STUTTGART. Die »schlimmsten Augenblicke« ihres Lebens im Dezember 2016 wird Petra Kvitova nie vergessen. Die Narben an ihrer linken Schlaghand werden sie immer an die Messerattacke eines kaltblütigen Einbrechers erinnern. Alle fünf Finger einschließlich Nerven und Sehnen waren bei ihrem Abwehrversuch damals schwer verletzt worden. Doch für die Tschechin stand ziemlich schnell fest: »Wenn es eine Chance gibt, wieder Tennis spielen zu können, werde ich sie mit aller Kraft nutzen.« Genau diese Kraft und eiserne Disziplin hatte die mit 1,80 Meter hoch aufgeschossene, schlanke Blondine, um dann nur fünf Monate nach der Not-OP an ihrer Hand auf die Profi-Tour zurückzukehren.
Genau mit dieser Kraft aber, dazu mit Willen, Nervenstärke und spielerischem Vermögen gewann sie nun auch am Sonntag zum ersten Mal in ihrer Karriere den prestigeträchtigen Porsche Tennis-Grand-Prix in Stuttgart. Mit 6:3, 7:6 (7:2) siegte die 29-Jährige nach einer bravourösen Energieleistung in einem großartigen wie spannenden Finale vor 4 400 restlos begeisterten Zuschauern gegen die 23 Jahre alte Estin Anett Kontaveit.
Jetzt Weltranglisten-Zweite
Damit schob sich Petra Kvitova, die schon 2018 nach ihren fünf Turniersiegen von der Profispielerinnen-Vereinigung WTA zur Spielerin des Jahres gewählt worden war, vom dritten Weltranglisten-Platz auf Rang zwei vor und peilt nun den Platz an der Sonne sowie den Sieg beim Grand Slam in Paris an. Das Turnier in Stuttgart gilt als wichtiges Vorbereitungsevent für Roland Garros. Zugleich ist Kvitova nun aber die einzige Spielerin, die in diesem Jahr bei bislang 20 Turnieren zwei Wettbewerbe gewann – sonst gab es immer eine andere Siegerin. Die zweimalige Wimbledon-Siegerin hatte schon Anfang des Jahres in Sydney gewonnen.
»Ich bin so unglaublich glücklich über meinen Sieg und danke Anett für ein großartiges Finale. Mit Spielerinnen auch wie ihr und mir wird es nicht langweilig im Damen-Tennis, denn das Level der Spielerinnen ist ähnlich hoch. Das macht uns allen Druck, denn wir müssen alle bei jedem Ballwechsel hundertprozentig bereit sein«, so Kvitova über die Ausgeglichenheit in der Szene. Hundertprozentige Bereitschaft führte sie selbst zu ihrem 27. Titel in ihrer Karriere. Gegen ihre unglaublich schnelle, druckvolle Spielweise, ihren gefährlichen Aufschlag und ihre geniale Rückhand mit teils millimetergenauen Returns auf die Füße ihrer Gegnerin hatte die ebenfalls stark aufspielende Kontaveit keine Chance. Dabei hatte Kvitova im Halbfinale drei Sätze gegen die Niederländerin Kiki Bertens gespielt, während sich Kontaveit wegen des verletzungsbedingten Rückzugs der Weltranglisten-Ersten Naomi Oska schonen konnte. Doch dank ihrer Energieleistung heimste Kvitova 124 000 Euro Preisgeld ein und erhielt dazu noch ein blaues Cabrio des Titelsponsors. Zum zweiten Mal in Folge hatte es bei dem deutschen Traditionsturnier keine deutsche Spielerin ins Halbfinale geschafft. Als letzte war im Viertelfinale Wimbledonsiegerin Angelique Kerber ausgeschieden. Aber trotzdem gab es deutsche Siegerinnen, denn Anna-Lena Friedsam (Andernach) und Mona Barthel (Bad Segeberg) gewannen das Doppel. Das Duo siegte mit 2:6, 6:3, 10:6 gegen das russisch-tschechische Paar Anastasija Pawljutschenkowa/Lucie Safarova. »Das gibt Selbstvertrauen«, sagte die 25 Jahre alte Friedsam, die sich nach zwei Schulteroperationen bald schon auch im Einzel nach oben spielen will.
Mit Blick auf die allgegenwärtige Diskussion, dass im deutschen Damen-Tennis bald schon gute Spielerinnen fehlen werden, weil die vier einzigen deutschen Top-100-Spielerinnen Angelique Kerber, Julia Görges, Andrea Petkovic und Laura Siegemund alle zur Ü 30-Generation zählen, sagte Friedsam: »Ich sehe sie alle als meine Vorbilder an und sie werden sicher noch eine Weile erfolgreich sein. Doch ich versuche, an ihre Erfolge anzuknüpfen.«
Anke Huber, Ex-Profispielerin und Sportliche Leiterin des Turniers, sagte zu dem Thema: »Es wird sich im deutschen Damen-Tennis eine Lücke künftig auftun. Es sind zwei, drei, vier Jahre zu füllen, denn ich sehe erst bei den heute 14- bis 16-Jährigen mögliche Spielerinnen nachkommen.« Deshalb hofft nicht nur Anke Huber für die weitere künftige Strahlkraft des Stuttgarter Turniers und das deutsche Tennis an sich, dass Kerber, Görges, Petkovic und Siegemund »noch einige Jahre weiterspielen«. (GEA)