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Blick hinter die Kulissen der Schweizer Medaillenschmieden

Die Sportmittelschule in Engelberg bringt Sportlerinnen und Sportler mit einem ausgeklügelten System zu Höchstleistungen.

Die Schüler der Sportmittelschule Engelberg liefern Medaillen in Serie.
Die Schüler der Sportmittelschule Engelberg liefern Medaillen in Serie. Foto: Frank Schwaibold
Die Schüler der Sportmittelschule Engelberg liefern Medaillen in Serie.
Foto: Frank Schwaibold

ENGELBERG. Es ist ein beschauliches Dorf auf 1.013 Meter Höhe in der Zentralschweiz. Im Zentrum befindet sich ein Kloster aus dem 12. Jahrhundert. Zum Titlis, dem bekanntesten Berg bei Engelberg, führt eine Drehseilbahn hinauf. Ebenfalls spektakulär ist die Skisprungschanze am Rande des Ortes. Kurz vor Weihnachten findet hier alljährlich das erste Weltcup-Springen statt und lockt bis zu 10.000 Zuschauer ins Auslaufstadion.

Und dann gibt es da noch die Sportmittelschule Engelberg. 15-mal schon haben deren Absolventen eine Olympische Medaille bejubelt. Das sei weltweit einzigartig, sagt Beat Christen. Er leitet das Talmuseum im Ort, welches den Engelberger Olympioniken eine Dauerausstellung widmet. Nur Sportler aus Val d’Isère in Frankreich können halbwegs mithalten. Sie holten bisher elf Wintersportmedaillen bei Olympia.

Leistungsprinzip steht über allem

Doch was ist das Erfolgsgeheimnis der Engelberger? Wenn der Geschäftsführer Eskil Läubli einen Besucher im Dachgeschoss der Schule empfängt, bekommt man schon zur Begrüßung einen ersten Eindruck davon. »Den Treppenhausaufzug nimmst du nicht. Den dürfen nur verletzte Sportler nutzen«, lautet die Ansage. Schnell wird klar: Das Leistungsprinzip steht über allem. Das gilt nicht nur für den Sport, sondern auch im Internat und in der Schule. »Wir fordern in allen drei Bereichen Topleistung«, erklärt Läubli. Schließlich könne er niemanden garantieren, dass er eines Tages Weltmeister oder Olympiasieger werde. In der kleinen Schweiz mit ihren neun Millionen Einwohnern hätten höchstens 100 Athleten das Potenzial, um »vielleicht einmal ganz oben zu laden«. Doch der Geschäftsführer weiß: In den zehn bis 15 Jahren Karriere eines Spitzensportlers »kann so viel passieren, dass ein guter Schul- und Berufsabschluss genauso wichtig ist«.

Disziplin steht deshalb über allem. »Wenn es in der Schule oder im Internat nicht klappt, muss der Athlet oder die Athletin gehen. So jemand sprengt sonst unser System«, sagt Läubli. Für die Schüler heißt es 52 Wochen im Jahr, sonntags die Reisetasche zu packen, Familien und Freunden »Tschüss« zu sagen, um nach Engelberg zu reisen. Der Tagesablauf im Internat ist streng getaktet: Aufstehen um 6.50 Uhr, dann ein schnelles Frühstück und ab 7.30 Uhr Schule und Training. Nach einem Mittagessen geht es mit Schule und Training weiter bis 18 Uhr. Von 19 bis 20 Uhr ist Lernzeit und um 22 Uhr geht's dann ins Bett.

Hoher Aufwand stört nicht

Den jungen Athleten scheint das nichts auszumachen. »Ich gehe sehr gerne ins Training. Das würde ich in meiner Freizeit auch machen«, sagt Alpin-Skirennfahrer Nick Lötscher. Aishe Läubli, die ebenfalls Slalomrennen fährt, ergänzt: »Das Schöne ist, dass man immer jemanden findet, der mit einem trainieren geht.« Die beiden sind 18 Jahre jung – ebenso wie Langläufer Julian Emmenegger. Auch ihn stört der hohe Aufwand nicht. Sein großes Vorbild sei Dario Cologna, der erste Schweizer Langläufer, der den Gesamtweltcup gewann. Die Bedingungen vor Ort sind ideal: Alles dreht sich in Engelberg um Wintersport. Selbst im noblen Hotel Kempinski ist ein roter Bob des legendären Engelberger Konstrukteurs Carl Feierabend ausgestellt.

Die Nachwuchstalente (von links): Juilan Emmenegger, Aishe Läubli und Nick Lötscher.
Die Nachwuchstalente (von links): Juilan Emmenegger, Aishe Läubli und Nick Lötscher. Foto: Frank Schwaibold
Die Nachwuchstalente (von links): Juilan Emmenegger, Aishe Läubli und Nick Lötscher.
Foto: Frank Schwaibold

Dem Zufall wird in der Sportmittelschule nichts überlassen. Um die medizinische Betreuung kümmern sich Allgemeinmediziner, Sportmediziner sowie Physio- und Osteotherapeuten direkt vor Ort. Dazu kommen noch spezialisierte Fachärzte und Sportpsychologen. Lötscher, der aktuell verletzt ist, berichtet: »Ich bin gerade auch beim Mentaltrainer. Das hilft enorm.« Aishe Läubli ergänzt: »Der Kopf ist das Wichtigste im Spitzensport.« Insgesamt 45 Mitarbeiter, davon 28 in Vollzeit, kümmern sich um die 110 Athleten an der Schule.

Rund 45.800 Euro pro Jahr

Finanziert wird das Ganze über Sponsoren und Eltern. Ein Ausbildungsplatz kostet laut Läubli 44.000 Schweizer Franken pro Jahr (rund 45.800 Euro). Der Elternbeitrag liegt bei 14.000 Franken (rund 14.600 Euro). Die Investition lohnt sich laut ihm aber: Bei den Winterspielen in Peking brachten die Engelberger acht der 15 Schweizer Medaillen nach Hause. Marco Odermatt und Michelle Gisin sind nur einige der bekanntesten Profisportler aus der Medaillenschmiede. Dazu kommen viele Nachwuchstalente. Bei den Junioren-Weltmeisterschaften räumten die Engelberger 51 Medaillen in den vergangenen 20 Jahren ab.

Die Hauseigene Dry Slope auf dem Schulgelände in Engelberg.
Die Hauseigene Dry Slope auf dem Schulgelände in Engelberg. Foto: Sportmittelschule Engelberg
Die Hauseigene Dry Slope auf dem Schulgelände in Engelberg.
Foto: Sportmittelschule Engelberg

Ein weiterer Grund für den Erfolg der Sportmittelschule sind die Abgänger. Zu denen hält Läubli auch nach der Internatszeit intensiven Kontakt. Deren Rückmeldungen seien nämlich entscheidend. Wegen eines Papiers aus einem Bundesministerium »ändern wir nicht so schnell die Bildungspläne, aber wegen einer Athletenrückmeldung kann das durchaus der Fall sein«. Eine Neuerung, die sich daraus ergeben hat: die Dry-Slope, ein Kunststoffparcours, der auch ohne Schnee befahrbar ist. »Viele Skispringer haben Probleme, in der Flugphase eine stabile Position zu erreichen«, erfuhr Läubli von den Ehemaligen. Die Lösung: Der Athlet hängt an einem Seilzug in der Luft und wird von Windmaschinen angeblasen. So können die Trainer während des »Flugs« mit dem Springer sprechen und ihn korrigieren.

Blick in die Trainingshalle der Sportmittelschule.
Blick in die Trainingshalle der Sportmittelschule. Foto: Frank Schwaibold
Blick in die Trainingshalle der Sportmittelschule.
Foto: Frank Schwaibold

»Unser System ist ausgeklügelt, sonst wären wir bei nur neun Millionen Einwohnern nicht so erfolgreich«, sagt Läubli. Neben Engelberg gibt es in der Schweiz noch in Davos und Brig zwei weitere Sportmittelschulen. Ähnlich werde nur in Österreich und Skandinavien trainiert, wobei dort der Staat alles komplett finanziere.

So kann also selbst ein kleines Land wie die Schweiz dem Rivalen Österreich die Position als Skination Nummer Eins streitig machen. 31 Jahre lang musste die Schweiz jedoch darauf warten, bis es im Corona-Jahr 2020 erstmals wieder so weit war: Als die Saison damals wegen Covid vorzeitig beendet wurde, lagen die Schweizer mit 8.732 Punkten satte 1.000 Punkte vor dem Erzrivalen aus dem östlichen Nachbarstaat. Maßgeblichen Anteil daran hatten ehemalige Engelberger Sportmittelschüler. Engelberg ist derzeit eben eine der besten Kaderschmieden im Wintersport. (GEA)