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Nie war Ilkay Gündogan so wertvoll wie heute

Irgendwie gehörte er immer dazu, wurde aber nur selten wertgeschätzt. Jetzt bei der Heim-EM spielt der deutsche Kapitän endlich so, wie er schon seit Jahren im Club auftrumpft.

Laut Ilkay Gündogan (links) genügt auf dem Platz ein Blickkontakt mit  Toni Kroos (rechts), damit beide wissen, was der andere v
Laut Ilkay Gündogan (links) genügt auf dem Platz ein Blickkontakt mit Toni Kroos (rechts), damit beide wissen, was der andere vorhat. Foto: Christian Charisius/dpa
Laut Ilkay Gündogan (links) genügt auf dem Platz ein Blickkontakt mit Toni Kroos (rechts), damit beide wissen, was der andere vorhat.
Foto: Christian Charisius/dpa

STUTTGART. 79 Länderspiele hat der Mann bisher für die Fußball-Nationalmannschaft bestritten. Irgendwie gehörte Ilkay Gündogan immer dazu, aber nur selten trat er dabei besonders in Erscheinung. Der Eindruck drängte sich auf, dass er einer dieser Spieler ist, die im Club glänzen, aber in der Landes-Auswahl nicht zu ihrer Stärke finden können. Und nun das: In den ersten beiden Spielen der Heim-EM hat Gündogan neben Überflieger Jamal Musiala von den deutschen Spielern den stärksten Eindruck hinterlassen. Im reifen Alter von 33 Jahren ist der Barca-Star endlich im National-Team angekommen.

Er leitete gegen Schottland das 2:0 ein, war Vorbereiter des ersten Treffers gegen Ungarn und dann auch selbst Torschütze - viel effektiver kann ein Offensivspieler kaum sein. »Ich spüre vor allem das Vertrauen von Trainer und Mitspielern und fühle mich in dieser Mannschaft extrem wohl. Das ist sehr gut, um frei aufzuspielen«, sagte der Kapitän, der am Mittwoch als Spieler des Spiels ausgezeichnet wurde.

Selten wertgeschätzt

Es ist die erstaunliche Entwicklung eines Akteurs, der im Nationalteam immer im Schatten anderer stand. Im zentralen Mittelfeld fielen während seiner Karriere Samy Khedira, Toni Kroos, Joshua Kimmich oder Leon Goretzka oft mehr auf. Weil er zurückhaltender als andere wirkt, weil er seltener glänzte, weil er wenig im Vordergrund stand. Er wurde selten wertgeschätzt, seine Leistung immer besonders kritisch bewertet. Viel Kritik prasselte auf den Gelsenkirchener mit türkischen Wurzeln ein, als er vor sechs Jahren zusammen mit dem damaligen Nationalspieler Mesut Özil vor der WM 2018 auf einem Foto mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu sehen war. »Wir wollten weder jemanden damit unterstützen noch irgendjemandem damit schaden«, rechtfertigte Gündogan später in einer WDR-Dokumentation den Vorfall.

Das ist lange her. Gündogan spielte bei der anschließenden WM 2018, stand auch bei der EM 2021 und der WM in Katar im Team - gehörte also zur Generation der Spieler wie Manuel Neuer, Joshua Kimmich und Thomas Müller, die all diese deutschen Pleiten mitverantworten und wegstecken mussten. Und nun trumpft er auf, als hätte es diese schwierigen Zeiten in seiner Nationalmannschafts-Karriere nie gegeben.

»Es ist die Position, auf der ich mich wohlfühle«

Was auch an seiner Position liegt. In der Vergangenheit wurde er als Sechser vorrangig im defensiven Mittelfeld eingesetzt, wo der beidfüßig torgefährliche Akteur seine Qualitäten nicht im gewünschten Maße ausspielen konnte. Eine erstaunliche taktische Verkennung von Gündogans Qualitäten durch die damaligen Bundestrainer Joachim Löw und Hansi Flick. Erst Julian Nagelsmann zog ihn im Nationalteam dauerhaft weiter nach vorne, zentral hinter die Spitze, wo Gündogan nun seinen zweiten Frühling erlebt. Umgeben von den sehr beweglichen, immer anspielbaren Angreifern Musiala, Florian Wirtz und Kai Havertz hat er nun auch die passenden Mitspieler vor und neben sich, die von seiner Spielintelligenz, seinem Blick für die Lücke in der gegnerischen Abwehr und seiner Passgenauigkeit profitieren. »Es ist die Position, auf der ich mich wohlfühle, und auf der ich auch im Verein sehr viel gespielt habe«, sagte der Barca-Star. Manchester Citys Meisterschaft 2023 hatte er durch zwei Tore im letzten Saisonspiel gesichert.

Dass er nun zentral etwas versetzt mit Toni Kroos spielt, ist für ihn einer der Faktoren für den beeindruckenden Aufschwung des deutschen Teams. »Wir ergänzen uns noch besser«, sagte Gündogan, der auch hervorhob, wie wichtig Jahre langes Verständnis untereinander für den Gesamt-Erfolg ist. »Wenn Toni und ich uns auf dem Platz nur einen Moment anschauen, wissen wir, was der andere in der nächsten Aktion vor hat.« Solche Verbindungen in einer Mannschaft seien »unfassbar wichtig.« Je mehr man dies aufbauen könne, umso besser werde man spielen. Nagelsmann ist voll des Lobes über seinen Kapitän. »Er spielt nicht stur sein Ding, versucht, das Spiel zu steuern und ist ein extrem smarter Spieler«, sagte der Bundestrainer. Er sprach von einem »tollen, technisch sehr anspruchsvollen Tor« seines Spielgestalters. »Wir müssen ihm alle mehr vertrauen und müssen ihn pushen, er kann uns auch pushen.« Ilkay habe beide Spiele sehr gut gemacht. Er sei sich ganz sicher, dass es so weitergeht, betonte Nagelsmann.

»In der Premier League hätte man sich kaputtgelacht, wenn so etwas abgepfiffen worden wäre«

Blieb noch die Frage an Gündogan, ob er sich gewundert habe, dass die Ungarn bei seiner Vorbereitung des ersten Tores einen Foul-Pfiff erwartet hatten, als er und Willi Orban sich anrempelten und Orban zu Fall kam. Gündogan verwies auf seine Erfahrungen in der Premier League: »Dort hätte man sich kaputtgelacht, wenn so etwas abgepfiffen worden wäre.« (GEA)