REUTLINGEN. Die TSG Reutlingen hat einen E-Jugend-Spieltag ausgerichtet, in dem eine neue Spielform getestet wurde. Es war der letzte von drei Testspieltagen, die im Bezirk Alb des Württembergischen Fußballverbands (WFV) ausgetragen wurden. Zuvor waren schon die SGM Reutlinger Juniors und der FV Bad Urach an der Reihe. Hinter dem Ganzen steht ein Projekt des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), in dessen Rahmen neue Spielformen im Kinderfußball getestet werden. Dabei soll es jedoch nicht bleiben. Ab der Saison 2024/25 ist jeder Landesverband in Deutschland verpflichtet, neue Spielformen bei den Bambini, in der F-Jugend und in der E-Jugend einzuführen. Was sich für die kleinen Kicker bald ändern wird, wie das in der Region aussehen soll und was die Reform besser machen will, das wird hier beantwortet.
- Was wurde getestet?
An dem Spieltag wurde eine neue Spielform getestet, die der WFV in seinem Leitfaden für den Kinderfußball als »Pilot-Projekt« für die E-Jugend deklariert. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die Idee, die klassischen Meisterschaftsspiele in der E-Jugend mit je zwei Vereinen im 7 gegen 7 durch Spieltage mit mehreren Teams zu ergänzen. Dieser Spieltagsmodus gilt im WFV aktuell nur für die Bambini und die F-Jugend.
- Was hat es mit diesem Spieltags-modus auf sich?
Die grundlegende Organisation eines solchen Spieltages erinnert an die eines klassischen Fußballturniers. Zunächst lädt ein Veranstalter einige Vereine zu sich ein. Auf einem großen Spielfeld werden dann mehrere Kleinfelder aufgebaut. Das Besondere: Bei den Testspieltagen der E-Jugend wurde, im Gegensatz zu den Bambini und der F-Jugend, mit »aufsteigenden Spielfeldern« gespielt, dem sogenannten Champions League-Modus. Die Felder hatten hier eine Rangordnung. Der Anschaulichkeit halber können Ligen den Rang eines Feldes repräsentieren, wie es auch bei den Testspieltagen der Fall war. Hier waren die Felder beispielsweise in Champions League, Europa League, Bundesliga und Verbandsliga aufgeteilt. Auf einem Feld spielen somit die besten beiden Teams, auf dem nächsten Feld die Plätze drei und vier und so weiter. Eine Punktetabelle, in der die Siege, Niederlagen und Remisen der jeweiligen Teams festgehalten werden, gibt es jedoch nicht. Stattdessen steigt nach jedem der je nach Altersklasse zwischen 6 und 15 Minuten langen Partien jeweils der Gewinner ein Feld auf, während der Verlierer ein Feld absteigt. Im Spieltagsmodus sind außerdem die Teams kleiner (Zweierteams oder Dreierteams bei den Bambini, Vierer- oder Fünferteams bei der F-Jugend und Fünfer- oder Siebenerteams in der E-Jugend).
So spielen die Bambini dann im Spielmodus »FUNiño« auf vier Minitore (sinnvollerweise ohne Torwart), die F- und E-Jugend entweder ebenso oder auf zwei Kleinfeldtore. Auch im Zwei-Tore-Modus gibt es keinen Torwart – zumindest keinen festen. Stattdessen gilt eine bewährte Bolzplatzregel: Das Kind, das am weitesten hinten steht, übernimmt die Rolle des Torspielers und darf die Hand einsetzen. Beide Spielfeldtypen, beziehungsweise Spielmodi, können innerhalb eines Spieltages auch gemischt sein. Diese Mix-Spielfelder fanden so auch an den Testspieltagen Anwendung.
- Gibt es noch weitere Spezialregeln?
Ja, und zwar gar nicht wenige. Zum einen wären da die »Fair-Play-Regeln«, die im WFV schon länger für den Kinderfußball gelten und die der DFB nun auch in seinen Leitfaden für die Einführung der neuen Spielformen aufgenommen hat. Erstens müssen Eltern und Zuschauer mindestens 15 Meter vom Spielfeld entfernt stehen, zweitens befinden sich die Trainer in einer gemeinsamen Coachingzone. Drittens wird ohne Schiedsrichter gespielt, die Entscheidungen werden bis auf Ausnahmefälle von den Kindern selbst getroffen. Diese Regeln sollen sowohl auf als auch neben dem Platz für Ruhe sorgen.
Es gibt aber auch besondere Regeln, die das Spiel an sich betreffen. So darf beispielsweise nicht von überall aufs Tor geschossen werden, sondern erst aus einer Torschusszone, die bei den Bambini sechs Meter, bei F- und E-Jugend neun Meter vor dem Tor beginnt. Das soll dazu führen, dass die Kinder mehr dribbeln und auch durch Passspiel eigene Lösungen finden. »Wir beim WFV sagen dazu: Ein Pass soll geboren werden«, erklärt Helmut Ebermann, Mitglied im Verbandsjugendausschuss des WFV. Wenn ein Spiel zu deutlich ausfällt, greift die Drei-Tore-Regel. Liegt ein Team mit drei Toren Abstand hinten, darf es einen weiteren Spieler auf den Platz schicken. Sobald der Abstand dann nur noch ein Tor beträgt, wird wieder mit gleich vielen Spielern gespielt.
Auch Kopfbälle sollen im Kinderfußball vermieden werden. Daher wird es sowohl den Abschlag aus der Hand als auch den Einwurf nicht mehr geben. Stattdessen wird eingedribbelt oder flach zugespielt. Und zwar mit kleineren Bällen. Anstatt den Erwachsenenbällen der Größe 5 wird in der E-Jugend mit Bällen der Größe 4, in der F-Jugend und bei den Bambini mit Größe 3 gespielt. Das soll eine bessere Ballbehandlung und ein schnelleres Dribbling möglich machen. »Wenn die Kinder mit Bällen der Größe 5 spielen, dann muss man sich das so vorstellen, als spiele ein Erwachsener mit einem Ball der Größe 6«, veranschaulicht Ebermann. »Das würden die Erwachsenen auch nicht wollen.«
- Wie läuft’s in der Region?
Die Region um Reutlingen gehört zum Bezirk Alb, einem von aktuell 16 Bezirken des WFV. Wie genau das Spiel gespielt werden soll, liegt also in dessen Hand. Insgesamt haben im Kinderfußball die Landesverbände trotz der Verbindlichkeit der DFB-Reform das letzte Wort. Das ist auch der Grund dafür, dass sich trotz der Reform des kompletten Kinderfußballs gar nicht mal so viel für die kickenden Kids im WFV-Gebiet ändern wird. Grund dafür ist aber nicht, dass sich der Württembergische Landesverband dem DFB widersetze. Tatsächlich sind ein Großteil der Reformideen nämlich schon umgesetzt. Seit wann der WFV im Kinderfußball schon vom 7 gegen 7 Abstand genommen hat, das weiß Helmut Ebermann: »Wir im WFV haben das 3 gegen 3 bei den Bambini und das 5 gegen 5 in der F-Jugend schon 2017 umgesetzt, da waren viele noch sehr skeptisch.« In der E-Jugend wird es die klassische Meisterschaftsrunde im 7 gegen 7 zwar weiterhin geben, ergänzend dazu bietet der WFV aber auch die Spieltage an, wie sie in der F-Jugend im 5 gegen 5 durchgeführt werden. Im Bezirk Alb hätten die sich zwar noch nicht etabliert, das könne sich aber bald ändern, so Ebermann.
- Was sind die Gründe für die Reform?
Dem DFB zufolge bestand im Kinderfußball bisher das Problem, dass Kinder den Spaß am Fußball verloren. In den klassischen Wettbewerbsformaten waren leistungsschwächere oder körperlich unterlegene Spieler gleich in zweierlei Hinsicht benachteiligt. Zum einen gab es für diese Kicker während des Spiels weniger Aktionen am Ball, ein großes Team neigt nämlich dazu, schwächeren Mitspielern seltener den Ball zuzuspielen. Zum anderen gab es für diese oft auch insgesamt weniger Spielzeit.
An Spieltagen wurden aus leistungsschwächeren Kindern schnell Bankdrücker, die am Ende eines Spiels keine zehn Minuten auf dem Platz standen. In Turnieren wurden die schwächeren Spieler in ein Team gepackt, das dann nicht selten in der Gruppenphase rausflog und am Ende auch kaum Spielzeit vorweisen konnte. »Genau das ist der Grund, warum wir den Erfolg in den untersten Altersklassen nicht wollen, weil dann immer nur die Besten spielen. Und das Wichtige für die Kids ist ja, mit dem Trikot auf den Platz zu laufen, um zu spielen und Spaß zu haben«, so Ebermann.
- Was soll sich verbessern?
Das Problem des »Spaßverlustes« einiger Kinder soll gelöst werden, indem der Spaß am Fußball dem Leistungsprinzip vorgezogen wird. An Spieltagen sollen alle Kinder gleich viel spielen, durch kleine Teams und kleinere Spielfelder wesentlich mehr Aktionen am Ball haben und aufgrund der aufsteigenden Spielfelder auch gleichstarken Teams begegnen.
Über die Häufigkeit von Dribblings gibt es dank einer Studie der Universität Erlangen beeindruckende Zahlen: Im FUNiño, dem Spielmodus mit vier Mini-Toren, dribbelt ein Kind mehr als achtmal häufiger einen Gegenspieler aus, als im 7 gegen 7. Tempodribblings sind fünfmal häufiger. Helmut Ebermann sieht darin eine Chance für die Zukunft des deutschen Fußballs: »In der deutschen Nationalmannschaft haben wir gerade kaum trickreiche und dribbelstarke Spieler. Mir fällt da Musiala ein, aber der wurde auch in England ausgebildet. Andere Länder waren da schneller als wir, aber wenn wir jetzt etwas ändern, dann können wir in Zukunft vielleicht wieder mithalten.«
Was den Spaß angeht, gibt der Erfolg den neuen Spielformen Recht. Ein Faktor dafür ist natürlich, dass deutlich mehr Tore fallen, als im 7 gegen 7. Durch die Letztes-Kind-nimmt-Hand-Regel kann allerdings auch jeder mal als Torwart Erfolge feiern. Außerhalb des Trainings war das zuvor schwer möglich. Apropos Training: Das FUNiño sei auch im Training schon umgesetzt worden, verrät Marc Schorlepp, E-Jugend-Trainer der TSG Reutlingen, dem GEA.
- Ist das noch echter Fußball?
Diese Frage bringt Helmut Ebermann zum Lachen. Zu Recht, denn es kann darauf nur eine Antwort geben. »Ja klar, auch ohne festen Torspieler und ohne Schiedsrichter muss weiterhin das Runde ins Eckige. Es ist sogar mehr Fußball als sonst! Mehr Tore, mehr Spielzeit, mehr Vollgas und mehr Spaß, darum geht es ja im Fußball.«
- Leidet die Teamfähigkeit?
Wenn die Kinder in kleineren Teams spielen und der Fokus der Spielform auf Individualerfolgen zu liegen scheint, dann könnte man sich fragen, ob das dem Teamgefühl schaden könnte. Marc Schorlepp hat darauf eine klare Antwort: »Nein, es geht ja nicht darum, den Kids durch Individualaktionen auszutreiben, den Ball abzugeben. Im Gegenteil: Durch die engeren Räume auf dem kleineren Spielfeld werden mehr Pässe gespielt.« Helmut Ebermann hat Ähnliches beobachtet: »Ich habe das bei den Spieltagen eher so gesehen, dass sich die Kinder für ihre Teamkameraden freuen, wenn die ein Tor schießen.« Wenn sich das mal nicht nach echtem Teamgeist anhört. (GEA)