Melbourne (dpa) - Dominic Thiem ist Alexander Zverev einige Schritte voraus. Klar, der Österreicher ist vier Jahre älter und verfügt auch deswegen über mehr Erfahrung. Aber der Österreicher ist auch reifer als Zverev.
Und er hat nun die Chance, die Serie der großen Drei der Tennis-Szene - Novak Djokovic, Roger Federer und Rafael Nadal - zu beenden. »Er gehört ja nicht zur Next Generation, er ist längst ein etablierter Spitzenspieler. Er hat alle Mittel, die Erfahrung, die Kraft, große Titel zu gewinnen«, sagte Djokovic bereits und hob die Klasse seines Final-Gegners an diesem Sonntag (09.30 Uhr MEZ/Eurosport) mit einem Wort hervor: »Sagenhaft.«
Thiem ist der klare Herausforderer. Djokovic der Topstar. Anders als es für Zverev gewesen wäre, tritt Thiem allerdings nicht zu seinem ersten Grand-Slam-Endspiel an. Zweimal schon versuchte der Weltranglisten-Fünfte jedoch vergeblich, den Spanier Nadal bei den French Open zu stoppen. Ob er auch daraus für Sonntag gelernt hat?
Wie bei Zverev steht auch beim hoch gehandelten griechischen Shootingstar Stefanos Tsitsipas die Bilanz der Grand-Slam-Endspiele noch bei Null. Der Russe Daniil Medwedew hat ein Finale erreicht. Wem es glückt und wann, die Vorherrschaft der drei Anführer zu brechen, ist eine der spannendsten Fragen für diese Saison. Thiem wäre der erste Grand-Slam-Sieger seit den US Open 2016 (Stan Wawrinka), der nicht zu den »Big Three« zählt.
Als erster Österreicher schaffte es Thiem ins Endspiel der Australian Open, weil er abgeklärter und in entscheidenden Phasen mutiger spielte als Zverev. Es war sein fünftes Halbfinale auf dieser Stufe, für Zverev das erste. Thiem geht nicht chancenlos in den Schlussakt von Melbourne. »Er spielt das beste Tennis seines Lebens«, sagte Zverev über seinen Kumpel. »Er spielt noch viel besser, als er in London gespielt hat.«
Spätestens seit seinen phänomenalen Kraftakten von den ATP Finals in London zählt Thiem endgültig zur Tennis-Schwergewichtsklasse, dort bezwang er Federer und Djokovic nacheinander. Ein Indiz, dass Thiem bereit ist für den Coup. Natürlich spricht die Erfahrung für den Weltranglisten-Zweiten Djokovic: Er gewann die Australian Open sieben Mal, entschied alle sieben Endspiele in Melbourne für sich.
Für Djokovic ist die Rod-Laver-Arena von Melbourne, was für Nadal die rote Asche von Roland Garros ist. »Es ist natürlich nicht ganz so extrem, aber er spielt hier immer in absoluter Topform«, sagte Thiem: »Er ist der Tenniskönig von Australien.« Wie Nadal in Paris.
Aber: Der in der Wiener Neustadt geborene und in Lichtenwörth lebende Profi hat Djokovic nicht nur in vier der vergangenen fünf Partien besiegt, sondern ihn auch zweimal bei Grand Slams über drei Gewinnsätze geschlagen. Und vom Sandplatzspezialisten hat er sich zu einem der besten Hartplatzspieler entwickelt.
Als erst zweiter österreichischer Grand-Slam-Sieger nach Thomas Muster möchte sich Thiem jetzt in der Tennis-Geschichte verewigen. Aber ohne dessen Ratschläge. Kurioserweise startete er mit dem French-Open-Sieger von 1995 als Mitglied in seinem Trainer-Team ins Turnier. Muster sollte ihm helfen, eben diesen letzten Schritt zum Grand-Slam-Champion zu gehen. Nach dem Achtelfinale gab Thiem das Ende der Zusammenarbeit bekannt, nach nur zwei Wochen. Thiem trennte sich, weil es von der internen Stimmung nicht gepasst habe. »Ich bin 26«, sagte er. Er sei alt genug, lange genug auf der Tour: »Ich bin erfahren, ich muss die richtigen Entscheidungen treffen.«