REUTLINGEN. Kommunalpolitik ist gerade im Kreistag die gemeinsame Suche nach dem Kompromiss im Sinne der Bürgerschaft und der Sache. Das macht die Wahl für dieses demokratische Gremium am 9. Juni so wichtig für die Zukunft. Auch im Parlament des Kreises kooperieren die demokratischen Parteien. Drei große Themen prägen die GEA-Gespräche mit den Fraktionen und zeigen gleichzeitig, was der Landkreis leistet.
Dazu gehört die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung aller Menschen, sprich die Zukunft der Kreiskliniken und ihr Management sowie die medizinische Infrastruktur auf dem Land. Das ist ganz typisch für die Funktion des Landkreises: Er erledigt Aufgaben, die Städte und Kommunen alleine nicht bewältigen können. Für einen Neubau des Reutlinger Klinikums gibt es eine breite Mehrheit.
Ebenfalls wesentlich sind den Fraktionen Bildungsthemen, sprich die Beruflichen Schulen im Kreis. Erkannt werden Wert und Notwendigkeit der Investitionen in diesem Bereich. Das gilt auch für den Bereich der Mobilität. Hier geht es um den Erhalt der Kreisstraßen, aber auch um die Förderung des ÖPNV. Der dickste Brocken ist die Regionalstadtbahn. Sie wurde längst auf den Weg gebracht, aber noch sind Fragen der Streckenführung oder des Albaufstieges zu klären. Ebenso beschäftigt die Kreisräte wer das alles wie bezahlen soll. Im Zentrum der Haushaltsdiskussion, bei der es teils deutlich unterschiedliche Meinungen der Fraktionen gibt, steht eine fehlende auskömmliche Finanzierung von meist sozialpolitischen Segnungen durch denjenigen, der sie bestellt hat – gemeint sind Land und Bund. Immer umstritten ist die Höhe der Kreisumlage als wesentliche Einnahmequelle des Kreises.
Immer wieder beschäftigt sich der Kreistag auch mit Fragen der Abfallwirtschaft. Alle Entscheidungen und ihre Grundlagen sind öffentlich im Bereich »Landkreis & Politik« auf der Website des Kreises zu finden und gerade vor der Wahl einen Klick wert.
FWV: »Das muss ausgewogen sein«
Die Fraktion mit dem höchsten Bürgermeisteranteil ist die der FWV. Die Gruppierung beansprucht für sich »100 Prozent frei, 0 Prozent Partei« zu sein. Was dem Fraktionsvorsitzenden Christof Dold, auch Bürgermeister von Pliezhausen, am wichtigsten erscheint? Die Gesundheitsvorsorge und der Klinikneubau, »wir wollen keine Sanierung im laufenden Betrieb am Steinenberg über die nächsten 20 Jahre«. Einsetzen möchten sich die Freien Wähler auch »für einen guten Ausgleich zwischen den Berufsschulen auf dem Land und in der Stadt«. Man müsse die Schulen außerdem digitalisieren, »da hinken wir noch insgesamt hinterher«.
Was die Kreisumlage betrifft, »werden wir weiterhin der Mahner bleiben. Das muss gut ausgewogen sein«, womit der Kompromiss zwischen den Geldnöten des Kreises und der Kommunen gemeint ist.
CDU: »Größte Herausforderung ist der Klinikneubau«
»Die größte Herausforderung für den neuen Kreistag wird das neue Klinikum. Wir wollen die Entscheidung für einen Neubau«, sagt Florian Weller. Der Fraktionsvorsitzende der CDU wünscht sich dazu in Sachen Finanzierung »eine Angabe, in welchen Größenordnungen man da landet«. Dann könne man überlegen, Rücklagen zu bilden – und was das für die Kreisumlage bedeutet. Der Haushalt sei insgesamt von vielen Aufgaben belastet, »die wir kommunalpolitisch nicht beeinflussen können«. Weller würde gerne den »Stellenzuwachs begrenzen«. Auch die CDU ist für die Regionalstadtbahn, »aber wir müssen alle Verkehrsträger im Blick behalten – auch die Straße«. Wichtig seien auch Investitionen in die Bildung.
Die Grünen: »Zusammenhalt und Nachhaltigkeit«
»Wir haben klare Ziele: Den demokratischen Zusammenhalt stärken. Die Nachhaltigkeit stärken – das sehen wir umfassend. Klimaschutz und Ökologie kann man nur mit sozialer und gesellschaftlicher Nachhaltigkeit umsetzen«, versichert Susanne Häcker, eine der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Kreistag. Ihre Fraktion sei »tendenziell« für einen Klinikneubau, wolle aber eine Bedarfsanalyse abwarten. In Sachen Verkehrswende und Regionalstadtbahn »muss es vorangehen«. Die Klimaschutzagentur soll unterstützt werden, »damit sie Kommunen und Bürger gut beraten kann«. Im Sozialbereich gehe es um einen verstärkten Gewaltschutz. Häcker rechnet mit einer »Erhöhung der Kreisumlage«.
SPD: »Wir machen Sachpolitik«
»Wir machen Sachpolitik«, die nichts mit Ideologie zu tun habe, betont Münsingens Bürgermeister Mike Münzing, der zugleich Vorsitzender der SPD-Fraktion im Kreistag ist. Den Sozialdemokraten ist ihr soziales Profil wichtig. Ob beim Klinikneubau, für dessen Finanzierung man wohl »eine höhere Kreisumlage« brauche, oder beim Thema Bildung. Bei der Regionalstadtbahn wünsche sich die SPD mehr Tempo. »Wann werden die wichtigen Entscheidungen, wie die möglichen Varianten in Reutlingen, die Streckenführung durch Pfullingen oder der Albaufstieg getroffen?«, fragt Münzing. Insgesamt fordert er, »den Wert des Kreises klarer zu kommunizieren. Ich stelle das auf eine Ebene mit Europa«. Nicht so weitergehen könne es damit, »dass Kreis und Kommunen die Ausfallbürgen von Land und Bund sind«, also oft mehr bezahlen als sie kriegen.
FDP: »Damit die Freiheit nicht auf der Strecke bleibt«
Als »Urgestein« der Liberalen beschreibt Hagen Kluck in einem Satz, warum man FDP wählen sollte: »Damit die Freiheit nicht auf der Strecke bleibt«. Ein Beispiel seinerseits dafür ist die Nahverkehrsabgabe für alle zur Finanzierung des ÖPNV-Ausbaus, »denn man kann nicht alle für etwas bezahlen lassen, was sie vielleicht gar nicht nutzen. Das geht nicht«. Die FDP im Kreis ist für den Klinikneubau, die Regionalstadtbahn sowie die Förderung des Berufsschulwesens. »Wir sind strikt dagegen, dass der Kreis die Kliniken in Eigenregie betreibt«, sagt Kluck, der »voll hinter« der FDP in der Ampel steht.
AfD: »Verfassungsschutz untersteht der Regierung«
Ein laut Verfassungsschutz »rechtsextremistischer Verdachtsfall« zu sein unterscheidet die AfD von allen anderen Parteien. Ein Alleinstellungsmerkmal ist auch die Vielzahl von Gerichtsverfahren und Urteilen gegen Mitglieder in Deutschland. »Der Verfassungsschutz untersteht der Bundesregierung«, behauptet Kreisrat Harald Rinderknecht. Seine Fraktion sei für den Klinikneubau und mehr Geld für die Gesundheitsvorsorge, »bei Flüchtlingen spielt Geld keine Rolle«. Die AfD wolle »die illegale Migration stoppen«. Wie solle das ein Kreis tun, der gesetzliche Verpflichtungen hat? Antwort von Rinderknecht: »Nein sagen«.
Die Linke: »Armut ist das wichtigste Thema«
Die Interessen der Menschen, die wenig Geld haben, möchte Manfred König im Kreistag vertreten. Er kandidiert erstmals für die Linke. »Die Armut ist für mich das wichtigste Thema«, sagt er. König ist Vorsitzender des Fördervereins Bürgertreff »Unter den Leuten«, der das S-Haus betreibt. Er ist einer, der genügend Reutlinger kennt, die sich sonst kein warmes Essen leisten könnten. Als sonstige Schwerpunkte nennt König den Klinikneubau sowie ein Krankenhausmanagement in Eigenverwaltung des Kreises, die Regionalstadtbahn, den kostenlosen ÖPNV und dann auch die Kinderbetreuung. (GEA)