LONDON. Nach dem größten Triumph seiner Karriere ließ sich Alexander Zverev auf den blauen Untergrund fallen und schlug ungläubig die Hände vor sein Gesicht. Danach ging er in seine Box und fiel seinem Vater Alexander Senior und seinem Coach Ivan Lendl um den Hals.
Mit dem sensationellen Gewinn der ATP-WM ist Deutschlands bester Tennisspieler endgültig im Kreis der ganz Großen angekommen. Im Finale von London setzte sich der 21-Jährige am Sonntagabend gegen den serbischen Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic mit 6:4, 6:3 durch und holte damit beim Saisonabschluss der acht besten Spieler als erster Deutscher seit Boris Becker 1995 den Titel. »Ein neuer Star ist geboren«, sagte Becker als Experte im englischen TV-Sender BBC.
»Das ist natürlich der größte Erfolg in meiner Karriere. Ich kann es noch gar nicht fassen«, sagte Zverev nach seinem Sieg in 1:20 Stunden. Nachdem Zverev in der Gruppenphase noch klar in zwei Sätzen gegen Djokovic verloren hatte, ließ er dem fünfmaligen Champion der ATP-Finals dieses Mal keine Chance. »Du hast den Sieg ganz klar verdient. Du hast ganz offensichtlich etwas besser gespielt als noch vor ein paar Tagen«, sagte Djokovic voller Anerkennung.
Nachdem Zverev bislang bei den Grand-Slam-Turnieren nicht hatte überzeugen konnte, zeigte er es diesmal mit seinem Triumph allen Kritikern. Der Lohn: 2,5 Millionen Dollar und der Sprung auf Platz vier der Weltrangliste.
Im Halbfinale hatte Zverev bereits mit dem Sieg gegen Roger Federer für eine Überraschung gesorgt. Gegen Djokovic knüpfte er an diese starke Leistung an und gewann am Ende völlig verdient. Er ist erst der dritte Deutsche überhaupt, der das prestigeträchtige Turnier gewinnen konnte. Neben Becker war dies auch Michael Stich gelungen.
Nach den Pfiffen im Anschluss an das Spiel gegen Federer wurde Zverev vor dem Finale mit freundlichem Applaus von den Zuschauern empfangen. Am Tag zuvor hatten zahlreiche Federer-Fans ihrem Unmut über das Aus des 37 Jahre alten Publikumslieblings freien Lauf gelassen. Zverev hatte im Tiebreak des zweiten Satzes einen Ballwechsel wiederholen lassen, weil ein Balljunge einen Ball fallengelassen hatte. Dass der deutsche Top-Spieler regelkonform gehandelt hatte, räumte später aber selbst Federer ein. »Pfiffe haben beim Tennis absolut nichts zu suchen«, sagte der Schweizer.
Zverev hatten die Vorfälle am Samstag deutlich mitgenommen, doch gegen Djokovic war die deutsche Nummer eins wieder voll da. Er spielte von Beginn an druckvoll und beeindruckte den Serben mit überragendem Grundlinien-Tennis. Da der 21-Jährige zudem wieder sehr gut aufschlug, konnte Djokovic nicht an seine starken Leistungen aus den bisherigen Partien in London anknüpfen. Zum 5:4 nahm Zverev dem fünfmaligen ATP-Finals-Champion das Service ab, nach 39 Minuten nutzte er seinen zweiten Satzball zum 6:4. Es war der erste Satzverlust für Djokovic im gesamten Turnierverlauf.
Auch im zweiten Abschnitt startete Zverev furios. Der Nummer fünf der Welt gelang sofort wieder ein Break, ein Raunen ging durch die O2-Arena. Doch dann wurde Zverev ein bisschen hektisch und musste ebenfalls sein Service abgeben. Allerdings dauerte die Schwächephase nicht lange. Zverev fing sich sofort wieder und schaffte ein weiteres Break. Damit war der Weg für den gebürtigen Hamburger frei. Djokovic verzweifelte am konstanten Spiel des Deutschen, der sich auf dem Weg zum größten Erfolg seiner Karriere nicht mehr aufhalten ließ.