FRANKFURT. Anglizismen sind im Sprachgebrauch das Gebot der Stunde. Zumindest bei Bundestrainer Julian Nagelsmann. Nach dem 2:1-Sieg über die Niederlande sprach er in Frankfurt vom »Drive«, »Spirit« und der »Power« seines Teams, als er die Leistung der Fußball-Nationalmannschaft beschrieb. Da sah er Zug und Ehrgeiz in den Aktionen, die Stärke auf dem Platz imponierte ihm und auch der Teamgeist und Wille waren Erfolgs-Faktoren. Gerade in der Schlussphase. »Ich hatte das Gefühl, dass wir unbedingt gewinnen wollen. Da haben wir die Zuschauer, nachdem es zwischendurch ruhiger war, wieder richtig heiß gemacht«, sagte der Coach, nachdem sein Team eine komplette Kehrtwende hingelegt hatte. Plötzlich wird das im vergangenen Jahr noch vielkritisierteTeam gefeiert und die Hoffnung auf ein Sommermärchen hat neue Nahrung erhalten.
Dieser Eindruck hatte sich schon beim unerwarteten 2:0-Erfolg vier Tage zuvor in Frankreich aufgedrängt. »Der Spirit war ganz anders als im November. Das ist das Verdienst der Spieler«, lobte Nagelsmann. Die Chemie stimmt offenbar im Team, die Leidenschaft - auch im Training - ebenfalls. Der Auftritt gegen die Niederlande im Heimspiel machte Bundestrainer und Spielern Spaß, wenngleich der Erfolg aufgrund aufgrund mehrerer Großchancen der Gäste am seidenen Faden hing.
»Wir waren gallig und wollten die Zweikämpfe gewinnen«
Aber dann kamen die deutschen Einwechselspieler an die Reihe und sorgten mit ihren druckvollen Aktionen dafür, dass das Pendel wieder zugunsten der Gastgeber ausschlug. Die meisten Spiele bei einer EM würden nicht in der ersten Halbzeit, sondern in der letzten halben Stunde entschieden werden, dozierte Nagelsmann. Als seine Elf zur großen Schluss-Offensive blies, hatte er bereits alle sechs Wechsel durchgezogen. Mit Chris Führich, Pascal Groß, Niclas Füllkrug, Thomas Müller, David Raum und Benjamin Henrichs kam frischer Wind von der Bank - genau so, wie es sich Nagelsmann vorstellt. "Sie haben das Spiel mitentschieden", sagte er. "Da haben wir von außen nochmal Energie bekommen", stellte Müller fest. »Wir waren gallig und wollten die Zweikämpfe gewinnen«, ergänzte Sieg-Torschütze Füllkrug.
Diesen Biss und dieses Akezptieren der Aufgabe hat der Coach während der zehn Tage mit dem Kader von jedem Einzelnen gefordert und es auch unmissverständlich kommuniziert. Füllkrug sprach von einer »klaren Zuteilung«. Außer den Stammspielern, die in beiden Partien begannen, gibt es noch die Herausforderer - sprich: Einwechselspieler. Dazu gehört auch der gesperrte Leroy Sané. Der Bayern-Star müsse sich in eine funktionierende Truppe »eingliedern«, unterstrich Nagelsmann.
»Er ist ein unfassbar lieber Kerl, freundlich, immer gut gelaunt«
Aber der technisch so begabte Spieler mit den großen Leistungsschwankungen ist für den Europameisterschafts-Kader vorgesehen - ebenso wie die beiden Stuttgarter Chris Führich und Maximilian Mittelstädt. Das machte der Coach in Frankfurt deutlich. Über Flügelflitzer Führich sagte Nagelsmann: "Er riskiert viel, probiert viel und ist eklig zu verteidigen." Und Mittelstädt ist zwar als Außenverteidiger defensiv alles andere als sattelfest, wie die Partien in Frankreich und gegen die Holländer zeigten. Aber der 27-Jährige spielt mutig, lässt sich nach Fehlern nicht hängen und bleibt seinem Spiel treu. Sein Weitschuss-Knaller zum Ausgleich ist der Beleg. Das imponiert Nagelsmann wie auch Mittelstädts Bodenständigkeit: »Er ist ein unfassbar lieber Kerl, freundlich, immer gut gelaunt«, lautet die Charakteristik aus berufenem Munde.
Mittelstädt selbst beschreibt seine Leistungsentwicklung in dieser Saison als »extremen Sprung. Klar will ich bei der EM spielen. Ich fühle mich bereit.« Nagelsmann geht davon aus, dass nur noch ein bis zwei Spieler plus Verletzte im Kader getauscht werden. Für Mittelstädt und die Mitspieler gilt es nun, mit der Nationalmannschaft die Euphorie-Welle vor der Euro weiter zu schüren. Mit guten Leistungen - und natürlich Siegen. Die nächsten Gelegenheiten bieten sich bei den letzten Tests vor der EM. Am 3. Juni ist in Nürnberg die Ukraine der Gegner, ehe am 7. Juni in Mönchengladbach Griechenland zur Generalprobe bittet. Bis dahin ist für Übermut kein Platz. »Wir bleiben demütig«, sagte Müller. (GEA)