REUTLINGEN-BETZINGEN. Manchmal ist weniger tatsächlich mehr. Etwa bei der Garten- und Gütlespflege. Denn wer seinem Mäher, seiner Heckenschere und damit auch sich selbst großzügig bemessene Auszeiten gönnt, kann eine Menge Gutes bewirken: für Bienen und Wespen, Schmetterlinge und Käfer sowie für viele andere Summer und Brummer, denen ein Mehr an Naturbelassenheit dienlich ist. So zu erleben im grünen Lüngle von Elke Munz, das an diesem späten Vormittag Schauplatz einer Ortsbegehung ist.
Ein Stück Schlaraffenland im Wohngebiet
Nach Betzingen ausgeschwärmt sind Naturschutz- und Pressevertreter, um ein Stück Schlaraffenland kennenzulernen, das – anders als im Märchen – nicht hinter einem Kuchenberg verborgen liegt, sondern in der Olgastraße, wo auf rund zweihundert Quadratmeter Fläche der Tisch für Menschen, vor allem aber auch für Insekten, Spinnentiere, Vögel und Igel reich gedeckt ist. Kurz: Hier üben sich zwei, sechs und achtbeinige Nutznießer in friedlicher Koexistenz – ohne dass eine der Parteien Nachteile beklagen müsste.
Was Katrin Reichenecker sichtlich begeistert. Als Leiterin des kommunalen Fachressorts für Natur-, Arten- und Bodenschutz ist sie vom Munz’schen Botanik-Konzept solchermaßen angetan, dass sie es anderen Reutlingern schmackhaft machen möchte – weil, wie die Biologin betont, jeder Garten- und Gütlesbesitzer sogar auf kleinstem Raum etwas für die Biodiversität tun kann, wenn er seinem grünen Refugium die Chance dazu gibt.
Elke Munz hat das getan und ihren Garten qua Pflanzenauswahl und in Teilen extensiver Pflege in ein kombiniertes Speise-, Wohn- und Schlafzimmer für allerlei Getier verwandelt. Beispiel: Rasen. Den trimmt die Betzingerin bewusst nicht auf Teppichkantenhöhe, sondern lässt ihn weit darüber hinaus wachsen. Außerdem besteht er auch nicht bloß aus Halmen, sondern aus Allerlei. Bleiberecht genießen hier unter anderem Gänseblümchen, Hahnenfuß und Klee. Was Pollensammler aller Art beflügelt und Krabblern Rückzugsräume gewährt.
Bodendecker als Unterschlupf für Krabbler
Unterschlupf finden Käfer und Co. außerdem in dicht an dicht mit Bodendeckern bestückten Beeten. Derweil sich Wespen in Weinreben tummeln und Hummeln Rosenstöcke umschwirren. Hier hat Hopfen ein Stück Hausfassade erobert, dort spendet ein knorriger Hundertjähriger Schatten: ein Apfelbaum. Außerdem gibt es Beerensträucher, Salatköpfe, Gurken, Tomaten, jede Menge Küchenkräuter und heimische Blumensorten. Mit Betonung auf heimisch.
Zumal hiesige Insekten exotischen Gewächsen – so sehr sie dem menschlichen Auge auch schmeicheln mögen – oft wenig bis gar nichts abgewinnen können. Entweder verschmähen sie das ihnen fremde Nahrungsangebot oder aber sie sind schlichtweg außerstande, sich an ihm zu laben, wie Reicheneckers Kollege David Horle erklärt. Grund dafür, sagt er, sind die Mundwerkzeuge der Insekten, die keineswegs für alle Blüten geeignet sind. Fatale Folge: Speis und Trank sind zwar vorhanden, können aber nicht konsumiert werden.
Ungünstig außerdem: Blumen – beispielsweise Dahlien, Nelken und Rosen – mit gefüllten Blüten, denen die Staubgefäße weggezüchtet wurden. Diese floralen Hingucker sehen zwar hübsch aus, haben für Bienen jedoch keinerlei (Nähr-)Wert. Weder bilden sie Pollen, noch Nektar und dürfen sich mithin keiner Insektenfreundlichkeit rühmen.
Nun, im naturnahen Garten von Elke Munz sucht man solche »Mogelpackungen« vergebens. Bei ihr gedeihen nämlich ausschließlich ungefüllte Rosensorten. Wiewohl selbst in diesem Betzinger Bienen-Paradies Pflanzen zu finden sind, die Maja und deren Geschwister hungrig zurücklassen. Fuchsien zum Beispiel, die wenig mehr als dekorative Wirkung entfalten.
Florale Deko ist trotzdem erlaubt
Ein Fauxpas? Überhaupt nicht. Denn warum, so Reichenecker und Horle sinngemäß, sollte man sich florale Liebhabereien verkneifen, wenn das Verhältnis zwischen insektenfreundlichen und rein schmückenden Garten-Elementen grundsätzlich stimmt.
In der grünen Oase von Elke Munz stimmt es definitiv. Umso mehr, als die Betzingerin für ihre tierischen Besucher sogar Totholz, Nistkästen und Vogelbäder bereithält. Letztere sind übrigens nicht bloß für Piepmätze ein Labsal, sondern auch für durstige Summer und Brummer mit und ohne Wespentaille.
Fazit der Stippvisite: »Es ist«, sagt Reichenecker, » kein Hexenwerk, aus jedem Garten eine Oase für den Naturschutz zu machen.« Bedarf es hierfür doch denkbar wenig. Schon eine »wildwüchsige Ecke« abseits der gepflegten Nutzfläche wirkt sich positiv auf die Ökobilanz aus und bietet dem Insektensterben Paroli. Zumal vor dem Hintergrund, dass es laut Katrin Reichenecker bundesweit etwa 17 Millionen Privatgärten gibt, was immerhin zwei Prozent der Gesamtgrünfläche ausmacht.
Das hat Potenzial. Das sollte genutzt werden. Weshalb sich das Reutlinger Ressorts für Natur-, Arten- und Bodenschutz vorgenommen hat, künftig verstärkt die Werbetrommel für ökologisch wertvollen Wildwuchs zu rühren, Tipps zu geben und gegebenenfalls einen Leitfaden zu publizieren. (GEA)