STUTTGART. Das war neu – auch für Joachim Löw. »Das hatte ich in meiner Laufbahn noch nie«, mit der Fußball-Nationalmannschaft in einem leeren Stadion zu spielen. 289 Tage nach dem letzten Auftritt im November 2019 beim 6:1 gegen Nordirland. Zum Auftakt der Nations League hat die umformierte deutsche Mannschaft, Weltmeister des Jahres 2014, gegen Spanien, den Weltmeister des Jahres 2010, in der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena vor leeren Tribünen in der Coronakrise 1:1 (0:0) gespielt. Timo Werner vom FC Chelsea sorgte in der 51. Minute für die Führung, Jose Luis Gaya traf zum 1:1 in letzter Sekunde der Nachspielzeit.
»Das ist sehr ärgerlich, wir haben viel reingesteckt ins Spiel, sind sehr viel gelaufen«, sagte Torschütze Werner und stellte kritisch fest, dass sich das Team nach dem Tor »vielleicht zu weit hinten reindrücken lassen« habe. Löw sah die Leistung seines Teams trotz des späten Gegentreffers positiv. »Unsere Jungs haben alles gegeben, haben gefightet bis zum Schluss. Es war gut, ich kann zufrieden sein«, bilanzierte der Bundestrainer.
Schon seltsam, ein Spiel der Nationalmannschaft vor leeren Tribünen, wo normalerweise das Leben in um die Stadien pulsiert, eine ganze Stadt in Aufregung ist, wenn der viermalige Weltmeister in Richtung Stadion unterwegs ist. Es war anders, aber es war ein gutes Spiel zweier Formationen, die sich im Umbruch befinden und nach neuen Erfolgswegen suchen.
Löw hatte sich vor dem Spiel bereits umfangreich zur Aufstellung geäußert, die Geheimniskrämerei schien seine Sache nicht mehr, was am Ende Überraschungen aber erneut nicht verhinderte. In der Dreierkette standen Emre Can, Niklas Süle und Antonio Rüdiger vor Frankfurts Torwart Kevin Trapp, im Mittelfeld Ilkay Gündogan, Toni Kroos und Julian Draxler, Thilo Kehrer und Robin Gosens aus Bergamo in seinem ersten Länderspiel besetzten die Außenpositionen, offensiv spielten wie erwartet Timo Werner und Leroy Sané. Und die deutsche Mannschaft machte es von Beginn an ordentlich, daran änderte auch die Tatsache nichts, dass man diese Formation so nicht wiedersehen wird. Löw hat inzwischen eine etwas andere Ansicht zur Nations League. War sie ihm anfangs eher lästig, ist es nun doch ein Mittel der professionellen Vorbereitung auf das große Ziel, die von 2020 wegen der Coronakrise auf 2021 verschobene Europameisterschaft.
Das hohe Tempo der Deutschen in der Anfangsphase beantworteten die Spanier mit durchdachtem Kombinationsfußball. Da ist Nationaltrainer Luis Enrique, der seinen Job mit großem Erfolg angetreten, aber wieder aufgegeben hatte, als seine Tochter an Krebs erkrankte. Xana starb im Alter von neun Jahren. Enrique ist zurück, auch weil er seiner Familie signalisieren will, dass »das Leben weitergeht«. Auch Enrique ist dabei, das Team umzubauen, jungen Profis eine Chance zu geben. Das Leben geht weiter, auch im Fußball, auch nach Schicksalsschlägen und der Coronakrise.
Sergio Busquets vom FC Barcelona, Jesus Navas vom FC Sevilla und Kapitän Sergio Ramos von Real Madrid sind die einzigen Spieler, die noch von den Weltmeistern aus Südafrika übrig sind. Auch eine Parallele zu Löws Formation, auch dort nur noch drei Weltmeister von 2014 in Rio de Janeiro dabei. Zwei Mannschaften im Neuaufbau, das ballbesitzorientierte Spiel der Spanier ist keineswegs aufgegeben, aber auch Enrique sucht mit neuen Spielern einen neuen Weg.
»Wir haben uns vielleicht zu weit hinten reindrücken lassen«
Die erste Chance des Spiels resultierte aus einem Kopfball von Kehrer (11. Minute), nur drei Minuten später verhinderte Trapp die sichere Führung der Spanier, als er sich nach einem katastrophalen Fehler von Can in den Schuss des einlaufenden Rodrigo Moreno warf.
Auf der Gegenseite parierte David de Gea bravourös einen Schuss von Sané. Spanien spielte feldüberlegen, Busquets (23.) und Ferrán Torres (28.) scheiterten an einer zusehends unsicher werdenden deutschen Defensive. Sie blieb es selbst dann, wenn aus der Dreier- eine Fünferreihe wurde. Kurz vor der Halbzeit rettete Trapp erneut in höchster Not gegen Moreno. Im zweiten Durchgang blieb das technisch herausragende Spiel der Spanier dominant. Aber nur fünf Minuten lang, dann spielte Ilkay Gündogan auf Gosens, der setzte sich auf der linken Außenbahn durch, Pass auf Timo Werner – und der lässt sich nach einer Körpertäuschung die Chance in »seinem Stadion« nicht entgehen. Schönes Tor des Ex-Stuttgarters in Diensten des FC Chelsea.
Der Weltmeister von Rio übernimmt nach dem Führungstor wieder die Initiative, das erste Tor des Jahres 2020 gibt der Mannschaft von Löw spürbar Auftrieb. Auch, wenn Spanien weiter gefährlich bleibt. Vor allem durch Rodrigo Moreno, der in der 58. Minute erneut nur knapp das Tor von Kevin Trapp verfehlt. Die Spanier drängen auf den Ausgleich, aber die Mannschaft von Löw bleibt mit Kontern gefährlich. Timo Werner hätte sein zweites Tor erzielen können, David de Gea hält einen Schuss von Kroos und einen Kopfball von Rüdiger. Und dann trifft Gaya zum 1:1. (GEA)
SPIELSTATISTIK
Deutschland – Spanien Deutschland: Spanien: Tore: Schiedsrichter: