KÖLN. Früher war alles anders, nicht besser, anders. Okay, eine Bemerkung für das Phrasenschwein. Früher war auch: Es gab keine Pause. Die Wochen von Europa- oder Weltmeisterschaft waren Wochen der 16-Stunden-Tage. Nur keine Sekunde versäumen, es könnte Bahnbrechendes passieren. Wer älter wird, besitzt ein höheres Maß an Selbstbestimmung. Sagt man. Ob das stimmt, weiß ich gar nicht. Aber es erhöht das Ausmaß der persönlichen Freiheit, man stellt die Weichen anders – und man nimmt sich eine Auszeit. Die Europameisterschaft läuft unbeeindruckt weiter, damals wie heute.
Die Auszeit des Sauerländers ist parteiübergreifend das Sauerland. Fragen Sie Franz Müntefering oder Friedrich Merz. Am Samstag spielten in Hamburg die Georgier gegen die Tschechen, in Dortmund die Türken gegen die Portugiesen und in Köln die Belgier gegen die Rumänen. Und ich? Feierte in Olpe am schönen Biggesee 50 Jahre Abitur. Wir Alten waren eingeladen. Zur Abiturfeier der Jungen. 1974, Deutschland wurde zum zweiten Mal nach 1954 Weltmeister, haben wir in Südwestfalen um das »Zeugnis der Reife« gekämpft. Heute sind mehr »Einsen«, mehr Ballkleider und mehr Anzüge. Wir wollten vor einem halben Jahrhundert die Feier boykottieren.
Es muss nicht immer um Fußball gehen
Vor 50 Jahren waren wir zwei Abiturientinnen und 40 Abiturienten, zehn haben uns in die ewigen Jagdgründe verlassen, zwei sind auf dem Globus nicht mehr aufzufinden, und einer hat kurzfristig abgesagt. 29 reisten aus allen Teilen der Welt an, es war: großartig. Noch nie waren so viele Ehemalige da, sagten sie uns auf unserer alten Penne, wir fanden kaum Platz vor dem Schulorchester auf der Bühne der Stadthalle. Sie haben sich gefreut, wir haben erzählt, und wir haben uns verstanden.
Es war ein Fest, nur ganz am Rande ging es um Fußball – und wir haben sehr gute Fußballer. Einige spielen heute noch in der Altliga. Aber kaum ein Wort zu Julian Nagelsmann, Jamal Musiala, Florian Wirtz und den anderen, kein Wort zu Kylian Mbappé, Cristiano Ronaldo oder Kevin De Bruyne. Einen Tag vor dem Spiel der Germanen gegen die Schweiz in Frankfurt haben wir uns nur mit uns beschäftigt – und mit den ewig jungen Anekdoten von damals. Schön war das. Unglaublich. (GEA)