REUTLINGEN. Die Hilfsbereitschaft ist nach wie vor unfassbar groß. Viele wollen etwas tun: Geld- oder Sachspenden, Flüchtlinge im eigenen Heim unterbringen, oder übers Wochenende sogar selbst mit Sprintern an die ukrainische Grenze fahren. Wer entsprechende Kontakte hat, kann damit viel Gutes tun. So zum Beispiel eine gesamte Klasse der Reportageschule der Volkshochschule (VHS) Reutlingen, die unlängst ebenfalls eine Hilfsaktion organisiert hat. Mit zwei Transportbussen haben sie erst Hilfsgüter an der ungarischen Grenze – in Záhony – abgegeben und sind dann weiter Richtung Slowakei, um dreizehn ukrainische Flüchtlinge aus Vyse Nemecke abzuholen und nach Reutlingen zu bringen.
Schon bevor Wladimir Putin verkündete, dass er russische Truppen »zur Stabilisierung« in den Donbass schicken würde, hatten sich die Menschen in der Ukraine auf den Ernstfall vorbereitet: Geldspenden gesammelt und Ausrüstung organisiert. Um zu dokumentieren, wie sich ein Land auf einen bevorstehenden Krieg vorbereitet, war Florian Bayer, ein Schüler der Reportageschule, in die Ukraine gereist. In Uschgorod – größentechnisch vergleichbar mit Reutlingen – hatte er noch vor gut einem Monat mit den Menschen vor Ort über ihre Notfallpläne gesprochen. Falls es zum Schlimmsten kommen sollte. Anschließend berichtete er von seinen Eindrücken – auch im GEA.
Nach Ausbruch des Krieges verspürte Bayer – wie viele andere – das Bedürfnis zu helfen. Gemeinsam mit seinen Mitschülern stellte er einen Plan auf die Beine: Den VHS-Bus mit Gütern beladen, an die Grenze fahren und auf dem Rückweg ein paar Flüchtlinge mitnehmen.
11â 000 Euro gespendet
Von Anfang an hatten die Leiter der Reportageschule und der VHS »Grünes Licht gegeben«, erzählt Bayer. Dann musste viel organisiert werden: Ein Spendenkonto wurde eingerichtet, und es wurden wichtige Kontakte zu den Einrichtungen vor Ort hergestellt. Die Spendengelder kamen überwiegend aus dem privaten Umfeld der Schüler, dennoch kamen innerhalb kürzester Zeit 11â 000 Euro zusammen. Das Rote Kreuz Uschgorod schickte ihnen eine detaillierte Liste von dem, was am nötigsten gebraucht wird. »Durch den Kontakt zu Menschen vor Ort war es außerdem möglich, schon vorab zu klären ob und wie viele Flüchtlinge mit nach Deutschland kommen«, erklärt Florian Bayer. »Anfangs waren die Leute noch etwas verunsichert, aber wenige Tage, bevor es losging, wollten dann ganz viele mit.«
Im Zusammenhang damit stellte sich eine weitere Frage: Wie viele der Schüler sollten mitfahren? Denn jeder von ihnen belegte Platz bedeutete, einen Flüchtling weniger mitnehmen zu können. »Es war eine schwierige Abwägung«, sagt Marina Klimchuk. Als gebürtige Ukrainerin spricht sie fließend Russisch und kam als Übersetzerin mit. Letztlich war die Gruppe dann zu fünft: zwei Fahrer pro Fahrzeug und Klimchuk.
Ankunft war das Schlimmste
Nachdem beide Transporter bis an die Decke voll beladen waren – mit Medikamenten, Windeln, Babynahrung und Klamotten – konnte die Reise am Freitag, 11.â März, starten. Bereits am Samstagabend überreichten sie die Spenden in Uschgorod und machten sich im Anschluss auf den Weg nach Vyse Nemecke – nahe der slowakisch-ukrainischen Grenze. Im Hilfslager angekommen, war der Schock groß. In Zelten saßen die Menschen grüppchenweise zusammen. »Mir ist gleich die Gruppe mit den meisten Kindern aufgefallen«, erinnert sich Marina Klimchuk, »Das war unsere.« Insgesamt waren es dreizehn: fünf Frauen, acht Kinder. Das jüngste zweieinhalb Jahre alt.
In Sicherheit
1â 300 Kilometer lagen nun vor ihnen und nach dreizehn Stunden Fahrt waren sie geschafft: In Reutlingen angekommen, war die Erleichterung dann groß. Ein 17-jähriger Junge wurde noch am selben Abend zu seiner Großmutter nach Nufringen gebracht. »Es war sehr emotional. Die Wiedersehensfreude war groß, aber auch Gefühle der Angst und Trauer um die zurückgebliebenen waren spürbar«, erzählt Klimchuk. Eine Mutter und ihr Kind reisten weiter nach Belgien, um dort bei Bekannten unterzukommen. Der Rest wurde von der Theologischen Hochschule und zwei Privatfamilien aus Reutlingen und Tübingen aufgenommen. Die VHS organisierte eine Veranstaltung, um die wichtigsten Fragen zu klären: Wie verläuft die Erstregistrierung? Wo gibt es Deutschkurse? Wie komme ich an einen Kindergartenplatz? Für weitere Fragen stehen die Schüler den Flüchtlingen auch in Zukunft zur Seite und werden ebenfalls über ihre Hilfsaktion berichten. Wer das Ukraineprojekt der Reportageschule mit Spenden unterstützen möchte, kann Florian Bayer mailen (florian_bayer@gmx.at«>florian_bayer@gmx.at). (GEA)
INFOS AUF DER HOMEPAGE
Ob Ansprechpartner, Registrierung, Wohnraum, Spendenkonten, Kleidung oder vieles andere mehr: Die Stadt hat auf ihrer Homepage sämtliche Hilfsangebote für Kriegsflüchtlinge zusammengefasst, auch in ukrainischer und russischer Sprache. Formulare für die Ersterfassung der Ankommenden sowie für Reutlinger, die Wohnraum anbieten, stehen zur Verfügung. Außerdem hat die Stadt Reutlingen einen E-Mail-Kontakt und das Info-Telefon eingerichtet, das außer am Wochenende täglich von 9 bis 12 Uhr besetzt ist. (GEA) 07121 303-5554 ukrainehilfe@reutlingen.de