KÖLN. Er ist ein Star in der Influencer-Szene und hat sich vor einiger Zeit auf die Fahne geschrieben, sein eigenes Ding zu starten. Die Rede ist von Simon Schildgen alias »Gamerbrother«, der seit Kindheitstagen glühender Anhänger des klein geschrumpften Scheinriesen FC Schalke 04 ist. Groß geworden ist der 25-Jährige durch das Zocken des Videospiels Fifa. Dem Content-Creator folgen auf der Video-Streaming-Plattform Twitch 500.000 Leute, auf YouTube sind es inzwischen sogar mehr als eine Million Menschen. Zocken ist auch heute noch sein Ding. Doch immer häufiger bewegt sich der Content von Gamerbrother in Richtung der realen Fußball-Welt. Bei seinen Videos, häufig in so genannten »Real-Talk-Formaten«, nimmt Schildgen kein Blatt vor den Mund und trägt sein Herz auf der Zunge. Das kommt an.
Groß geworden ist der 25-Jährige auch mit der Fußball-Talkshow Doppelpass. Wie so viele andere Fußball-Fans, lauschte auch er in seiner Jugend aufmerksam und regelmäßig den hitzigen Diskussionen in der Sport1-Kultsendung am Sonntagmorgen, wenn FC Bayerns Patriarch Uli Hoeneß am Tegernsee in einer schlechten Minute mal wieder zum Hörer griff und sich wutentbrannt in die Expertenrunde durchstellen ließ. Doch in den vergangenen Jahren habe sein Interesse nachgelassen. Warum? »Weil mir der neue Anstrich in der Fußballtalkshow-Landschaft gefehlt hat«, erklärt Schildgen im exklusiven Gespräch mit dem GEA.
»Wir wollen es moderner gestalten und das oftmals Steife aus den Talkrunden rausbekommen«
Was also machen? »Ich hatte über Monate und Jahre einen zunächst wirren Gedanken in meinem Kopf«, berichtet er. Mit anderen Worten: Schildgen wollte seine Ideen in einer eigenen Fußball-Talkshow verwirklichen. »Es moderner gestalten und das oftmals Steife aus den Talkrunden rausbekommen«, wie der gebürtige Herner weiter betont. »Ich habe dann einfach mal ein Konzept runtergeschrieben, wie ich mir persönlich die perfekte Fußballtalkshow vorstelle.«
Es war die Geburtsstunde von »AtBroski – Die Sportshow«, die inzwischen auf 19 Ausgaben blickt, pro Episode mehr als 600.000 Zuschauer erreicht und innerhalb von nur 19 Monaten neben dem Doppelpass und Sky90 zur relevantesten Talkshow in Fußball-Deutschland aufgestiegen ist. Doch was unterscheidet die AtBroski-Show, die zur Influencer-Agentur Fairplay-Management gehört, von den etablierten Kräften der Branche? Der GEA durfte Mitte September in Köln exklusiv hinter die Kulissen blicken.

Bereits weit vor der Stundenmarke bis Showbeginn hat sich die Warteschlange vor dem Studio im Kölner XPERION-Center, das sich selbst als die Gaming-Location Deutschlands betitelt, gut gefüllt. Das Durchschnittsalter des wartenden Publikums? Anfang, Mitte 20. Sie alle fallen genau in die Zielgruppe von AtBroski. 65 Prozent der Zuschauer seien zwischen 18-24 Jahre alt, berichtet Tobias Meinhard, Projektleiter der Show und Mann für alles hinter den Kulissen.
Das junge Publikum ist neben der Art der Übertragung – AtBroski wird via Twitch-Livestream und YouTube ausgestrahlt – sowie der monatlichen Ausstrahlung der signifikanteste Unterschied im Vergleich zum wöchentlich erscheinenden Doppelpass oder Sky90. Von einem Konkurrenzdenken will der Showgründer allerdings nichts wissen. Gleich zu Beginn des Gesprächs sagt Schildgen: »Der Doppelpass und wir sind keine Konkurrenten. Die Zielgruppe ist eine ganz andere, da gibt es keinerlei Überschneidungen. Es ist eher eine Ergänzung.«
In der heutigen Sendung ist mit Sascha Mockenhaupt, Kapitän von Zweitligist Wehen Wiesbaden, erneut ein Profi-Fußballer zu Gast. Auch das ist fester Bestandteil der Show und bildet zugleich ein Novum auf diesem Terrain. Unter anderem sind mit Marius Wolf (Borussia Dortmund), Jonas Hofmann, Robert Andrich (beide Bayer Leverkusen), Anton Stach (TSG 1899 Hoffenheim) oder Andreas Luthe (1. FC Kaiserslautern) gleich eine handvoll weitere Profis mit spannender Vita in den vergangenen Monaten der Einladung von Gamerbrother gefolgt.
Doch nicht etwa ein möglichst großer Name soll auf der Couch im 200 Zuschauer fassenden Kölner Studio – das mit sehr viel Liebe zum Detail vom knapp 20 Personen umfassenden AtBroski-Team für jede Show thematisch passend eingerichtet wird – auf Teufel komm raus Platz nehmen, sondern Protagonisten, die inhaltlichen Tiefgang liefern. Eine Frage, das erzählt Schildgen, die ihn immer wieder erreiche: Was würdest du machen, wenn Cristiano Ronaldo in deiner Show sitzt? Der Moderator entgegnet: »Dann hätte ich eine Show mit Ronaldo, die brutal gut laufen würde. Aber wenn ich danach drei schlechte Shows habe, dann interessiert das keinen mehr. Wir wollen konstant abliefern. Das ist unser Anspruch.«
Diesen Punkt haben die Macher hinter der AtBroski-Show schnell erkannt: Fußballer wie Mockenhaupt haben spannende Dinge zu erzählen. Meist sogar noch deutlich Spannendere als manch prominenteres Gesicht, dem seit Kindheitstagen in den Nachwuchsleistungszentren des Landes der typische PR-Sprech eingeimpft wurde. »Diese Leute reden einfach frei nach Schnauze, weil es ihnen egal ist. Solche Personen sind super wichtig für die Show«, sagt Projektleiter Meinhard.
»Wir haben nicht das Ziel, dass unsere Gäste zwingend unter 40 oder 30 sein müssen«
Er wird in seiner Einschätzung voll bestätigt. Mockenhaupt ist wortgewandt, kann auf eine bemerkenswerte Geschichte blicken – der 32-Jährige hat nie ein NLZ von innen gesehen – und nimmt kein Blatt vor den Mund. Als der Wiesbaden-Verteidiger, der bekennender BVB-Fan ist, beim Champions League-Themenblock in Bezug auf die Dortmunder Todesgruppe plötzlich in der Wir-Form spricht, wirkt das herzerfrischend ehrlich und einfach anders, als man es sonst aus dem Mund eines Fußball-Profis zu hören gewohnt ist.
Das weitere Lineup an diesem Tag setzt sich zusammen aus Kerry Hau (Sport1-Chefreporter), Mario Rieker (Kommentator bei Dazn), Christina Rann (Kommentatorin für Dazn und MagentaSport) und Alexander Nouri (Ex-Bundesligatrainer/Werder Bremen und Hertha BSC).

Auffällig: Mit 44 Jahren ist Nouri der Älteste in der Runde. Eine bewusste Entscheidung? Frei nach der Gleichung: Junges Publikum gleich junge Gäste? »Nein. Es ist ganz einfach: Die Leute, die wir cool finden und glauben, dass sie einen Mehrwert liefern können, laden wir ein. Wir haben nicht das Ziel, dass unsere Gäste zwingend unter 40 oder 30 sein müssen«, erklärt der Moderator.
Das Gegenbeispiel lieferte die Show im April, als das 68-jährige Trainer-Urgestein Peter Neururer bei AtBroski sich die Ehre gab. »Der hat ein echtes Feuerwerk abgeliefert«, sagt Schildgen und lacht. Ihm ist es mit seiner Show innerhalb kürzester Zeit gelungen, eine Symbiose zu schaffen. Zwischen erfahrenen Leuten, die schon Jahrzehnte im Geschäft unterwegs sind und denjenigen, die erst seit vier, fünf Jahren ihre beruflichen Leidenschaft im Fußball-Zirkus gefunden haben. Dennoch hält der 25-Jährige den Ball flach. Er sagt – und das ist ihm enorm wichtig: »Wir haben das Rad nicht neu erfunden.«
Schon klar. Das Fußball-Geschäft diktiert auch der AtBroski-Show in gewisser Weise die Themen. Und doch fällt die Ausgestaltung anders aus, als bei den beiden anderen Talkshow-Mitstreitern. Die Sie-Form? Ein Fremdwort. Die Fragen? Flapsig. Die Aufmachung? Jung, dynamisch, modern. Die Moderation? Nicht ins Wort fallend und ohne jeglichen Geltungsdrang. Und Moderator Gamerbrother selbst? Macht es sich in seinem Sessel bequem und zückt auch mal sein iPhone, um kurz mal etwas zu checken. Alles kein Problem. Denn so erweckt AtBroski den Eindruck, als hätten sich ein paar gute Kumpels in entspannter Atmosphäre zum lockeren Fußball-Schnack bei einem Bierchen nach Feierabend verabredet.
»Hier konnte man wirklich das Thema in der Tiefe durchdringen und wurde nicht direkt unterbrochen«
Das Highlight an diesem Septembertag liefert der ehemalige Bundesliga-Coach Nouri. In einem 18-minütigen Monolog zerpflückt er das Ausbildungssystem des Deutschen-Fußball-Bundes (DFB) bis ins kleinste Detail, erklärt warum andere europäische Top-Nationen dem DFB weit voraus sind und geht ausführlich auf den relativen Alterseffekt im Fußball ein – einem in der öffentlichen Berichterstattung mit am wenigsten beachteten und doch so ausschlaggebenden Punkt für die Beurteilung von Talenten. »Hier konnte man wirklich das Thema in der Tiefe durchdringen und wurde nicht direkt unterbrochen. Das fande ich wirklich sehr angenehm«, sagt Nouri nach der Show.
Es ist genau dieser kleine Ausschnitt aus der mehr als zwei Stunden langen Sendung, der zeigt, wofür Gamerbrother stehen will: Raus aus dem von Spiel-zu-Spiel-Denken und rein in die tiefgründige Diskussion. »Wir wollen keinen Wiederkäuer-Effekt und nicht das aufgreifen, was vor zwei Wochen schon tot diskutiert wurde«, nennt Schildgen seine Herangehensweise. Das zieht auch beim Publikum. Mehr als 90.000 Menschen haben sich das Highlight-Video von Nouri auf dem YouTube-Kanal von AtBroski inzwischen angesehen – ein Spitzenwert.
»Früher war es immer der Traum, als Experte in eine solche Runde eingeladen zu werden«, erzählt Gamerbrother. Heute moderiert er sein eigenes Format, das der Fußball-Branche einen erfrischend, anderen Anstrich gibt. Bereits am Montag stieg die 19. Ausgabe. Das soll erst der Anfang sein. AtBroski ist der neue, helle Stern am deutschen Talkshow-Himmel. (GEA)