FRANKFURT. Vielleicht ist es bei einer nicht einfachen Debatte am besten, mal Leuten an der Basis das Wort zu geben. Einer davon ist bei der nicht unumstrittenen Reform des deutschen Nachwuchsfußballs ganz sicher Hanno Balitsch. Der älteste Sohn des früheren Bundesligaprofis (1. FC Köln, Bayer Leverkusen, FSV Mainz 05, Hannover 96, 1. FC Nürnberg) kickt heute in der U 14 bei seinem Heimatverein Bensheim-Auerbach. Der Jahrgang sei so gut, dass die Nachwuchsleistungszentren der Region ein Auge auf die Besten geworfen haben, weshalb der U 18-Nationaltrainer Balitsch nun auch dort noch im Nebenjob dieses Team anleitet. Sein Filius sei nur deshalb so gut geworden, weil sein Vorgänger seit Jahren auf vielen Kleinfeldern trainiert hat. Drei-gegen-Drei. Vier-gegen-Vier. Der 42-Jährige ist überzeugt, dass es für junge Kicker »keine besseren Übungen gibt«.
»Es ist essenziell für die Entwicklung der Kinder, dass sie öfter den Ball haben«
Ab der nächsten Saison (2024/2025) werden diese Spielformen bundesweit bei den Jüngsten verbindlich eingeführt, Ergebnisse und Tabellen ersatzlos gestrichen. Während die Profiklubs mitgehen, regt sich an der Amateurbasis immer noch Widerstand. Doch die Umstellung ist für den neuen Nachwuchsdirektor Hannes Wolf alternativlos, will der deutsche Fußball seinen Rückstand aufholen. »Es ist essenziell für die Entwicklung der Kinder, dass sie öfter den Ball haben. Das, was wir dadurch bekommen, ist viel, viel mehr wert als eine Tabelle.«
»Ballsicherheit unter Druck, Zweikampfführung – da sind Dinge verloren gegangen«, bestätigt U21-Nationaltrainer Antonio di Salvo, der ebenfalls über seinen bei einem kleinen Münchner Verein kickenden Sohn erlebt hat, was schiefgelaufen ist: »Da haben Kinder zehn Minuten gewartet, bis sie bei einer Torschussübung dran waren.« In Zeiten einer verlorenen Bolzplatzmentalität fatal. Denn alle Kinder sollen aktiv sein. Die veränderten Spielformen beschränken sich auf den Bereich der G-, F- und E-Jugend.
Alle drei Nachwuchsexperten haben auf einer Pressekonferenz auf dem DFB-Campus eines bekräftigt: Man wolle die mehr als 24.000 Vereine und deren Vertreter nicht bevormunden, sondern überzeugen. »Es geht um Spaß und Freude«, erläuterte Wolf.
Dass ausgerechnet Hans-Joachim Watzke in seiner mächtigen Dreifachrolle als Liga-Aufsichtsratschef, DFB-Vizepräsident und Boss von Borussia Dortmund die mit Abstand wichtigste Basisreform in Bausch und Bogen verdammte – dafür ist Wolf sogar dankbar. Denn: »Mit einer Debatte erreichen wir das nächste Level.« Sonst würden Themen wie die Trainingsphilosophie für Kinder und Jugendliche in der Fußball-Nation Deutschland, »gesellschaftlich totgeschwiegen«.
»Unser Talentepool ist zu gering. Wir haben an den Realitäten vorbeitrainiert«
Dass Watzke das Kinderfußballkonzept als »unfassbar« bezeichnete, von einem »grundsätzlich falschen Ansatz« sprach und sogar eine Reform der Reform in den Raum warf, sorgte für viel Gesprächsstoff. Der DFB reagierte mit einer Klarstellung durch Präsident Bernd Neuendorf. Wolf beteuerte am Mittwoch in Richtung Watzke fast beschwichtigend: »Wir haben danach zweimal telefoniert, es ist alles in Ordnung zwischen uns. Ich persönlich fand es auch gar nicht schlimm. Nur unsere Presseabteilung hatte viel Arbeit.«
Der ehemaligen Trainer des VfB Stuttgart und Hamburger SV ist Feuer und Flamme für ein Umdenken, das der 42-Jährige für alternativlos hält, um wieder den Anschluss an die Weltspitze zu schaffen, nachdem die Männer-Nationalmannschaft Vertrauen verspielt hat, die Frauen-Auswahl bei der WM historisch früh gescheitert und die U 21 in der EM in der Vorrunde ausgeschieden ist.
»Unser Talentepool ist zu gering. Wir haben an den Realitäten vorbeitrainiert, und uns dann gewundert, dass die Spieler es im Übergangsbereich nicht mal in die dritte oder zweite Liga geschafft haben; dass gewisse Positionen nicht mehr ausgebildet werden – das können wir ändern«, glaubt Wolf. (GEA)