REUTLINGEN. Willi Neu hat an seinem Haus in Bronnweiler gerade die Erfahrung gemacht, was es bedeutet, wenn ein Waschbär sein Unwesen auf dem Grundstück treibt: »Ich wurde durch einen lauten Knall auf unserer Terrasse aufgeschreckt. Als ich nachsah, fand ich unser Vogelfutterhaus, das auf dem Boden lag.« Was Willi Neu dann erzählt, klingt wie eine echte Räuberpsitole in der Welt der Kleintiere. Das Futterhaus für seine Gartenvögel hatte er nämlich extra auf einem zwei Meter hohen Pfosten mit einer kleinen Plattform obendrauf justiert. Diese Konstruktion sollte freilaufende Katzen davon abhalten, sich den Vögeln zu nähern: »Was für die Katzen unüberwindbar war, stellte für unseren ungebetenen Gast offensichtlich kein Problem dar. Der ist wohl über den Pfosten auf die Plattform geklettert und hat das Vogelhaus einfach runtergeschmissen. So kam er am Boden an das Futter.«
Der Waschbär ließ es sich an diesem Abend auch nicht nehmen, sich auch noch persönlich vorzustellen: »Der hat durchs Wohnzimmerfenster geschaut, ist dann aber schnell davon gelaufen, als wir das Fenster öffneten.«
Recht neue Erfahrung für die Nachbarschaft in Bronnweiler
Neu berichtet weiter davon, dass der Waschbär auch in der ganzen Nachbarschaft umtriebig ist. Was für ihn und seine Nachbarn offenbar eine recht neue Erfahrung ist, lässt Tierschützer fast schon verzweifeln: »Das Problem mit den Waschbären in unseren Orten wird immer größer. Wenn in den Gärten mehr Wildkameras stünden, würden wir uns wundern, wie viele Waschbären sie fotografieren würden und wie groß ihre Anzahl inzwischen bei uns ist«, sagt Dr. Albrecht Gorthner, Biologe und Tierschützer beim NABU Reutlingen. Übrigens: Eine automatische Wildkamera hatte in der Vergangenheit sogar einen Waschbären beim »nächtlichen Schaufensterbummel« durch die Metzinger Outletcity erwischt.
Biologe Gorthner kennt sich mit dem Problem Waschbär seit Jahren bestens aus, hat sogar einen Waschbärenschutz für die Graureiher-Kolonie, die mitten in Metzingen auf dem dortigen alten Friedhof brütet, installiert. »Waschbären sind zwar putzig, doch sie sind eine sogenannte invasive Art und sie stellen für unsere heimischen Tierarten eine echte Bedrohung dar«, warnt Gorthner und hat ein akutes Beispiel: »Die Waschbären bedienen sich geradezu an den aktuell wandernden Fröschen und Kröten in der Region. Die sind nicht wählerisch und fressen nicht nur Vogelfutter.« Waschbären seien zudem Nesträuber und würden sich flink und kletterfröhlich in den Bäumen über die Gelege in den Nestern heimischer Vögel hermachen. Auch vor einem Horst des beliebten Rotmilans würden sie nicht Halt machen.

Für Menschen wird der Waschbär zum Problem, so Gothner, wenn er in die Häuser eindringt und sich dort einnistet. »Deshalb sollten auf keinen Fall Lebensmittel im Freien gelagert werden. Denn der Waschbär kennt nahezu keine Grenzen und findet jedes Versteck. Er bricht selbst unsere Nistkästen auf.«
Keine Jagd auf den Waschbär in Wohngebieten
Gejagt werden darf der Waschbär laut Landesjagsgesetz Baden-Württemberg zurzeit eigentlich nicht. Er hat seine Schonzeit vom 15. Feburau bis 1. August, weil er da seinen Nachwuchs bekommt und aufzieht. Doch es gibt für invsasive Arten wie ihn Ausnahmen. »Die Jagd auf Jungtiere wie Mink, Marderhund, Waschbär (...) und sonstige gebietsfremde invasive Arten (...) darf ganzjährig außerhalb der allgemeinen Schonzeit (...) ausgeübt werden«, heißt es im Gesetzestext.
Nach Auskunft vom Landesjagdverband bedeutet das konkret: Jungtiere dürfen von Jägern erlegt werden. Erwachsene Tiere, die Nachwuchs aufziehen, allerdings nicht. In Wohngebieten dürfen Jäger ohnehin nicht aktiv werden. Theoretisch könnten Jäger auch Fallen für einen Waschbär aufstellen, das Tier so aus dem Wohngebiet entfernen und dann außerhalb töten.
Was sind invasive Arten?
Tiere und Pflanzen, die zwar in hiesigen Breiten leben, aber nicht von hier stammen, können leicht zum Problem werden. Die invasiven Arten bedrohen im schlimmsten Fall die heimischen Tierarten und damit ganze Ökosysteme. Auch in Reutlingen und der Region machen sich solche Eindringlinge – teilweise ziemlich aggressiv – breit.
Seine Ausbreitung aus seiner angestammten Heimat in Nordamerika hat der Waschbär der Pelzliebe des Menschen zu verdanken, denn er ist irgendwann von den Zuchtanlagen auf Pelzfarmen ausgebüchst und hat sich selbstständig gemacht. Da der Waschbär clever und anpassungsfähig ist, breitet er sich immer weiter aus.
Empfehlenswert sei aber zunächst, mit dem Wildtierbeauftragten des jeweiligen Landratsamtes Rücksprache zu halten. Im Landkreis Reutlingen ist das Rupert Rosenstock und er empfiehlt, Waschbären »zu vergraulen«. Das bedeute, den Garten so unattraktiv wie möglich für die Tiere zu halten: »Keine Lebensmittel im Freien lagern, Obstbäume und Weinreben beispielsweise mit Netzen schützen oder vielleicht eine Art Weidezaun mit Strom installieren.«
ANLAUFSTELLE LANDRATSAMT
Hier gibt's Hilfe, wenn invasive Arten Probleme bereiten
Wenn invasive Tier- oder Pflanzenarten Probleme bereiten, sei es ein aufdringlicher Waschbär oder ungebetene Gewächse, die sich ungebeten ausbreiten, gibt es Hilfe bei den Naturschutzbehörden der Landratsämter.
Landratsamt Reutlingen: Als sogenannte Untere Naturschutzbehörde hat das Landratsamt mehrere Naturschutzbeauftragte für den gesamten Landkreis. www.kreis- reutlingen.de
Landratsamt Tübingen: Die Tübinger Kreisbehörde hat ebenfalls eine ganze Abteilung, die sich beispielsweise auch um den Schutz der heimischen Arten kümmert. www.kreis- tuebingen.de
Bei Vogelfutterhäuschen auf Pfählen helfe eine Metallmanschette um den Pfahl, da könne sich ein Waschbär nicht festkrallen und so nicht weiter hinaufklettern. Auch Katzen- oder Marderabwehrgitter könnten helfen, garantiert sei das aber nicht. Im Handel gebe es ein breites Angebot an Abwehrprodukten, die aber im Einzelfall auf ihre Wirksamkeit auf den Waschbären getestet werden müssten, so Rosenstock. Bei Fragen könne man bei ihm anrufen (071214802241). (GEA)