Logo
Aktuell Interview

»Uns geht der Stoff nie aus«

Goldene Steaks und Flirtqualitäten: Rückblick der 11-Freunde-Chefs Philipp Köster und Tim Jürgens

Kantiger Bayer: Klaus Augenthaler (Bild) sorgt im Magazin für ein Interview-Highlight, als er das Zigarrenrauchen mit Gerhard M
Kantiger Bayer: Klaus Augenthaler (Bild) sorgt im Magazin für ein Interview-Highlight, als er das Zigarrenrauchen mit Gerhard Mayer-Vorfelder thematisiert. FOTO: WITTERS
Kantiger Bayer: Klaus Augenthaler (Bild) sorgt im Magazin für ein Interview-Highlight, als er das Zigarrenrauchen mit Gerhard Mayer-Vorfelder thematisiert. FOTO: WITTERS

DÜSSELDORF. 20 Jahre sich als Fußball-Magazin am Markt zu behaupten, ist in der Medienbranche ein Ritterschlag. Mit hintergründigen Geschichten, originellen Ideen und ungewöhnlichen Interviews wurden bei 11 Freunde Themen gesetzt und ein unverwechselbares Profil geschaffen. Ein Rückblick der beiden Chefredakteure Philipp Köster und Tim Jürgens auf eine bewegte Zeit.

GEA: 20 Jahre 11 Freunde sind auch 20 Jahre Fußball-Kultur im Wandel. Womit beschäftigen Sie sich heute, was vor 20 Jahren undenkbar gewesen wäre?

Philipp Köster: Den Videobeweis als nervtötendes Instrument, um den Fans den Spaß im Stadion zu verleiden, haben wir im Jahr 2000 sicher nicht vorausgesehen, ebenso wenig, dass jeder Spieler seinen eigenen Instagram-Kanal hat, auf dem er geschmacklose Inneneinrichtungen und vergoldete Steaks präsentiert. Auf beides könnten wir verzichten.

 

»Harald Schmidt hat zum Abschluss des Gesprächs Jürgen Klopp imitiert«

 

Und was ist inzwischen kein Thema mehr, was vor 20 Jahren noch ständiges Thema im Heft war?

Köster:Vor zwanzig Jahren haben wir leidenschaftlich für die Erhaltung der Stehplätze gekämpft. Und siehe da, heute beneiden uns Fans aus anderen Ländern sehr um die stimmungsvollen Tribünen, um die gesamte Stadionatmosphäre. Andere Kämpfe gingen verloren, inzwischen heißen nahezu alle Stadien nicht mehr Alm, Bökelberg oder Müngersdorfer Stadion, sondern wie Firmenparkplätze. Willkommen im modernen Fußball.

Ihre Lieblingsgeschichte aus 20 Jahren Magazin geht genau wie?

Tim Jürgens: Eine Lieblingsgeschichte mit einer traurigen Note: Adrian Tempany hat die Katastrophe von Hillsborough überlebt, als 96 Liverpool-Anhänger im Gedränge auf dem Block starben. Und er beschreibt eindrücklich, wie nie zuvor gelesen, die schrecklichen Erlebnisse, den schwierigen Weg zurück ins Leben und die Suche nach Gerechtigkeit.

Sie haben zahlreiche ausführliche Interviews geführt. Gibt es so eine Art Top Drei?

Jürgens: Die Unterhaltsamsten: Frank Mill über die WM 1990 und sein Lotterleben im Pott. Klaus Augenthaler über Zigarrenrauchen mit Gerhard Mayer-Vorfelder. Harald Schmidt, der zum Abschluss des Gesprächs für unseren Fotografen Jürgen Klopp imitierte. Die Meistzitierten: Thomas Cichon, der erzählte, wie ihn zwielichtige Wettpaten unter Druck setzten. Uli Borowka, der bei uns eine umfassende Alkoholbeichte ablegte und dabei auf die Idee kam, mit einem unserer Mitarbeiter ein Buch draus zu machen. Louis Van Gaal, der zum Abschluss seiner Trainerlaufbahn bei uns Bilanz zog – und dabei wieder kein gutes Haar an Uli Hoeneß ließ. Die Erinnerungswürdigsten: Fünf Stunden Lothar Matthäus" Dauerbeschallung in einem Budapester Hotel inklusive einer eindrucksvollen Demonstration seiner Flirtqualitäten mittels Kellnerin. Die Zusammenkunft von Karl Heinz Rummenigge und Michel Platini an der Säbener Straße exklusiv für 11Freunde, um gemeinsam über Sevilla 1982 zu sprechen. Das dreistündige Gespräch mit Uli Hoeneß am Tegernsee, an das sich ein zweistündiges Würstl-Gelage anschloss. Als der Kellner kam und fragte, welche Beilagen wir denn wünschten, entschied Hoeneß für uns: "Bring" halt einfach alles, was "d hast!"

Welcher Trainer hat tiefen Eindruck hinterlassen und war ganz anders als vorher gedacht?

Köster: Martin Jol, damals Trainer beim Hamburger SV, hatten wir eher als harten und maulfaulen Knochen eingeschätzt. Dann aber hatte Jol Plauderwasser getrunken und machte sogar vor, wie ihm Frank Arnesen beigebracht hat, den Ball mit dem Hintern zu stoppen. Am Ende sagte er: »Ich hab noch viel vor in Hamburg!« Zwei Wochen später, die Ausgabe war gerade gedruckt, verkündete er seinen Weggang.

Jürgens: Und: Rolf Schafstall. Den wir uns als beinharten Schleifer vorgestellt hatten, der uns jedoch mit frisch gebackenem Kuchen empfing und nicht müde wurde zu betonen, dass der größte Erfolg seines Lebens die Liebe zu seiner Gattin sei.

Sie schreiben über die Marotten der Stars und Autorisierungsarien. Lassen Sie uns daran teilhaben.

Jürgens: Karl Heinz Rummenigge plauderte am Morgen nach einem Bayern-Sieg über den FC Barcelona gut gelaunt über seine Marotte, im Stadion mehrere Armbanduhren gleichzeitig zu tragen, um stets die exakte Spielzeit im Auge zu haben. Eine harmlose Einlassung, dachten wir. Dumm nur, dass er kurz darauf bei der Rückreise aus Katar am Zoll mit einigen Chronografen erwischt wurde. Der Bayern-Pressesprecher strich daraufhin sämtliche Passagen zum Thema »Zeitmessung« ersatzlos aus der Druckfassung des Gesprächs. Ist halt jetzt kein guter Zeitpunkt, so die Begründung. Noch radikaler griff HSV-Keeper Frank Rost in die freizugebende Fassung ein: Beim Treffen hatte Rost mit markigen Worte etliche Funktionäre und Verantwortliche bei seinem Arbeitgeber bedacht und ihre Handlungsweisen kritisiert. Als wir ihm seine Einlassungen nun in schriftlicher Form vorlegten, konnte er sich partout nicht erinnern, jemals etwas Derartiges von sich gegeben zu haben – und untersagte die Veröffentlichung des Gesprächs in Gänze.

Was braucht es, um Pierre Littbarski für ein Foto mit dem Titel zu gewinnen, das da heißt: Littbarski lässt zwei aussteigen – und das Foto zeigt: Littbarski als Taxifahrer mit zwei Gästen? Oder Rudi Bommer als »Schwalbenkönig« auf gleichnamigem Moped mit Krone?

Köster: Bei Littbarski? Einen Anruf und ein Taxifahrer, der uns seinen Wagen ausleiht. Littbarski ist ein wirklich angenehmer, intelligenter Zeitgenosse mit einem weiten Blick und viel Humor. Für ihn war es gar keine Frage, beim Shooting mitzumachen.

Jürgens: Genauso wenig wie Rudi Bommer, der für sein Alter extrem schnittig auf der Schwalbe durch die Gegend sauste.

Welcher Titel war der erfolgreichste, welches Titelbild gilt als legendär?

Köster: Abseits der großen Turniere und Bundesliga-Sonderhefte waren nicht die großen Stars besonders erfolgreich, sondern eher extravagante Motive. Ein melancholischer Altona-Fan am Spielfeldrand, eine Story über Leicester City, unser Ranking der härtesten Hunde im Fußball. Als legendär schlecht gilt ein frühes Cover mit Jürgen Klinsmann, auf dem die Hautfarbe des damaligen Bundestrainers dem Teint von Lenin im Mausoleum sehr ähnelte.

Wann wussten Sie, dass Hans Meyers Wahrheiten von Gewicht sind und die jahrelang überleben können?

Köster: Gehen Sie davon aus, dass Hans Meyer ein echter Glücksfall für uns war. Es gibt wenige Akteure im Fußball, die so viele Primärtugenden in sich vereinen – Fußballverstand, Menschenkenntnis, einen moralischen Kompass, Lust an der Kontroverse und vor allem viel Selbstironie, die ihn altersweise auf den ganzen Fußballzirkus blicken lässt.

Langzeitreportagen mit dem HSV oder Hertha – irgendwelche Folgeschäden beim Reporter? Oder tatsächlich Königsdisziplin?

Jürgens: Zumindest die Erkenntnis, dass der Job des Sportreporters ein schweißtreibendes Handwerk ist. Ein Jahr lang Hertha-Manager Michael Preetz durch eine wechselhafte Zweitligasaison zu begleiten und zu wissen, wenn es mit dem Wiederaufstieg nicht klappt, ist der Mann seinen Job los, ermöglicht einen exklusiven Einblick hinter die Kulissen des Fußballgeschäfts. Das Privileg, so umfassende Geschichten zu schreiben und zu fotografieren, haben wir – und allein dafür lohnt sich jeder Aufwand. Dabei zu erleben, wie ein Manager in so einem Spannungsfeld zaudert und leidet. Und dann nach dem Aufstieg in den frühen Morgenstunden allein mit ihm und dem Trainer in einer Hotelbar zu sitzen, die Saison zu bilanzieren und sehen, wie er plötzlich vom Glück beseelt ist, das sind auch besondere Momente im Leben eines Fußballreporters. Nicht weniger spannend war es, den vermeintlichen Führungsspieler Lewis Holtby durch die erste Zweitligasaison des HSV zu begleiten – und hautnah mitzuerleben, wie schlussendlich nicht nur der Klub an seinen hohen Erwartungen scheitert, sondern auch ein Profi völlig die Orientierung verliert. Nicht schön, aber hochinteressant und eine unwiederbringliche Erfahrung.

 

»Rolf Schafstall empfing uns mit frisch gebackenem Kuchen«

 

Wann wurde das Magazin in der Branche wirklich ernst genommen?

Jürgens: Diese Frage müssen eigentlich andere beantworten. Am Anfang wurden unsere Interviewanfragen von oft noch mit Gegenfragen des jeweiligen Club-Pressesprechers beantwortet. Frei nach dem Motto: »Wie hoch ist Eure Auflage? Was? Dann meldet Euch wieder, wenn ihr die verzehnfacht habt.(Höhö)« Dass sich an dieser Haltung etwas änderte, wurde uns 2007 bewusst, als wir zum Karriereende von Oliver Kahn beim FC Bayern ein Gespräch anfragten. Die Medienabteilung teilte mit: »Glauben nicht, dass der Olli das ausgerechnet bei euch machen will. Aber wir geben die Anfrage weiter.« Kurz darauf kam von Kahn die Zusage und wir trafen ihn bei einem Italiener in Grünwald. Als wir ihm zu Begrüßung stolz die neue 11Freunde-Ausgabe übergaben, lächelte der Titan nur müde und sagte: »Brauch ich nicht, habe ich schon!«

Wann geht Euch der Stoff aus?

Köster: Niemals. Da sind wir uns sicher. Fußball wird immer gespielt. Und es wird auch immer Menschen geben, die wie wir in den Fußball verliebt sind, ganz gleich, wie bizarr und abgehoben er sich gebärdet.

Jürgens: Und so lange wird es auch unser Magazin geben. (GEA)