REUTLINGEN. Bei der munteren Runde gestern Abend wurde vielfach festgestellt, dass bei vielen Vereinen ganz dringend an den Strukturen gearbeitet werden muss. Doch immer wieder rückte die Stadt Reutlingen in den Fokus. Einhelliger Tenor: Reutlingen war mal eine Sportstadt, ist aber längst keine Sportstadt mehr.
IOC und die Region. Christoph Fischer, seines Zeichens GEA-Chefredakteur und Sportchef dieser Zeitung, spannte einen weiten Bogen. Er sehe einen Zusammenhang zwischen Olympia und dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) sowie der Region. Fischer ist »überzeugt, dass Spitzensport in der Region viel bewirken kann«. Er könne sich »nichts Besseres vorstellen als eine deutsche Olympia-Bewerbung«. Die Bewilligung der 31 Milliarden Euro, mit denen die Bundesregierung von 2021 an Sportstätten in Deutschland sanieren, modernisieren und neu bauen möchte, sei mit einer Olympia-Bewerbung im Rücken eher umzusetzen, so Fischer.
Eindrücke. Christoph Fischer hat die längste Zeit seines Lebens in anderen Regionen Deutschlands verbracht. Als er nach Reutlingen kam, musste er feststellen, dass die Stadt »ein völlig überdimensioniertes Stadion« hat, dass es keine spitzensporttaugliche Halle und kein vernünftiges Hallenbad gibt, in dem überregionale Wettkämpfe ausgetragen werden könnten. Fischer entdeckte aber auch eine »für kleine Fußballvereine bemerkenswerte Infrastruktur«. In Reutlingen und in vielen umliegenden Gemeinden tummeln sich die Fußballer auf feinen Kunstrasenfeldern, während in anderen Bundesländern auch heute noch auf roter Asche gekickt wird.
Kleinkariert. Heinz Bertsch brachte mit seinem wie immer engagiert vorgetragenen Statement gleich zu Beginn der Runde die Diskussion ins Laufen. In der Großstadt Reutlingen werde kleinstädtisch, kleinkariert gedacht. In jeder auch nur halb so großen Stadt gebe es eine große Halle. »Der Spitzensport fördert den Breitensport«, gab Bertsch zu bedenken. Als Beispiel fügte er die Namen Steffi Graf und Boris Becker hinzu, die in den 1980er-Jahren für einen Boom im Tennissport sorgten. In Reutlingen sei es versäumt worden, eine große Sportstätte zu bauen. In den 1970er-Jahren feierte das Tischtennis-Team des SSV Reutlingen um die Asse Peter Stellwag und Mikael Appelgren auch auf europäischer Ebene große Erfolge. Noch früher zogen Box-Veranstaltungen Menschenmassen an. Eine große Halle wurde jedoch nicht gebaut. »Wir würden gerne einmal deutsche Senioren-Meisterschaften im Tischtennis austragen – das ist nicht möglich«, stellte Gunter Klugmann fest.
Erfahrungswerte. Jutta Fundel, einst im Hürdensprint eine der besten deutschen Leichtathletinnen und mittlerweile in der Arbeitsgemeinschaft Reutlinger Sportvereine (ARS) eine treibende Kraft, blickte auf ihre Laufbahn zurück. Sie startete einst für die TSG Reutlingen, hatte aber in der Achalmstadt bald nicht mehr die nötigen Trainingsmöglichkeiten, um in der deutschen Spitze mitzumischen. »Also musste ich in Stuttgart oder Sindelfingen trainieren – und irgendwann musste ich auch für dortige Vereine starten.«. Gunter Klugmann erinnerte sich an ein Turnier ehemaliger Tischtennis-Größen, das in der Oskar-Kalbfell-Halle hätte ausgetragen werden sollen. Logischerweise an jener Stätte, wo einst Weltklasse-Tischtennis zelebriert wurde. Weil der Termin Dreikönigstag aber offensichtlich ungünstig war, sperrte die Stadt Reutlingen die Halle. Aus welchen Gründen auch immer. Die Veranstaltung ging in der Pfullinger Kurt-App-Halle über die Bühne. Veranstaltungs-Blockade – da hatte auch Andreas Will ein Beispiel parat. Die TSG Reutlingen veranstaltete früher einen Triathlon-Wettbewerb, musste aber für die Straßensperrung »eine Unsumme an die Stadt zahlen«. Die TSG richtet seither keinen Triathlon-Wettkampf mehr aus. »Ein Entgegenkommen der Stadt würde schon helfen«, so Will. Tobias Buss erzählte von den Schwierigkeiten der Landesliga-Handballer der TSG Reutlingen, die in der Storlachhalle nur in den Spielen, aber nicht im Training harzen dürfen. Handball ohne Harz – das ist eine andere Sportart.
Sportentwicklungsprojekt. Jutta Fundel entdeckte einen Hoffnungsschimmer. Mit dem Sportentwicklungsprojekt befinde sich Reutlingen auf einem Weg, der beispielsweise den Schwimmern künftig bessere Möglichkeiten biete.
Vereine. Viele Clubs seien in puncto Strukturen in den 1980er-Jahren stecken geblieben, stellte Andreas Will fest. Tobias Buss, der als Geschäftsführer der TSG Reutlingen einen exzellenten Einblick in die Vereinsarbeit hat, gab zu bedenken, dass »die Preis-Struktur in den Vereinen immer ein Riesenthema« sei.
Fazit. Christoph Fischer formulierte die Hoffnung, dass Reutlingen wieder den Weg zu einer Sportstadt einschlägt. »Wenn man sich dazu bekennt, was man nicht ist, kann man es irgendwann wieder werden.« Beklagt wurden das Desinteresse potenzieller Sponsoren am Sport und die immensen Probleme im Schulsport. »Wenn der Schulsport funktioniert, kann der Spitzensport davon profitieren«, so Fischer. Die Hauptforderung am Anfang und am Ende des GEA-Leserstammtisches lautete aber: »Wir brauchen eine große Sporthalle.« (GEA)