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Aktuell Pandemie

Warum ein Reutlinger Pfleger gegen die Impfpflicht ist

Kevin Brügmann aus Reutlingen darf nach dem 15. März vorerst nicht mehr als Altenpfleger arbeiten. Aus Protest gegen die Impfpflicht organisiert er nun samstägliche Demonstrationen.

Kevin Brügmann organisiert seit Anfang des Jahres die Reutlinger Demos.
Kevin Brügmann organisiert seit Anfang des Jahres die Reutlinger Demos. Foto: Gea
Kevin Brügmann organisiert seit Anfang des Jahres die Reutlinger Demos.
Foto: Gea

REUTLINGEN. Mit der Impfpflicht für Pflegekräfte droht Kevin Brügmann der Jobverlust. Nach dem 15. März darf der Reutlinger nicht mehr eingesetzt werden: Er arbeitet im Seniorenzentrum Gertrud Luckner in Orschel-Hagen, »an der Front«, wie er sagt und vornehmlich nachts als examinierte Pflegefachkraft mit Palliativpflege-Zusatzausbildung.

Oft begleite er Menschen in diesen Nächten beim Sterben, sagt der 35-Jährige, der diese anspruchsvolle Arbeit seit zwölf Jahren macht. Als »stolz« bezeichnet er sich auf seine Arbeit und auf seine Einrichtung. Es sei kein Impfgegner, betont Brügmann, argumentiert dann aber mit einschlägigen Querdenker-Argumenten: Er habe Angst vor den neuen Corona-Impfstoffen und ihren möglichen Nebenwirkungen. Er bezweifele die Zahlen, die die Brisanz der pandemischen Lage nahelegen und immer wieder Kernthema skeptischer Betrachtung sind – zuletzt großflächig in der Bild-Zeitung.

15 nicht vollständig immunisiert

Kevin Brügmann sieht das Boulevardblatt nicht als zuverlässigste Quelle für Wahrheitsfindung. Er betont, dass er auch »offizielle« Informationsquellen nutze: Regelmäßig studiere er den Wochenbericht des Robert- Koch-Instituts, speichere Informationen, vergleiche die Lage hierzulande mit anderen Ländern.

Zu seinen Informationsquellen gehören aber auch Ikonen der Impfgegner wie der pensionierte Mikrobiologie-Professor Dr. Sucharit Bhakdi oder einschlägige Telegram-Kanäle, auf denen die Impf- und Maßnahmenkritiker ihren Kosmos vernetzen.

Aktuell sind 72 Prozent der im Seniorenzentrum Gertrud Luckner Beschäftigten vollständig geimpft. 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben keine vollständige Immunisierung.

Dass die Pflegenden die Ersten sein sollen, die mit erheblichem Nachdruck zum Impfgang verpflichtet werden, versteht Kevin Brügmann nicht. Ja, man arbeite mit Risikogruppen zusammen. Doch seien auch Geimpfte Gefahrenquelle – weil sie dank mehr Freizügigkeit mehr Ansteckmöglichkeiten hätten und dann teils als unerkannt Infizierte unterwegs seien. Beleg sind ihm Begebenheiten in seiner Einrichtung: In einem Fall habe es beispielsweise nach dem Tod einer Seniorin einen Testmarathon im Heim gegeben, bei dem alle positiv Getesteten geimpft gewesen seien.

Krankheit, Sterben und Tod sind für Pflegepersonal an der Tagesordnung. Vieles werde in Pandemiezeiten hochgespielt, findet der Reutlinger. Er kritisiert »Zahlenwirrwarr«, etwa bei der Bewertung, wer als Corona-Toter gezählt wird. Dabei bildeten doch die Zahlen die Grundlage für Pandemiebekämpfungsmaßnahmen, die der Pfleger als »teils krank und menschenverachtend« bezeichnet: etwa wochenlange Besuchsverbote für die Seniorenheime. In seiner Einrichtung habe es seit Pandemiebeginn Infektionsgeschehen gegeben. Aber »nichts mit nennenswertem Ausgang«. Der 35-Jährige kennt viele Gleichgesinnte in Kliniken und Pflegeheimen. Wie viele sich beugen, wird sich zeigen.

Der Einzige im Haus?

Im Seniorenzentrum Gertrud Luckner scheint Kevin Brügmann jedenfalls der Einzige zu sein, der dem Druck nicht nachgibt, zumindest nach Darstellung von Einrichtungsleiter Hanspeter Brodbeck. Er bestätigt, dass das Haus bisher gut durch die Pandemie gekommen ist dank strengen Testmanagements und konsequenten FFP2-Maskentragens in Zeiten mit hoher Inzidenz. Bei einer Reihentestung seien tatsächlich die vier positiv Getesteten, eine Mitarbeiterin und drei Bewohner, geimpft gewesen, was angesichts des hohen Geimpftenanteils aber nicht verwunderlich sei.

Brodbeck verliert ungern Mitarbeiter. Er lässt aber durchblicken, dass er zweifelt, ob jemand, der sich seiner Wahrnehmung nach »Sachen zusammenreimt«, richtig in der Branche ist. »Wir machen in der Pflege Dinge mit hoher Fachlichkeit – evidenzbasiert und an Fakten orientiert.«

Kevin Brügmann ist gegen die Impfpflicht auf die Straße gegangen, zunächst nur als Teilnehmer bei den Demonstrationen gegen die Coronapolitik. Nun hat er zusammen mit einer Handvoll Mitstreiter aus Pflegeberufen die Organisation der samstäglichen Demonstrationen in Reutlingen übernommen. Das neue Team will dafür sorgen, dass die Proteste wieder in geordneten Bahnen und erlaubt über die Bühne gehen: angemeldet und unter Einhaltung von Auflagen wie der Maskenpflicht, was bei der Premiere vorigen Samstag mit rund 1.800 Mitdemonstranten recht gut gelang. (GEA)