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Wohnräume schaffen für Bedürftige in Reutlingen

Reutlingen ist eine von sechs Gemeinden, die am Modellprojekt Housing First teilnehmen. Geplant ist, dass zwölf 18- bis 27-jährige wohnungslose Menschen aus dem Landkreis unbefristete Mietverträge bekommen. Mehr zum Ablauf und worauf es ankommt.

Menschen ohne Wohnung sollen langfristig eine Bleibe bekommen.
Menschen ohne Wohnung sollen langfristig eine Bleibe bekommen. Foto: Jens Schierenbeck
Menschen ohne Wohnung sollen langfristig eine Bleibe bekommen.
Foto: Jens Schierenbeck

REUTLINGEN. In Zeiten mit knappem Wohnraum und steigenden Preisen haben es Bedürftige besonders schwer, ein Dach über dem Kopf zu finden. »Raus aus der Wohnungslosigkeit – rein in die Zukunft!«, heißt das mutmachende Reutlinger Modellprojekt zum Housing First-Ansatz. Sechs Gemeinden in Baden-Württemberg nehmen an dem Projekt teil, darunter auch Reutlingen.

Housing First wurde ursprünglich in den USA entwickelt und wird als erfolgreicher Ansatz in der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit umgesetzt. Die Grundidee: Erst muss eine dauerhafte Unterkunft her, dann kümmert man sich um alles Weitere wie beispielsweise Sozialleistungen. Dieser Ansatz unterscheidet sich von den bisherigen Angeboten, bei denen die eigene Wohnung meist am Ende eines langen Weges steht und Notübernachtung, Aufnahmehäuser und betreute, zum Teil stationäre Wohnformen durchlaufen werden. So dauert es in den meisten Fällen Jahre, bis Betroffene wieder - wenn überhaupt - über eine eigene Wohnung verfügen können. In Deutschland verbreiten sich seit 2018 Housing First-Ansätze in verschiedenen Städten und gelten in der Wohnungsnotfallhilfe als ein Erfolgsmodell, um wohnungslosen Menschen langfristig einen Wohnraum zu vermitteln.

Das Land Baden-Württemberg und die Vector-Stiftung fördern das Reutlinger Projekt mit rund 272.000 Euro. »Die bestehenden Housing First-Projekte sind eigentlich allgemein an alle Altersgruppen gerichtet. In unserem Antrag, den wir im September 2023 gestellt haben, ging es speziell darum, zwölf jungen Menschen zwischen 18 und 27 Wohnraum zu vermitteln und den Teufelskreis der Wohnungslosigkeit zu durchbrechen. Stadt und Landkreis werden uns eng begleiten.« Seit Anfang des Jahres und für drei Jahre »sollen wir die Wirksamkeit des Housing First-Ansatzes überprüfen und evaluieren«, sagt der Projektleiter Daniel Bergers von der Organisation Hilfe zur Selbsthilfe in Reutlingen. Hierbei handelt es sich um ein Netzwerk sozialer Hilfen. Eine der zahlreichen Fragen, der nachgegangen wird: Kann der Wohnraum von der Zielgruppe künftig gehalten werden? »Es wird sehr spannend zu schauen, wie sich alles entwickeln wird«, findet Bergers.

Verdeckte Wohnungslosigkeit bekämpfen

Allgemein wird unterschieden zwischen Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit. Wohnungslos sind Menschen, die nicht über einen Mietvertrag verfügen. Damit landen sie aber nicht gleich obdachlos auf der Straße. Viele Wohnungslose kommen zunächst bei Bekannten oder Freunden unter. Ziel ist es, für sie im Landkreis Reutlingen unbefristete Mietverträge abzuschließen. Konkreter möchte Reutlingen die »verdeckte« Wohnungslosigkeit bekämpfen. »Davon sind viele junge Menschen betroffen, die mal hier, mal dort unterkommen und keinen festen Wohnsitz haben.«

Das Projekt ist bei der Mobilen Jugendarbeit Reutlingen angesiedelt. Das ist ein Fachbereich der Hilfe zu Selbsthilfe. »Bei der Mobilen Jugendarbeit landen Menschen, die sozial ausgegrenzt sind und ein sehr hohes Maß an Benachteiligung haben. Es geht um eine Personengruppe, die es schwieriger als alle anderen hat, an Wohnraum zu gelangen. Da ist es naheliegend, dass wir uns gerade um diese Gruppe kümmern wollten«, berichtet Bergers.

Doch welche Voraussetzungen muss jemand erfüllen, um für das Projekt ausgewählt zu werden? »Wir haben einen Kriterienkatalog erstellt und können prüfen, bei welchen es am meisten eilt und drängt: Wir machen keinen Unterschied - ob Männer oder Frauen - es kommt allein auf die Problemlage an. Es muss auch nicht unbedingt eine Einzelperson sein, es kann auch ein Paar sein oder eine Familie«, erläutert Bergers. Infrage kommen beispielsweise Frauen, die mit sexualisierter Gewalt zu kämpfen haben oder Menschen, die ihren Ausbildungsplatz verloren haben.

Garantie für die Vermieter

Für das Projekt setzt sich auch der gemeinnützige Verein Wohnwerk ein. Der habe beispielsweise eine Vermittlerfunktion und garantiere den Wohnungsbesitzern, dass es nicht zu Mietausfällen komme. »Das Wohnwerk stellt sich als Pate zur Verfügung. Das ist natürlich ein Anreiz für Vermieter ihren Wohnraum für eine Zielgruppe, die vielleicht nicht als die zuverlässigste angesehen wird, zur Verfügung zu stellen. Als Projekttragende überprüfen wir, wie wir effektiv Wohnraum akquirieren können.« Das funktioniere über Kontakte und Kooperationen. »Wir haben eine Zusammenarbeit mit der GWG in Reutlingen. Da müsste man schauen, ob man sie projektbezogen etwas ausbauen könnte.«

Die Zusage bekam der Projektträger im Dezember vergangenen Jahres. »Nun soll erstmal alles konzeptionell ausgearbeitet werden.« Doch dafür wird noch Unterstützung benötigt. Für das Projekt sind derzeit Ehrenamtliche gefragt, idealerweise mit sozialpädagogischem Wissen, die Lust haben mitzuwirken. Für die Koordination wird zusätzlich ein Sozialpädagoge oder ein Jugend- und Heimerzieher gesucht. Das stelle eine Herausforderung dar, denn der soziale Fachbereich habe mit Fachkräftemangel zu kämpfen, weiß Bergers.

Zu dem Projekt sagt Bergers noch: "Ich freue mich darauf. Er ist ein ganz toller innovativer Einsatz und ich bin sehr optimistisch, dass es wirksam sein wird. Ich hoffe, dass Stadt und Land sehen, wie erfolgreich es ist, so dass es auch künftig weitergeführt werden kann. (GEA)