Hamburg (dpa) - Das hat es schon lange nicht mehr gegeben am Hamburger Volkspark. Am Tag nach dem Lebenszeichen gegen Schalke 04 durfte HSV-Trainer Christian Titz am Sonntag vor dem Training fleißig Hände schütteln und den Applaus der Fans genießen.
»Wir wollen die Fans ja mitnehmen. Gestern hat das Stadion gebrannt. Und der Zuspruch heute tut gut«, sagte Titz nach dem überzeugenden 3:2 (1:1) über den Tabellenzweiten. Es war der erste Dreier des HSV seit dem 26. November. Ein Erfolg, der die Hoffnung zurückgebracht hat, sich doch noch vor dem Abstieg zu retten. »So ein Sieg erhöht die Bereitschaft aller, daran zu glauben«, stellte Titz zufrieden fest.
Dass der HSV noch lebt, hatte seine Mannschaft mit gierigem Offensivfußball gezeigt - und wie! Das stark verjüngte Titz-Team überzeugte nach 15 Partien ohne Sieg sogar Skeptiker und Kritiker Lothar Matthäus. »Der HSV glaubt an sich und lebt noch«, sagte der Rekord-Nationalspieler. »Es wird sehr eng, aber grundsätzlich können sie zehn, elf Punkte holen«, meinte der Sky-Experte nach dem couragierten Auftritt gegen harmlose Schalker. Als nun Tabellen-17. hat der HSV allerdings immer noch fünf Punkte Rückstand auf den Relegationsrang. Fünf Spieltage bleiben noch für das Wunder.
Auch vom Gegner gab es Lob für den eigentlich längst abgeschriebenen Bundesliga-Oldie. »Der HSV hat eine leidenschaftliche Leistung gezeigt«, sagte Torschütze Guido Burgstaller. Nationalspieler Leon Goretzka stellte fest: »Seit dem Trainerwechsel ist ein Ruck durch die Mannschaft gegangen, das haben wir zu spüren bekommen.«
Ohne Rücksicht auf große Namen oder fallende Marktwerte stellt Titz konsequent nach Leistung auf. Er hat es geschafft, die lähmende Ängstlichkeit des Abstiegskampfes aus den Köpfen seiner Kicker zu bekommen. »Mit ihm als Rückrunden-Trainer hätte der HSV den einen oder anderen Punkt mehr«, behauptete Matthäus.
Titz hatte nach dem wichtigen, aber vielleicht zu späten Dreier ein Dauerlächeln im Gesicht. »Es war eine extreme Achterbahnfahrt, aber nach dem Sonntagsschuss von Hunt haben wir den Sieg verdient«, sagte der 47 Jahre alte Bundesliga-Newcomer. Aaron Hunt sicherte den ersten Erfolg im dritten Spiel unter Titz mit einem beherzten Weitschuss (84. Minute). Das Stadion bebte: »Immer 1. Liga«, hallte es aus der Nordkurve. Nach Abpfiff peitschten die Torschützen Filip Kostic (17.) und Lewis Holtby (52.) das Publikum so richtig an.
»Die Art und Weise, wie wir Fußball spielen, tut allen richtig gut. Wir kloppen nicht das Ding nach vorn, wir haben Ballbesitz - das ist attraktiver Fußball«, meinte Holtby, der vor Titz' Amtsantritt schon ausgemustert war. »Es ist in dieser Saison das erste Mal, dass wir richtig Fußball spielen. Der Trainer hat großen Anteil«, lobte Hunt.
Titz und Holtby herzten sich besonders lang nach dem ersten Sieg seit 132 Tagen. »Wir wollen das Spiel in Hoffenheim gewinnen, wollen das Unmögliche möglich machen, sind positiv. Wenn jeder die gleiche Einstellung bringt wie in den letzten Wochen, wenn wir als Team zusammenstehen und mutig Fußball spielen, können wir das schaffen«, betonte Holtby. »Wir sind der HSV.«
Zwei Relegationen meisterten die Hanseaten einst - aber diesmal würde es einem Riesen-Wunder gleichkommen, wenn es nach einer schwachen Saison zum Happy End reichen würde. »Es hat sich nichts geändert, wir glauben an uns und geben nicht auf, werden aber nicht in Euphorie verfallen«, betonte Titz, der in Hoffenheim auf den gelb-gesperrten Verteidiger Kyriakos Papadopoulos verzichten muss.
Der hatte in der Vorwoche in ein griechisches Restaurant zum Essen eingeladen und eine Wiederholung im Siegfall gegen Schalke angekündigt. »Ich freue mich auf ein weiteres leckeres Essen mit den Jungs in angenehmer Atmosphäre«, sagte Titz am Sonntag. Und ergänzte grinsend: »Wir rufen jetzt die griechischen Wochen aus.«
Neben den Torschützen gefiel beim HSV Tatsuya Ito als Wirbelwind und Vorbereiter. »Den Jungen haben wir nicht greifen können, aber es war nicht so, dass wir es vorher nicht wussten«, monierte Coach Domenico Tedesco. Der niederländische HSV-Innenverteidiger Rick van Drongelen meinte über den 20-Jährigen sogar: »Das war wie Messi, Lionel Ito«.