PARIS. So hatte sich Hanna Klein ihre Vorbereitung auf das große Highlight der Saison ganz sicher nicht vorgestellt. Dabei sah alles danach aus, dass der Plan, für die Olympischen Spiele in Paris in der absoluten Top-Form zu sein, aufgeht. Nach einer langen Verletzungspause aufgrund eines Achillessehnen-Anrisses stieg die 31-Jährige zwar erst sehr spät in die Saison ein, die Leistungen aber waren umso erfreulicher. Trotz weniger Rennen sicherte sich Klein über das World-Ranking den Startplatz für die Wettkämpfe in der französischen Hauptstadt. Ende Juni bewies sie ihre Stärke bei den deutschen Meisterschaften über die 5.000 Meter. In einem furiosen Solo stürmte sie im Alleingang zum Sieg. Schon Minuten nach dem Rennen freute sie sich im Interview auf die nächsten Einheiten im Trainingslager in St. Moritz und versprühte Euphorie.
»Ich bin sehr stabil um die 15 Minuten. Das zeigt, dass ich ein gutes Niveau habe«, freute sich die Läuferin der LAV Stadtwerke Tübingen und erklärte nach der ohnehin schon starken Performance: »Es deutet vieles darauf hin, dass es noch schneller geht.«
»Ihr ganzes Gesicht, ihre Lippen waren geschwollen«
»Für mich gilt es jetzt, zwei Wochen in St. Moritz am Feinschliff zu arbeiten und dünne Luft zu tanken«, erklärte Klein. Alles mit dem Ziel, »dann frisch in Paris an der Startlinie zu stehen«. Doch daraus wurde nichts. Im Gegenteil. »Sie hat sich einen bösen Infekt eingefangen«, sagte ihre Trainerin Isabelle Baumann. »Ihr ganzes Gesicht, ihre Lippen waren geschwollen.« Überall bildeten sich kleine Bläschen. »Sie konnte eine Woche lang kaum atmen und essen«, meint die Bundestrainerin Langstrecke. Bis auf ein wenig Traben auf der Bahn war an nichts zu denken, richtiges Training nicht möglich. Woher der virale Infekt kam, wissen Klein und ihre Trainerin nicht. Zwar war das Lauf-Ass leicht erkältet angereist, doch der Auslöser soll das laut Baumann nicht gewesen sein. Nach nur einer Woche ging es kurzfristig zurück in die Heimat, um zu genesen.
Glücklicherweise geht es der zu bedauernden Tübingerin, die ihre ganze Saison auf den Höhepunkt Paris ausrichtete, mittlerweile wieder gut. So wie der Infekt über Nacht kam, ging er auch von selbst wieder. Doch für den finalen Schliff vor Olympia war er Gift. »Am Ende kann man vieles richtig machen, aber wenn man nicht gesund bleibt, nützt es nichts«, erklärte ihre Trainerin.
»Wie versuchen das beste aus der Situation zu machen und eine Mini-Form zu erarbeiten«
»Jetzt bleiben uns zehn Tage, das ist nicht viel Zeit«, sagte Baumann dem GEA bereits am Mittwoch. »Wir versuchen, das Beste aus der Situation zu machen und eine Mini-Form zu erarbeiten.« Was der gesundheitliche Rückschlag für die Chancen in Paris bedeutet? Schwer einzuschätzen, findet die Bundestrainerin. Das Positive ist, dass Meisterschaftsrennen wie bei Olympia häufig taktisch geprägt sind und nicht in vollem Tempo gelaufen werden. Endschnelle Athleten wie Klein sind im Vorteil, doch natürlich müssen dafür erst mal genügend Körner übrig bleiben. »Es ist ganz wichtig, dass wir versuchen, das Selbstverständnis wiederzugewinnen.« Vieles werde von der Tagesverfassung abhängen.
Um den Vorlauf am Freitag (2. August, 18 Uhr) zu überstehen, geht Baumann davon aus, dass ihr Schützling unter die besten fünf Läuferinnen kommen muss. Sicher wird das eine schwierige Aufgabe. Doch wenn sie jemand meistern kann, dann Klein, die schon nach ihrem Achillessehnen-Anriss bravourös zu alter Stärke fand. (GEA)