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Aktuell INTERVIEW

Karikaturist Christoph Härringer: »Jedes Gesicht hat einen Code«

Karikaturist Christoph Härringer über seine 1 000. Spottschau, Ideenlosigkeit und wie ihn Matthäus rettet

REUTLINGEN. Was vor 15 Jahren ganz klein in Süddeutschland begann, ist mittlerweile ein fester Bestandteil dieser und vieler anderer Zeitungen in Deutschland: Härringers Spottschau. Der humorvolle Blick des Karikaturisten Christoph Härringer vor allem auf die Welt des Fußballs mit all seinen Absonderheiten erfreut jede Woche die Leser. Die Spottschau hat sich zu einem Erfolgsmodell entwickelt und erscheint jetzt bereits zum 1 000. Mal. Ideale Gelegenheit für ein Interview mit dem Künstler, der in Berlin lebt und arbeitet. Er erinnert sich an die Anfänge, erzählt über Lieblingsgesichter und warum Lothar Matthäus ihn schon öfter gerettet hat.

GEA: Christoph Härringer, erinnern Sie sich noch an das erste Thema der Spottschau?

Christoph Härringer: Klar, das war gleich ein großer Aufreger. Die erste ist nur in der Badischen Zeitung in Freiburg erschienen. Thema war Volker Finke, der damalige SC-Trainer. Er hatte Otto Rehhagel als dienstältesten Trainer im Profifußball abgelöst und es war sogar fast eine Hommage an ihn – was ich sonst eigentlich gar nicht mache. Er hat es allerdings in den falschen Hals bekommen und sich beim Chefredakteur beschwert. Jetzt erscheint die Nummer 1 000 und seitdem hat niemand mehr angerufen.

»Sepp Blatter ist ein schönes Beispiel, weil er so eine Art kleiner Giftzwerg ist«

Es war also von Beginn an als Serie geplant?

Härringer: So ist es. Ich habe damals noch in Barcelona gewohnt und hatte dort bereits versucht einen Fußballcomic zu veröffentlichen. Es war aber nicht möglich, gegen Real Madrid und den FC Barcelona gleichzeitig zu sein. Die Sportpresse ist dort so, dass sie immer für einen der beiden Vereine ist. Ich hätte also jeden Tag gegen den jeweils anderen zeichnen müssen und das war mir zu dumm und so habe ich es in Deutschland versucht.

Das hat ja ganz gut geklappt.

Härringer: Im Nachhinein betrachtet ja, aber an diesem ersten Montag hielt ich es für eine Schnapsidee und hatte keine Lust, mich jede Woche zu rechtfertigen. Wir haben es aber fortgesetzt und relativ schnell kamen auch andere Zeitungen dazu.

Hatten Sie vorher schon zeichnerisch Kontakt zum Sport oder war es das erste Mal?

Härringer: Ich hatte lustigerweise mit 19 schon mal Karikaturen in Stadionzeitungen des guten alten Freiburger FC, der seinerzeit die Nummer 1 in der Stadt war. Da habe ich sogar mal Karl-Heinz Rummenigge und Paul Breitner für ein DFB-Pokalspiel gezeichnet. 10 Jahre später habe ich dann zum Bundesliga-Aufstieg des SC das Maskottchen gezeichnet, einen kleinen Fuchs. Der Trainer war ein gewisser Volker Finke, und er fand ihn gut (lacht). Ansonsten hatte ich mit Sport nicht viel zu tun.

Aus Freiburg über Paris und Barcelona nach Berlin: Christoph Härringers Erfolgsweg. FOTO: PRIVAT
Aus Freiburg über Paris und Barcelona nach Berlin: Christoph Härringers Erfolgsweg. FOTO: PRIVAT
Aus Freiburg über Paris und Barcelona nach Berlin: Christoph Härringers Erfolgsweg. FOTO: PRIVAT

Was hat sich von der ersten bis zur 1 000. Spottschau verändert?

Härringer: Ziemlich viel. Am Anfang hatte ich die Köpfe nicht drauf und musste bei jedem einzelnen lernen, wie er als Karikatur geht. In der Politik kommt man mit relativ wenigen Köpfen durch, im Fußball sind es richtig viele. Jedes Gesicht hat einen Code, den ich knacken muss, und mittlerweile bin ich einfach sehr viel erfahrener. Es geht jetzt schneller und ist auch besser, aber das ist ja wohl bei jedem so, der 15 Jahre nichts anderes macht.

Beim wem haben Sie diesen Code am besten geknackt, wer ist also Ihre Lieblingsfigur? Und wen bekommen Sie nach wie vor nicht so gut hin?

Härringer: Lieblingsfigur war eigentlich immer Uli Hoeneß, weil er am meisten hergibt. Ich habe ihn anfangs nicht hinbekommen und irgendwann beschlossen, die Augen wegzulassen. Jetzt zeichne ich nur eine Stirnwulst, und die Leute wissen, dass es Hoeneß ist. Viele kann ich immer noch nicht richtig. Bei Jürgen Klopp und Lukas Podolski muss ich immer im Archiv nachschauen und habe für beide einen Standardcode. Beide haben einen kleinen Mund, der beim Lachen aber extrem breit ist.

Einen aktuellen Protagonisten kennen Sie aber ganz gut.

Härringer: DFB-Präsident Fritz Keller kenne ich in der Tat, er war ja lange Jahre Präsident beim SC Freiburg. Da hoffe ich, dass er jetzt nicht irgendeinen Bolzen bringt und ich ihn aufs Korn nehmen muss. Als DFB-Präsident ist er eine ideale Zielscheibe. Aber ich kann ihn ja auch nicht verschonen, nur weil ich ihn mag.

Gerade Uli Hoeneß ist ja mittlerweile nicht mehr ganz so präsent. Bedauern Sie es, wenn Figuren nach und nach verschwinden?

Härringer: Ja, aber ich zeichne auch gerne Retro-Motive und freue mich, wenn ich sie dann wieder reinbringen kann. Sepp Blatter ist da ein schönes Beispiel, weil er so der Typ kleiner Giftzwerg ist, der für alles Böse im Fußball stand. Im Gespann mit Michel Platini war er schon sehr dankbar. Den aktuellen Uefa-Präsidenten kennen wahrscheinlich viele gar nicht.

»Ich fluche, schlafe schlecht, bin sauer auf mich selbst und sauge mir was aus den Fingern«

Eine große Leidenschaft hatten sie auch für den damaligen DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder.

Härringer: Der hat einfach alles erfüllt, was ich brauche. Erstmal hatte er ein tolles Gesicht, dann war er skandalumwitterter Politiker. Zudem VfB-Präsident, was ihn einem Freiburger nicht automatisch sympathisch macht. Und als Kultusminister von Baden-Württemberg wollte er uns Schülern vorschreiben, das Abitur im Anzug abzulegen, während er ein Hawaii-Hemd trug. Das war schon ein Überangebot. So einen hat man einfach lieber als einen aalglatten Funktionär.

Bei allem Spaß wird Ihnen Ihr Job nicht immer nur Vergnügen bereiten. Was machen Sie bei Ideenlosigkeit?

Härringer: Da muss man durch. Ich fluche, schlafe schlecht, bin sauer auf mich selbst und sauge mir dann irgendwas aus den Fingern. Manchmal kommt unter völligem Druck auch was Gutes dabei raus. Wenn die Idee schlecht ist, habe ich zumindest noch den Anspruch, dass die Leser über ein Gesicht lachen. Früher habe ich mich ab und zu über das Privatleben von Lothar Matthäus lustig gemacht. Das ist billig und nicht mein Stil, aber als es freitags lichterloh brannte, hat er mich mehr als einmal gerettet.

Wie läuft Ihre Themensuche allgemein? Per Geistesblitz oder gibt es eine Ideenmappe?

Härringer: Geistesblitze habe ich vielleicht zweimal im Jahr. Meistens ist es ein ewiges rumdoktern am Schreibtisch. Skizzen machen, jede Menge blöde Ideen rauslassen bis irgendwann ein Funke kommt. Das ist harte Arbeit und nicht besonders komisch.

Im Rahmen der Corona-Krise haben Sie auch schon die führenden Virologen gezeichnet, was diesen nicht entgangen ist.

Härringer: Christian Drosten hat gesagt, dass er sich als Comicfigur in der Zeitung sah und ihm dabei schlecht wurde. Immerhin hat er sich anscheinend erkannt (lacht). Die Virologen musste ich genauso angehen wie die Fußballer und habe mir über jeden eine kleine Bilddatenbank angelegt. Das hätte in der Anfangszeit viel zu lange gedauert, aber jetzt weiß ich, dass es geht.

ZUR PERSON

Christoph Härringer aus Freiburg ist so alt wie die Fußball-Bundesliga und lebt nach jahrelangen Stationen in Paris und Barcelona in Berlin. Er entwarf einige Comicserien sowie zahlreiche Characters und Maskottchen. Für die von Reutlinger General-Anzeiger und Neuer Osnabrücker Zeitung gegründete Regionalzeitungskooperation zeichnet Härringer seit 2005 seine Spottschau. Härringer ist in Deutschland der erfolgreichste Zeichner auf dem Fußballsektor und aus den Regionalzeitungen nicht mehr wegzudenken. Die Zahl seiner Fans ist riesig, sein Comic Nummer 1 000 ziert diese Seite. (cfi)

Bei Welt- und Europameisterschaften sind sie im Dauerbetrieb und zeichnen jeden Tag. Das sind vermutlich Extremsituationen für einen Künstler.

Härringer: In der Tat, und meine Frau macht dann mit den Kindern Urlaub, weil ich ziemlich ungenießbar bin. Finanziell bin ich natürlich froh über 30 Tage Arbeit am Stück, aber danach will ich vom Fußball nichts mehr hören.

Wie lange dauert die Erstellung eines Comics ungefähr?

Härringer: Das ist völlig unterschiedlich. An vermeintlichen Kleinigkeiten kann ich richtig lange sitzen, dafür gehen größere Gruppen mit vielen Köpfen inzwischen recht schnell. Normalerweise ist Donnerstag mein Ideentag und Freitag der Zeichentag. Von zwei Stunden bis zwei Tagen habe ich schon alles erlebt.

Gibt es bei den 1 000 Comics einen persönlichen Favoriten?

Härringer: Ich habe sie neulich mal durchgeschaut und da gibt es schon ein paar. Einer ist unter einem extremen Zeitdruck entstanden im Jahr 2006. An einem Freitagnachmittag gab Jürgen Klinsmann bekannt, dass Oliver Kahn aus dem Tor fliegt und mein fertiger Comic passte plötzlich gar nicht mehr. In Windeseile habe ich dann Kahn als gestürzte Statue gezeichnet und Klinsmann, wie er als kleiner Hund gegen das Denkmal pinkelt. Das war tags darauf in vielen Zeitungen, weil es superaktuell war.

Haben Sie Dinge im Giftschrank liegen, die noch keiner gesehen hat und auch niemals jemand sehen wird?

Härringer: Ja, die gibt es. Übrigens auch eine Spottschau mit Mayer-Vorfelder, die einfach zu schlecht war und nirgends erschienen ist. Zwei, drei andere sind unveröffentlicht und auch in keinem der Bücher erschienen.

Und jetzt auf die nächsten 1 000?

Härringer (lacht): Oh Gott. Ich bin jetzt 57, dann wäre ich ja 72. Na ja, arbeiten werde ich dann noch müssen. (GEA)