REUTLINGEN. Das war kein Auftakt nach Maß. Für die paar treuen Fans, die sich am Mittwochnachmittag zum Public Viewing aufmachten, war die 2:1-Niederlage der Deutschen Nationalelf gegen Japan kein vergnüglicher Ausflug.
Leere Bänke im Bauhaus
Dabei hat es gar nicht mal so schlecht angefangen. Im ehemaligen Bauhaus beim größten Public Viewing in der Region (so die Eigenwerbung) entspannten sich Mitte der ersten Halbzeit die Gesichter. Flicks Jungs führten nach einem Elfmetertor von Ilkay Gündogan mit 1:0, alles schien nach Plan zu laufen. Tim Hespeler und seine Eninger Freunde von der Scheune haben auch einen Plan. Jedes Spiel der Deutschen Elf wollen sie in hier in der großen Halle mit den beiden riesigen Monitoren schauen. »Man muss das ja unterstützen«, sagte Tim Hespeler.
Beim Auftaktspiel der deutschen Nationalmannschaft verloren sich allerdings nur rund 100 Männer und Frauen in der Halle, in die laut Veranstalter bis zu 2 500 Menschen hineinpassen. Bis zum Endspiel am 18. Dezember soll hier der Fußball regieren und, wenn es nach Geschäftsführer und Initiator Onur Sönmez geht, eine Party nach der anderen steigen. Nach der Niederlage gegen Japan allerdings stehen die Chancen zumindest im deutschen Lager dafür wohl erst einmal nicht mehr so gut. Aber piano, piano: Wie heißt es doch – der Ball ist rund, ein Spiel dauert 90 Minuten. Also erst einmal gelassen bleiben, es ist noch nichts entschieden.
Elferrunde in der Kaiserhalle
Gelassen waren auch die Jungs in der Kaiserhalle. Mit Wirt Richard Lottholz fanden sich dort genau elf Männer und Frauen ein, wo sich sonst beim Fußballgucken die Massen drücken. Es hat also genau für ein also ein Fußball-Team gereicht. »Wir haben uns erst spontan entschieden, zu öffnen«, so der Kaiserwirt. 14 Uhr ist nicht die eigentliche Kohlazeit. Für die Jungs im Nebenräumle war aber klar, dass sie hier gucken. »Warom soll ma denn alloi dahoim aufs Sofa hogga«, sagen sie unisono. Also, ob Sieg oder Niederlage: Die Geselligkeit gewinnt hier auf jeden Fall immer.
Wegen der Cola im Alexandre
Keine Elf könnten die Zuschauer im Alexandre am Reutlinger Marktplatz bilden. Unter den Rathausarkaden wird das Spiel der Deutschen gegen Japan im Khalifa-International-Stadion auf einem von der Decke hängenden Flachbildfernseher übertragen. Die paar Fans des rollenden Balles sind unauffällige Gäste. Armin Verbic (52) nippt an seinem Aperol und freut sich darüber, »heute Bürotag« zu haben. Der Außendienstler kann es sich leisten, am helllichten Nachmittag Fußball zu schauen. Sein Tipp für das Spielergebnis: Deutschland gewinnt 3:0. Wobei, grübelt er kurz, weil bei den Söhnen Nippons ja auch Spieler des VfB Stuttgart auf dem Platz stehen, »wünsche ich den Japanern schon auch, dass sie weiter kommen«. Was die Gesamtumstände der Weltmeisterschaft im Wüstenstaat betrifft, hat Verbic eine klare Meinung: »Diese ganze WM ist eine schwierige Konstellation. Das geht nicht. Allein schon die Bedingungen im Vorfeld. Das Team sollte Flagge zeigen. Man sollte etwas mehr Kontra geben«.
Am Nebentisch sitzt eine Dame still vergnügt mit Blick auf das Großbild des Spielfeldes. Ursula Ehle ist mit ihren 85 Jahren vor allem deswegen im Alexandre, weil ihr verstorbener Mann Fußballer und Fan gewesen ist. »Die Deutschen machen das«, ist sie sich sicher. Nach Kritik an Katar gefragt, sagt sie: »Da kenne ich mich nicht so aus.« Die beiden Jungs gegenüber sind keine Fußballfans, sondern »nur wegen der Cola« hier. Moritz und ein Freund, der seinen Namen lieber für sich behält, verbringen die Zeit vor dem Deutschunterricht am Johannes-Kepler-Gymnasium im Warmen, tippen auf ein 3:1 fürs deutsche Nationalteam, finden ansonsten aber Public Viewing nicht sonderlich attraktiv.
Erstaunt darüber, dass so wenige Fans im Alexandre sind, ist Dennis Trapp (33). Er hatte mit mehr Menschen gerechnet, deswegen extra einen Tisch reserviert. »Schöne Location«, lobt er das Alexandre, andererseits, »passt Winter und WM gar nicht, und ein bissel korrupt ist es auch«. Viel lieber würde er sein Glas Bier bei warmem Sommerwetter im Freien genießen.
Zentrale-Fans im Zwiespalt
Dass viele Fans noch im Zwiespalt sind, ob sie sich die WM-Spiele anschauen sollen, zeigte sich auch in der Sportbar Zentrale. Eigentlich ist eine Fußball-Weltmeisterschaft ja die Zeit, in der gerade für Gastronomen und Anbieter von Public-Viewing-Veranstaltungen das große Geschäft winkt. Doch dieses Mal ist alles anders, denn die WM findet im Winter und dann auch noch in einem Gastgeberland statt, das wegen Korruption, Homophobie und verletzter Menschenrechte in der Kritik steht.
In der Kult-Sportbar Zentrale am Albtorplatz hielt sich die Begeisterung der Fans gestern in Grenzen. Von Euphorie und gespannter Vorfreude war wenig zu spüren, dafür waren wenigstens so gut wie alle Plätze besetzt. Nachdem sich die erste Halbzeit für die deutsche Mannschaft ganz ansehnlich entwickelt hatte, stieg auch die Stimmung mit der Vielzahl der deutschen Chancen.
»In meiner Brust schlägt ein japanisches und ein deutsches Herz«, scherzte Kozo Ito, der aus Japan stammt und in Ohmenhausen lebt. Seine Laune wurde noch besser, als seine Landsleute das 2:1 schossen und diese Führung nicht mehr aus der Hand gaben.
Dagegen war die Stimmung unter den Deutschen am Tiefpunkt angelangt, nur einer lobte das Spiel überschwänglich: »Die Deutschen waren überlegen, aber wer so viele Chancen versiebt, muss das am Ende meistens büßen«, brachte er die Niederlage der Deutschen auf den Punkt. (GEA)