REUTLINGEN-SICKENHAUSEN. In diesem Fall wissen wir es ganz genau: Die Henne war zuerst da. Sie kam aus einer Brüterei des Weltkonzerns Lohmann. »Sandy« vereint Eigenschaften, die für den Geflügelhof Zeeb günstig sind. Sie kann beides: Eier legen und Fleisch ansetzen. »Ihren Namen hat sie, weil sie sandfarbene Eier legt«, erklärt Frank Zeeb, der den Betrieb in Sickenhausen Ende der 1990er-Jahre zusammen mit seiner Frau von seinem Vater übernommen hat. Seit dessen Unternehmensgründung in den 60er-Jahren hat sich viel getan in der Hühnerzucht und Eierproduktion, der Tierhaltung und Vermarktung – genauso wie in den Köpfen der Verbraucher. Der Nachhaltigkeits- und Tierwohlgedanke fasst dort und in der Politik immer mehr Fuß, was sich zuletzt vor knapp einem Monat mit dem Verbot des Kükenschredderns ab 2022 durch den Bundestag gezeigt hat.
»Wer Huhn sagt, muss auch Hahn sagen«
Weil ein Hahn keine Eier legt, wird er in der Legehennenhaltung üblicherweise sofort nach dem Schlüpfen mit einem Gas getötet. Denn Hühner, die für die Eierproduktion gezüchtet werden, taugen schlecht zur Mast, weil sie dreimal so lange zum Großwerden brauchen. Zeeb findet aber: »Wer Huhn sagt, muss auch Hahn sagen.« Aus ethischen Gründen, und weil die Mehrheit der Verbraucher das Kükentöten ablehnt, wie eine aktuelle Umfrage im Auftrag der Verbraucherzentrale zeigt.
Sandy ist ein Zweinutzungshuhn, sozusagen ein Kompromisshuhn, das es Zeeb leichter macht, die Bruderhähne einer sinnvollen Nutzung zuzuführen, statt sie sofort zu töten. Oder besser gesagt: deren Töten durch einen Subventionsbeitrag für die Mastbetriebe zu verhindern.
Zu erkennen sind Eier von Hühnern, deren Brüder zumindest 90 Tage und damit etwa viermal so lange wie herkömmliche Masthähne leben dürfen, zum Beispiel am Label »Huhn & Hahn« (es gibt auch andere). Weil sie langsamer wachsen, ist das Fleisch von Bruderhähnen langfaserig und nicht so zart wie das herkömmliche Masthähnchen. »Als Grillhähnchen sind sie deshalb nicht so gut geeignet«, erklärt Zeeb. Vorgegart, etwa sous-vide, und dann gegrillt funktioniere die Zubereitung dagegen gut. Ein Teil dieser Hähne wird von Bürger zu »Maultaschen mit Hähnchenfleisch« verarbeitet. Auch Dosenwurst mit Hähnchenlyoner hat der Hühnerhof in einem Selbstbedienungsautomaten im Angebot.
Alternative zur Aufzucht der Hähne wäre die Geschlechtsbestimmung im Ei. Zeeb hält davon nichts. Um das Geschlecht im Ei mit einem Lichttest zu bestimmen, wird ein kleines Loch in die Schale gebohrt. Dabei werden nach seinen Worten 20 Prozent der Eier beschädigt, 20 Prozent werden falsch interpretiert, und außerdem werde der Embryo zu einem Zeitpunkt getötet, zu dem sich bereits Herz und Nervenzellen gebildet haben. »Wir in der 08er-Gruppe verzichten deshalb die nächsten Jahre auf die Geschlechtsbestimmung im Ei.« Die 08er-Gruppe: Das sind rund 40 ähnlich strukturierte Eierhöfe in Baden-Württemberg, die sich zur Initiative »Die Eierhöfe« zusammengeschlossen haben und die sich denselben Tierhaltungs- und Qualitätsrichtlinien unterwerfen.
Den Bestimmungen und Trends immer einen Schritt voraus sein: Das sei schon früh sein Ziel gewesen, berichtet der 52-jährige Frank Zeeb. Als er Landwirtschaft studierte, hielt sein Vater die Hühner noch im Käfig. Das ist nun seit mehr als 20 Jahren – mit einer Übergangsfrist bis 2010 – verboten. Frank Zeeb hat den Betrieb bei der Übernahme komplett umgekrempelt, einen Millionen-Betrag in neue Anlagen in Ortsnähe investiert, um komplett auf Freilandhaltung umzustellen.
»Die Nachfrage nach Eiern aus Freilandhaltung stieg damals, und ich war ohnehin von der Alternativhaltung überzeugt«, erzählt der Unternehmer, der nebenbei in Sickenhausen als Ortsvorsteher fungiert. Heute beherbergt seine Eierfarm mehr als 12 000 Legehennen in vier Abteilungen. Jeweils 3 000 Hühner werden zusammen in einem Stall, einer überdachten und mit Streu eingedeckten Scharrfläche und einem großen Freigehege gehalten. Die verschiedenen Bereiche sind miteinander verbunden, die Tiere können sich frei hinaus- und hineinbewegen, wobei die meisten an hellen Sommertagen lieber drinnen bleiben oder sich zumindest unter Bäume und Büsche verkriechen, um Raubvögeln nicht schutzlos ausgeliefert zu sein.
Wenn es dunkel wird, marschieren auch die letzten Hühner in den Stall, bevor die Klappen dichtgemacht werden, damit kein Fuchs zu Besuch kommen kann. Dann geht das Licht aus: Schlafenszeit! Mit den Hühnern aufstehen, heißt in Zeebs Fall: nicht vor 7 Uhr. Simuliertes Dämmerlicht weckt Berta und Co. langsam auf, aller Stress soll tunlichst vermieden werden, um ja die Legeleistung nicht zu beeinträchtigen.
Bevor sie ihre tägliche Pflicht erfüllen und das Nest aufsuchen, frühstücken die Hühner erst einmal – und zwar Getreide aus eigenem Anbau und nicht genmanipulierten Soja aus Baden-Württemberg. Der Kot der Tiere fällt durch Gitter und wird einer Biogasanlage zugeführt. Die Gülle, die dabei entsteht, landet als Dünger auf den Feldern, die einer von Zeebs Mitarbeitern bewirtschaftet. Die Kreislaufwirtschaft ist neben der regionalen Vermarktung und der Kooperation mit gleich gesinnten Eierproduzenten wesentlicher Bestandteil von Zeebs Betriebsphilosophie.
In der freien Natur würden Hühner nur eine Handvoll Eier legen und sich dann zum Brüten 21 Tage lang aufs Nest setzen. In der Eierfarm rollt das Ei täglich vom Nest auf ein Fließband, weshalb die Hennen fast jeden Tag ein Ei legen, bevor sie nach einem Jahr geschlachtet werden, als Suppenhühner im Topf landen und durch eine neue Herde ersetzt werden.
»Wir wollen, dass der Kreislauf funktioniert«
»Junge Hennen legen kleine Eier«, erklärt der Farmer. Am Nachmittag liegen etwa 10 000 Eier nach Größen und Herkunft sortiert – die letzte auf das Ei gedruckte Nummer weist auf das Stallabteil hin – zur Abholung bereit. Mit Kleinlastern fährt ein Mitarbeiter die Ware in den regionalen Einzelhandel – vor allem zu Rewe- und Edekamärkten – und räumt die Eier selbst ins Regal.
10 000 Eier täglich: Das hört sich nach viel an. Doch tatsächlich lässt sich damit nur ein Zehntel des Bedarfs der Reutlinger Stadtbevölkerung decken. Im Schnitt vertilgt jeder Deutsche im Jahr etwa 250 Eier. Das Gros der Eier, die in den Handel kommen, stammen von Großbetrieben mit 200 000 Hennen und mehr. Warum dann nicht selbst weiter wachsen, um sich ein größeres Stück vom Kuchen zu sichern? Zeeb will da nicht mitmachen. »Das hat nichts mehr mit dem zu tun, wie wir arbeiten. Ich bin jeden Sonntag selbst im Stall, habe einen Bezug zu den Tieren. Wir wollen, dass der Kreislauf von Eierproduktion, der Verwendung des anfallenden Kots und der Futtermittelproduktion funktioniert«, sagt Zeeb.
Zu einem nachhaltigen Wirtschaften gehören heute auch Klimaschutzaspekte. Zeeb hat einen Teil seiner Flotte auf Elek-troantrieb umgestellt, der Strom kommt von der Solaranlage auf dem Stalldach. Der Diplom-Agraringenieur begrüßt seinen Sohn, der gekommen ist, um im Hühnerstall nach dem Rechten zu schauen. Der gelernte Mechatroniker ist im Betrieb angestellt und ein potenzieller Nachfolger. Das hat zwar noch Zeit, aber es kann ja nichts schaden, einen Schritt vorauszudenken. (GEA)
