Melbourne (dpa) - Am Tag vor seinem bislang wichtigsten Grand-Slam-Auftritt schottete sich Alexander Zverev ab. Kein Trubel beim Training sollte ihn von seinem großen Ziel ablenken, bei den Australian Open als erster Deutscher seit Rainer Schüttler 2003 in ein Grand-Slam-Endspiel einzuziehen.
Unter Ausschluss der Reporter und Fans bereite sich Zverev auf die Finalchance gegen seinen österreichischen Kumpel Dominic Thiem am Freitag (09.30 Uhr MEZ/Eurosport) vor, lautete die Auskunft der Veranstalter.
Als plötzlicher Titelkandidat ist Zverev wieder ins Rampenlicht gerückt. Auch die australische Tageszeitung »The Age« informierte prominenter als in den vergangenen zwei Wochen vom Versprechen des Hamburgers, im Falle des Titels das Preisgeld von rund 2,5 Millionen Euro für Hilfe nach den Buschbränden zu spenden.
»Dieses Jahr kam ich mit absolut keinen Erwartungen zu den Australian Open, weil ich so schrecklich gespielt habe«, sagte Zverev, erster deutscher Halbfinalist in Melbourne seit Tommy Haas 2007. »Vielleicht ist das das Sprungbrett. Vielleicht sollte es so passieren.«
In der deutschen Tennis-Geschichte haben die Australian Open ihren außergewöhnlichen Platz ohnehin sicher. Nicht nur, weil Zverev nach zuvor 18 vergeblichen Versuchen auf den bedeutendsten Bühnen seiner Sportart in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York nun erstmals die »Grenze« (Zverev) Viertelfinale überschritten hat.
Alle sechs deutschen Tennis-Herren, die vor Zverev in der Profi-Ära ein Grand-Slam-Halbfinale erreicht haben, haben das auch in Melbourne geschafft. Schüttler stand hier als bislang letzter Deutscher vor 17 Jahren im Endspiel. Becker gewann hier 1996 zuletzt einen Titel.
Und was macht Zverev? Vor Turnierbeginn hatte er in der hintersten Ecke des Pressebereichs gesessen und nicht recht gewusst, was er sich vornehmen sollte. Er sagte: »Mal schauen. Vielleicht sitzen wir auch in zwei Wochen hier und haben ein Interview nach meinem Halbfinale, und ich stehe im Finale. Das kann ja auch sein.« Es war keine Vorahnung, es war auch keine forsche Ansage. Es wirkte, als ob er es einfach so dahin sagte. Dass er das Endspiel am Freitag tatsächlich erreichen kann, hatte wohl keiner in dem Moment für möglich gehalten. Es wurde eher darüber gerätselt, wie er die erste Runde übersteht.
Die Anekdote sagt einiges über Zverevs Stellenwert vor zwei Wochen aus. Das Wochenende vor einem Grand Slam ist für Presserunden der Stars reserviert. Auch Zverev hat diese Pflicht schon in den größten Pressesälen wahrgenommen, schließlich galt er früh als Nachfolger von Rafael Nadal, Novak Djokovic und Roger Federer. Diesmal hatte der Weltranglisten-Siebte international wenig Interesse ausgelöst. In einem kleinen abgelegenen Raum hatte er Rede und Antwort gestanden.
Konkurrenten wie der russische US-Open-Finalist Daniil Medwedew (23) oder der griechische Shootingstar Stefanos Tsitsipas (21) haben ihm in den vergangenen Monaten den Rang abgelaufen. »Dass er sich trotz aller Kritiken, gerade wenn es mal nicht so läuft, nicht unterkriegen lässt, weitermacht und vor allem kämpft«, sei beeindruckend, sagte Zverevs Freundin Brenda Patea (26) der »Bild«.
Auch Thiem (26) ist der deutschen Nummer eins in der Karriere voraus. Zweimal stand der Weltranglisten-Fünfte im Endspiel der French Open in Paris, musste sich nur dem Sandplatz-Dominator Nadal beugen, den er jetzt in einem packenden Viertelfinale aus dem Turnier nahm. Dass die Nummer fünf der Welt über fünf Sätze und vier Stunden schuftete, sieht Boris Becker neben »mentaler Stärke« als Vorteil für Zverev.
Andere Zahlen sprechen für den Österreicher mit der einhändigen Rückhand, der von einer »netten Rivalität« mit Zverev spricht. Nur zwei von acht Duellen gewann Zverev. Bei den French Open 2018 blieb er chancenlos, wurde dabei aber von seinem schmerzenden Oberschenkel im Stich gelassen. Beide verbindet eine Tennis-Freundschaft, gleichzeitig wetteifern sie darum, wer die Vorherrschaft von Roger Federer, Novak Djokovic und Rafael Nadal beendet. Wird es Zverev? Auch in seiner Karriere ist der Melbourne Park schon ein spezieller Platz. Schon einmal feierte er hier einen Grand-Slam-Titel - vor sechs Jahren bei den Junioren.