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Wie das »Küken aus Römerstein« bei den Paralympics gewinnen will

Die für die Skizunft Römerstein startende, sehbehinderte Linn Kazmaier will ihre Premiere in Peking genießen

Die sehbehinderte Linn Kazmaier und ihr Guide Florian Baumann sind ein eingespieltes Team in der Loipe. FOTO: VEREIN
Die sehbehinderte Linn Kazmaier und ihr Guide Florian Baumann sind ein eingespieltes Team in der Loipe. Foto: Verein
Die sehbehinderte Linn Kazmaier und ihr Guide Florian Baumann sind ein eingespieltes Team in der Loipe.
Foto: Verein

RÖMERSTEIN. Florian Notz, der Vorzeige-Skilangläufer der Skizunft Römerstein drückt ihr, kaum ist er selbst von den Olympischen Winterspielen heimgekehrt, ebenso fest die Daumen wie der gesamte Verein. Linn Kazmaier aus Oberlenningen ist mit ihren 15 Jahren das Küken im deutschen Team, das am 25. Februar zu den Paralympischen Spielen in Peking aufgebrochen ist.

Ihr erstes olympisches Abenteuer hat die junge, sehbehinderte Athletin dabei vor ihrer Paralympics-Premiere schon überstanden. 25 Stunden vom Beladen des Mannschaftsfahrzeugs in Freiburg bis zum Entladen des Shuttlebusses in Zhangjiakou waren vergangen, bis Linn Kazmaier und ihr Guide Florian Baumann (Skizunft Uhingen) die Anreise mit den 17 weiteren Athleten und den anderen fünf Guides hinter sich hatten. Und spätestens bei der Ankunft im Paralympischen Dorf in der Zhangjiakou Zone in Peking waren auch für sie dann die Dimensionen des bevorstehenden Ereignisses klar. »Es ist total verrückt. Das ist kein Dorf mehr, das ist eine richtige Stadt«, zeigte sich Linn Kazmaier überwältigt.

»Linn ist ganz ohne Angst vor schwierigen, neuen Sachen«

Am Sonntag ging es für sie und die anderen deutschen Athleten erstmals im Training auf die Strecken, auf denen von Samstag, 5. März, an je drei Langlauf- und Biathlon-Einzelwettbewerbe und – zum Abschluss der Paralympics – die Langlauf-Staffel-Rennen stattfinden werden. »Der Schnee war weniger stumpf als erwartet und die Strecke ist sehr schön. Da ist alles drin, was man sich wünscht«, lautete Linn Kazmaiers erstes Urteil.

Sieben Jahre ist es her, da nahm das kleine, erst acht Jahre alte Mädchen Linn Kazmaier erstmals bei einem Lehrgang im Para-Ski-Nordisch teil. Eine angeborene Zapfendysthophie und ein Nystagmus sorgen dafür, dass sie nur ein Sehvermögen von vier Prozent hat und nur verschwommene, wackelnde Bilder sieht. Ohne Sonnenbrille ist es, als starre sie auf einem Gletscher in die Sonne. Dieser Lehrgang aber im Februar 2015 am Notschrei im Südschwarzwald hinterließ Eindruck. »Ich weiß noch, dass ich die ganzen zweieinhalb Stunden Heimfahrt durchgequasselt habe, so begeistert war ich von dem Sport«, erinnert sich Linn Kazmaier. Wieder zu Hause angekommen, bearbeitete sie ihre Eltern so lange, bis die ihr wirklich eine Langlaufausrüstung kauften.

Es war eine gute Investition. »Linn ist sofort aufgefallen, weil sie trotz ihrer Sehbehinderung ganz ohne Angst vor schwierigen, neuen Sachen aufgetreten ist«, sagt der für den deutschen Nachwuchs zuständige Bundestrainer Michael Huhn und lobt den Ehrgeiz und die Zielstrebigkeit des Teenagers.

»Linns ganz große Stärke ist ihr Durchhaltevermögen«, ergänzt Florian Baumann aus Balzholz, einem Ortsteil von Beuren. Er ist seit Oktober 2020 ihr Guide. »Im Wettkampf besiegt sie mehr als einmal ihren inneren Schweinehund und auch über längere Zeiträume arbeitet sie sehr akribisch.« Ihren Startplatz für die Paralympics verdiente sich die 15-Jährige im Januar, als sie bei den Para-Weltmeisterschaften im norwegischen Lillehammer jeweils Platz sechs über sechs Kilometer im Para-Biathlon mit nur einem Schießfehler und über die Biathlon-Mitteldistanz von zehn Kilometern ohne Schießfehler erkämpfte. Als jeweils beste Nicht-Russin im Teilnehmerfeld war sie damit in der Weltspitze des Para-Wintersports angekommen. Platz neun im ersten Rennen über zehn Kilometer im klassischen Langlauf rundete die wichtige Erfahrung für sie ab.

Dabei liebt Linn Kazmaier die Herausforderung des Biathlons – am Berg an die Grenzen zu gehen, sich in der Abfahrt zu erholen und dann vor dem Schießstand den tobenden Puls herunterzupegeln, um möglichst fehlerfrei zu bleiben. Letzteres gehört noch ein wenig zu den Schwächen der Schülerin des Freiburger Sportinternats. Ihr Motto für Peking lautet deshalb: »No net hudla.« Übersetzt heißt das so viel wie: »Nur keine Hektik.«

Wenn ihre Leistung nun in Peking für einen Top-Acht-Platz reicht, dann hat sie mit ihrer Mutter vereinbart, dass diese dann eine Stadionrunde im Hürdenlauf absolvieren muss. Ihre Mama Gabi war früher eine Leichtathletin des TSV Köngen und hat als Sonderschullehrerin und Diplompädagogin ihre Tochter von Anfang selbst stark gefördert. Trotz ihrer Sehbehinderung sei Linn immer schon furchtlos gewesen und habe viel Mut bei all ihren Unternehmungen gezeigt, so die Mutter.

Aber die Wette hin oder her: Erwartungen lasten in Peking keine auf der jungen Leistungssportlerin. »Sie kann völlig ohne Druck auflaufen. Es ist schon sensationell, dass wir überhaupt hier sind«, sagt Florian Baumann, der eine wichtige Rolle in ihrer Entwicklung spielt. »Florian ist ein guter Motivator. Er sorgt dafür, dass ich vor den Kuppen Gas gebe. In der letzten Runde hört man ihn im Livestream selbst dann schreien, wenn gerade andere Athletinnen im Bild sind«, berichtet Linn Kazmaier lachend.

Auch für den 20-Jährigen, der selbst als Biathlet auf nationaler Ebene aktiv war, ist die Teilnahme an den Paralympics ein Riesenerlebnis. Schon die WM in Lillehammer empfand er als »ziemlich cool«. Und die Paralympics in Peking sollen für das Duo bestimmt nicht das letzte Großereignis bleiben. (GEA)