Hannover (dpa) - Stellt man sich eine sportliche Krise wie einen Rucksack voller Niederlagen, Negativerlebnisse und unangenehmer Nachfragen vor, dann hat ihn Hannover 96 beherzt in beide Hände genommen und dem VfB Stuttgart in den Vorgarten geschmissen.
Denn das bisherige Schlusslicht gewann dieses Kellerduell der Fußball-Bundesliga völlig verdient mit 3:1 (2:0) und schob den letzten Tabellenplatz und die damit verbundene Unruhe ins Ländle ab.
Während die 96-Profis mit ihren Fans völlig erleichtert den ersten Saisonsieg feierten, musste sich Stuttgarts Sportvorstand Michael Reschke im Kabinentrakt der HDI-Arena vor seinen immer mehr in die Kritik geratenden Trainer Tayfun Korkut stellen. »Die Trainerfrage stellt sich nicht«, sagte Reschke am Samstag. »Das ist nach sieben Spieltagen eine total enttäuschende Zwischenbilanz. Aber es ist definitiv noch genug Substanz in der Mannschaft und im Trainerteam, um einen Neustart zu schaffen. Wir werden alles daran setzen, um in dieser Konstellation wieder erfolgreich zu sein.«
Hannovers Neuzugang Bobby Wood schoss in der ersten Halbzeit seine ersten beiden Tore für den neuen Verein. Die Leihgabe des Hamburger SV traf in der 30. Minute sowie kurz vor dem Pausenpfiff (45.+1) jeweils per Kopf. Trotz des Anschlusstreffers von Mario Gomez (50.) war der VfB an diesem Tag vor 40.800 Zuschauern ein idealer Aufbaugegner. Eine von gleich mehreren guten Chancen zur vorzeitigen Entscheidung nutzte Ihlas Bebou in der Nachspielzeit zum 3:1 (90.+1).
»Wir haben unheimlich viel investiert und haben uns heute endlich belohnt. Wir haben heute das Glücksgefühl bekommen, das jeder Fußballer benötigt«, sagte Hannovers Trainer André Breitenreiter nach zuvor sechs Spielen ohne Sieg mit vier Niederlagen in Serie.
Der frühere 96-Coach Korkut hat in Stuttgart nun auch deshalb ein Problem, weil sein Krisenmanagement und seine taktische Ausrichtung im Vergleich zu Breitenreiters Strategie so sichtbar abfielen.
Wie angekündigt, wollte Hannover diesen ersten Sieg mit allen Mitteln erzwingen. Breitenreiter schickte dazu mit Wood, Bebou, dem rechtzeitig wieder fit gewordenen Niclas Füllkrug sowie Takuma Asano gleich vier besonders angriffslustige Spieler aufs Feld und ließ sich davon auch nicht abbringen, als der frühere Stuttgarter Asano schon nach wenigen Minuten verletzt ausgewechselt werden musste (14.).
Sein Vor-Vor-Vor-Vorgänger Korkut entschied sich für die genau entgegengesetzte Marschroute und bot selbst gegen das angeschlagene Schlusslicht fünf Abwehrspieler und nur zwei Offensivkräfte (Daniel Didavi, Mario Gomez) auf. Das erwies sich als fatales Signal an beide Kontrahenten, denn Stuttgart blieb nur eine Woche nach dem Erfolgserlebnis gegen Werder Bremen erstaunlich passiv und verhalf dem Gegner so von Beginn an zu Spielkontrolle und Selbstsicherheit.
»Die Idee, die wir uns vorgenommen haben, hat nicht funktioniert«, räumte Korkut selbstkritisch ein. Daran ändert auch nichts, dass er seine Taktik zur Pause über den Haufen warf und durch die Einwechselung der beiden Offensivkräfte Erik Thommy und Nicolas Gonzalez eine deutlich bessere zweite Halbzeit erzwang. »Natürlich: Das ist ein Rückschlag. Und das ist letztendlich meine Verantwortung als Trainer. Gerade die erste Halbzeit dürfen wir nicht schönreden.«
Davon ist auch Sportvorstand Reschke bei allem Vertrauen in seinen Trainer weit entfernt. »Wir waren vor der Saison zuversichtlich, dass wir mit dem Abstiegskampf nichts zu tun haben«, sagte er. »Aber jetzt sieht es so aus, dass wir mittendrin stecken.«