, die hundertprozentige Torchance genutzt hätte? Der Konjunktiv war auch nach dem Schlusspfiff noch präsent, der Diskussionsstoff geht eben nie aus. Und das ist doch das Schönste am Fußball. Die Bundesliga ist zurück. Der VfB auch. Und wie! (GEA)