Anastasia Wirtz hatte die Spontan-Demo per Schneeballsystem organisiert, weil sie zwar die Erzieherinnen unterstützen möchte, »damit sie mehr Gehalt bekommen«, dessen ungeachtet aber darauf angewiesen ist, dass die Kinderbetreuung gewährleistet bleibt.
Wer arbeiten müsse und keine Großeltern in der Nähe habe, klagte eine andere Mutter, für den sei es »echt schwierig, wenn so massiv gestreikt wird«. Man müsse Urlaub oder freie Tage nehmen, und das nachher wieder reinholen, ergänzt eine weitere Betroffene. Auch für die Kinder sei der Streik »nicht gut«, wird argumentiert: Sie wollten zusammen im gewohnten Umfeld spielen, und verstünden nicht, warum das nun plötzlich nicht gehe.
In voller Härte
Diesen Aspekt rückten auch die Elternbeiräte aus Mittelstadt in den Mittelpunkt einer Stellungnahme, die sie gestern dem GEA zukommen ließen: »Dieser Streik trifft zu allererst in voller Härte genau diejenigen, die am wenigsten an der Situation ändern können: unsere Kinder.« Es herrsche totales Durcheinander, viele Kinder wüssten nicht mehr, »ob Sonntag ist oder Montag« oder »verlieren sogar ganz die Lust an ihrem geliebten ›Kindi‹«.Stefanie Messmer berichtet im Namen des Mittelstädter Elternbeirats von einer streikbedingt abgesagten »Übernachtungsparty« in einem der Kindergärten und von der Riesenenttäuschung für die Kinder, »die sich seit Wochen auf diesen Tag freuten und vorbereiteten.« Trotzdem stünden die Elternbeiräte »voll hinter dem Streik« und unterstützten die Erzieherinnen »nach Kräften«. Ihr Appell an die Entscheider: »Bitte, sorgen Sie für eine schnelle und zufriedenstellende Schlichtung dieses Streiks«.
Der Reutlinger Verwaltungsbürgermeister gehört nicht zu den Entscheidern, die Stadt sitzt nicht mit am Verhandlungstisch. Dennoch warb Robert Hahn gestern Vormittag auch um Verständnis für die Arbeitgeberseite: Nach zwei Gehaltserhöhungen im Vorjahr (5,4 Prozent) und diesen Februar (2,4 Prozent) gehe es beim laufenden Streik ja um eine höhere Eingruppierung der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst generell, was zu Gehaltssteigerung von bis zu zwanzig Prozent führen und dafür sorgen könne, dass »das Gehaltsgefüge im öffentlichen Dienst insgesamt in Schieflage geraten wird«.
Anforderungen definieren
Mit Bruttogehältern zwischen 2 590 und 3 750 Euro verdienen Erzieher(innen) laut Hahn »mehr als ein Feuerwehrmann«, Kindergartenleiter(innen) bis zu 4 750 Euro. Die Arbeitgeber hätten ein Angebot gemacht und eine Höhergruppierung »in den Raum gestellt«, denn veränderte Anforderungen an die Mitarbeiter sollten auch honoriert werden – aber diese Anforderungen müssten dann auch entsprechend definiert sein und erfüllt werden.Er habe Verständnis für die Situation und auch den Ärger der Eltern, aber sie sollten sich deswegen doch auch einmal an die Gewerkschaft wenden: »Verdi nimmt Sie in Geiselhaft«, sagte der Verwaltungsbürgermeister.
Im Gespräch mit Joachim Haas, dem für die Kinderbetreuung zuständigen Amtsleiter in Hahns Dezernat, gab es dann zumindest eine für die protestierenden Eltern erfreuliche Erkenntnis: Die Notbetreuung, die von der Stadt organisiert wird, greift nicht nur bei sozialen Notlagen und Alleinerziehenden, sondern auch wenn beide Eltern berufstätig sind. Haas räumte ein, dass dies anfangs nicht in allen Kindergärten so gehandhabt worden sei, man habe die Mitarbeiter inzwischen aber entsprechend informiert und instruiert.
Wenn wie derzeit Streik-, Feier- und Brückentag zusammenkämen, sei die zeitnahe Information und Kommunikation extrem schwierig, plauderte der Sozialamtsleiter aus dem Nähkästchen. Deshalb habe man gestern nur jenen knapp über 90 Kindern eine Notbetreuung anbieten können, die bereits für vorigen Dienstag angemeldet waren.
Betreuung in Mittelstadt
Weitere 16 Kinder wurden in der Mittelstädter Turn- und Festhalle von Eltern betreut – ein Angebot, das der Gesamtelternbeirat Reutlinger Kindergärten und Kindertagesstätten (Gerk) in Absprache mit der Stadt koordiniert. Eltern auf eigene Verantwortung den angestammten Kindergarten an Streiktagen zu überlassen, sei rechtlich problematisch, erläuterte Robert Hahn, warum das in Reutlingen nicht praktiziert wird. Man habe die Möglichkeit von einem Anwalt prüfen lassen und sich dann für die Kooperation mit Gerk entschieden.Da Mittelstadt zugegebenermaßen nicht wirklich zentral liege, suche man derzeit noch nach anderen Hallen, in denen auch eine eigenverantwortliche Betreuung durch Eltern ermöglicht werden könnte. Die Gewerkschaft Verdi hat angekündigt, dass am 13., 18., 19. und eventuell 20. Mai weitergestreikt wird. Wer eine Notbetreuung in Anspruch nehmen muss, sollte sich an die jeweilige Kindergartenleitung wenden – oder an den Gesamtelternbeirat Gerk. (GEA) // streik@gerk-info.de //