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Warum Retter beim Reutlinger Brand-Drama vor verschlossener Tür standen

Nach dem verheerenden Feuer in einem Fachpflegeheim in der Reutlinger Oberlinstraße mit drei Todesopfern herrscht große Betroffenheit in Stadt und Region. Eine Frage steht im Raum: War der Brandschutz ausreichend? Eine Erklärung gibt es mittlerweile immerhin dafür, warum die Feuerwehr zunächst keinen Zutritt zur Wohngruppe hatte. Und dann veröffentlicht die Polizei auch noch einen schlimmen Verdacht: War es Mord?

Bei einem verheerenden Brand in einer Einrichtung für psychisch Kranke sind drei Bewohner gestorben. Foto: Frank Pieth
Bei einem verheerenden Brand in einer Einrichtung für psychisch Kranke sind drei Bewohner gestorben.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Was die Reutlinger Polizei am Mittwoch um 14.28 Uhr mitteilt, rückt den schon tragischen Abend in ein noch dramatischeres Licht. Bei einem Brand in einem sozialpsychiatrischen Fachpflegeheim der GP.rt in der Oberlinstraße sind am Dienstagabend drei Menschen gestorben: eine 53-jährige Frau, sowie zwei 73 und 88 Jahre alte Männer (der GEA berichtete). Nun steht ein schlimmer Verdacht im Raum: Eine 57-jährige Frau, die ebenfalls in der betroffenen Wohngruppe gelebt hat, soll das Feuer absichtlich gelegt haben. Gegen sie wird wegen des Verdachts auf dreifachen Mord und elffachen Mordversuch ermittelt.

Die Einrichtung der GP.rt aus der Luft fotografiert: In einer Wohngruppe im 1. Obergeschoss brannte es, das geborstene Fenster zeugt von der Wucht der Feuers. Foto: Manfred Grohe
Die Einrichtung der GP.rt aus der Luft fotografiert: In einer Wohngruppe im 1. Obergeschoss brannte es, das geborstene Fenster zeugt von der Wucht der Feuers.
Foto: Manfred Grohe

Diese neuen Erkenntnisse der Polizei dürften Geschäftsführer Professor Gerhard Längle und sein Team schwer treffen. Kommentieren darf Längle sie aufgrund der Schweigepflicht aber nicht. Das Medienecho auf den Brand ist schon am Mittwochmorgen, noch bevor von Mord die Rede ist, übermächtig. Kameramänner und Reporter aus nah und fern sind nach Reutlingen gekommen, laufen über das winterlich-idyllische Gaisbühl-Gelände. Kaum etwas weist noch auf die dramatischen Szenen hin, die sich einige Stunden zuvor hier abgespielt haben.

Ein Zugang zum betroffenen Gebäude ist noch mit Polizeiabsperrband abgesperrt. Je näher man dem Brandort kommt, desto stärker riecht es noch immer nach Rauch. Bewohner sind keine zu sehen. Pfleger weisen Journalisten freundlich-bestimmt darauf hin, dass sie dem Gebäude bitte nicht zu nahe kommen und hinter einem Zaun warten sollen. Ein blauer Mini-Bus fährt aufs Gelände, in weiße Anzüge gehüllte Mitglieder der Spurensicherung steigen aus.

Geschäftsführer Längle und Ronald Hensel, der fachliche Betriebsleiter der Einrichtung, geben am laufenden Band Interviews. Beide wirken extrem müde, ringen sichtlich um Fassung. »Wir bemühen uns um Normalität, eine ruhige Atmosphäre für alle Bewohner«, sagt Längle mit leiser Stimme. »Wir haben auch mehr Mitarbeiter im Dienst als sonst, Seelsorger sind ebenfalls hier«, ergänzt Hensel. Priorität habe nun die Betreuung der anderen Bewohner und auch der Mitarbeiter.

Feuerwehr musste kaum löschen

Im Fachpflegeheim leben 38 Menschen, die psychisch krank sind. Die Menschen leben in Wohngruppen. In einer Gruppe mit sieben Bewohnern brach das verheerende Feuer aus. Vom Auslösen der Brandmeldeanlage bis zum Eindringen des ersten Feuerwehr-Trupps in die Wohnung vergingen 12 bis 15 Minuten, sagt Einsatzleiter Martin Reicherter.

Die Feuerwehrleute fanden drei tote Bewohner vor – löschen mussten sie aber kaum noch. »Uns alle hat wirklich erstaunt, welche Hitze dort geherrscht haben muss und wie schnell der Brand vorangeschritten ist«, erzählt Reicherter. Telefonapparate seien geschmolzen, im Bewohnerzimmer, in dem der Brand ausbrach, habe man nur noch die verkohlten Reste des Lattenrostes gefunden. Es ist das Zimmer der Frau, die nun unter dringendem Mordverdacht steht.

Zugang zu den Räumen bekommen Journalisten an diesem Mittwoch nicht. Feuerwehreinsatzleiter Reicherter kann aber berichten: Die Wohngruppe habe ein offenes Wohnzimmer in der Mitte, die Bewohnerzimmer seien drum herum angeordnet. Nur eins von vielen tragischen Elementen: Das Zimmer, in dem der Brand ausbrach, liegt direkt an der Wohnungstüre. Die immense Brand- und Hitzeentwicklung habe den anderen Bewohnern eine Flucht nahezu unmöglich gemacht.

Sieben Menschen waren zum Brandzeitpunkt in der Wohnung. Zwei von ihnen waren in ihren geschlossenen Zimmern – sie überlebten unverletzt. Was zum nächsten tragischen Aspekt führt. Die Zimmertüren sind rauchdicht, berichtet Einsatzleiter Reicherter. Wäre der Brand später ausgebrochen und wären die anderen Bewohnern auch auf ihren Zimmern gewesen, hätten sie vielleicht eine Chance gehabt.

Noch am Brandabend berichteten die Einsatzkräfte, dass ihnen beim Eintreffen am Brandort »eine Person mit rußgeschwärztem Gesicht« entgegenkam. Das war die Bewohnerin des Brandzimmers, also jene Frau, die nun unter Mordverdacht steht. Sie liegt schwer verletzt in einer Klinik, ist aber außer Lebensgefahr.

Zunächst kein Schlüssel

Die Feuerwehr stand am Dienstagabend zunächst vor einer geschlossenen Türe, hatte nicht direkt Zutritt zur Wohngruppe, berichtet Reicherter. Die Türe habe einen Knauf gehabt. Sein Fahrzeugführer habe geistesgegenwärtig reagiert und eine Betreuerin nach dem Schlüssel gefragt. Alternativ hätten die Einsatzkräfte den richtigen Schlüssel an einem extra für die Feuerwehr bereitgestellten Bund mit rund 20 Schlüsseln finden müssen. Das hätte deutlich mehr Zeit gekostet.

»Eine solche Türe können wir nicht einschlagen«, sagt Reicherter. »Die ist darauf ausgelegt, 30 Minuten Brand Stand zu halten.« Auch im Wohnbereich waren einzelne Zimmer abgeschlossen, da es sich ja um Privaträume handelt. Die Menschen waren nicht eingeschlossen – ein Gerücht, das am Mittwoch in Reutlingen die Runde machte.

Am Mittag nach dem Brand ist auf dem Gaisbühl oft die Rede von Schuld und Trauer. Eugen Brysch, der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, hat infolge des Brandes die Sicherheitsstandards in Pflegeeinrichtungen kritisiert. Er fordert Sprinkleranlagen in diesen. Landesgesundheitsminister Manne Lucha (Grüne), der angereist ist, um sein Beileid auszudrücken und Blumen niederzulegen, reagiert darauf voller Unverständnis: »Ich hätte mir gewünscht, dass Herr Brysch erst seine Trauer zum Ausdruck bringt. Außerdem: Wer von uns hat daheim eine Sprinkleranlage über dem Bett?«

Minister Manne Lucha legt Blumen neben dem betroffenen Gebäude nieder. Foto: Frank Pieth
Minister Manne Lucha legt Blumen neben dem betroffenen Gebäude nieder.
Foto: Frank Pieth

In der betroffenen Wohngruppe selbst haben keine gehbehinderten Menschen gelebt, betont Einrichtungsleiter Längle. Generell sind die Bewohner des Fachpflegeheims neben ihrer psychischen Erkrankung aber auch auf Pflege angewiesen. Die meisten sind älter als 50 Jahre.

Man habe alle geltenden Brandschutzvorschriften eingehalten, so Längle weiter. In der Wohngruppe hätten kurzzeitig schätzungsweise 300 Grad geherrscht, sagt Einsatzleiter Reicherter. Und: »Niemand ist verbrannt.« Rauchgas und Giftstoffe, die beispielsweise freigesetzt werden, wenn Matratzen brennen, seien wohl tödlich gewesen. Für die Feuerwehrleute jedenfalls war der Einsatz immens belastend. Einige mussten danach psychologisch nachbetreut worden. Feuerwehrarzt Dr. Markus Böbel habe schon in der Nacht versucht, ihnen jeden Anflug von Schuldgefühlen zu nehmen, so Reicherter: »Er hat gesagt, dass man wohl auch nichts mehr am Tod dieser Menschen hätte ändern können, wenn wir noch früher gekommen wären.«

Auf dem Gaisbühl will man so schnell wie möglich wieder zur Normalität zurückkehren. Die Bewohner der benachbarten Wohngruppe waren nach dem Brand evakuiert worden. Sie können ihre Zimmer bald wieder beziehen, so Längle. Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen und Untersuchungen dauern indes an. Die Staatsanwaltschaft Tübingen prüft, ob bei der 57-jährigen Beschuldigten »die Voraussetzungen für eine einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorliegen«. (GEA)

Minister Manne Lucha: »Das Land trägt Trauer«

Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) war am Mittwoch spontan nach Reutlingen gekommen. Um sein Beileid auszudrücken und Blumen niederzulegen. Einrichtungsleiter Längle und er seien sich »seit Jahrzehnten verbunden in einer Gemeinschaft für Antistigmatisierung« von psychisch kranken Menschen.

Auch Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl war vor Ort. Sein Besuch war schon lange geplant – nun hatte er zusätzlich noch einen traurigen Anlass. Er feierte mit Bewohnern und Mitarbeitern des Fachpflegeheims am Mittwochmittag spontan einen Gottesdienst und gedachte der drei Toten und der Verletzten.

Regierungspräsident Klaus Tapeser betonte, dass »die Instrumente des Brandschutzes« funktioniert hätten, Reutlingens OB Thomas Keck hob die »große Betroffenheit« in der Stadt hervor.

Dr. Tobias Staib, der fachliche Vorstand der Bruderhaus-Diakonie betonte, »solidarisch und in Trauer« an der Seite der betroffenen Bewohner und Mitarbeiter zu stehen. Landrat Dr. Ulrich Fiedler indes zeigte sich »sehr beeindruckt« vom professionellen Zusammenspiel der Rettungskräfte. Auch auf Social Media und per Mail haben Landtags- und Bundestagsabgeordnete aus der Region ihr Beileid ausgedrückt. (kk)