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Von Rommelsbach in die weite Welt: Was Auswanderer berichteten

Das deutsche Tagebucharchiv in Emmendingen sammelt Dokumente, Briefwechsel und auch Memoiren. Zu Tage gekommen ist dort auch das Schicksal der Auswandererfamilie Reichenecker, die es von Rommelsbach in die weite Welt verschlug.

Dr. Gertrud Lütgemeier berichtete über Auswandererschicksale von Rommelsbachern im 19. Jahrhundert.
Dr. Gertrud Lütgemeier berichtete über Auswandererschicksale von Rommelsbachern im 19. Jahrhundert. Foto: Gabriele Böhm
Dr. Gertrud Lütgemeier berichtete über Auswandererschicksale von Rommelsbachern im 19. Jahrhundert.
Foto: Gabriele Böhm

ROMMELSBACH. »Ich habe beinahe Lust, wieder zurückzukommen«, schrieb Jacob Reichenecker (1783–1858), der im 19. Jahrhundert von Rommelsbach aus nach Brownsville in Ohio ausgewandert war und auf Stippvisite in der alten Heimat war. Mit seinem und anderen Schicksalen von Auswanderern beschäftigt sich Dr. Gertrud Lütgemeier aus Essen. Nach Rommelsbach kam sie auf Einladung des Reutlinger Geschichtsvereins.

Gertrud Lütgemeier, promovierte Romanistin und Lehrerin für Deutsch und Geschichte, ist im Ruhestand ehrenamtliche Mitarbeiterin des Deutschen Tagebucharchivs in Emmendingen. »Dort werden Dokumente, Briefwechsel und auch Memoiren gesammelt.« Die Briefe, die beispielsweise von den Ausgewanderten an die Familie in Deutschland geschrieben wurden, berichteten als eindrucksvolle autobiografische Zeugnisse unmittelbar von den Lebensumständen, dem Alltag, den Schwierigkeiten und auch den eigenen Gedanken. »Übrigens werden in Emmendingen zurzeit auch Corona-Dokumente archiviert, denn später wird man sich fragen, wie alles gewesen ist«, so Lütgemeier.

Rommelsbach sei im 19. Jahrhundert ein 600-Seelen-Dorf gewesen, das vor allem von der Landwirtschaft lebte. Die Oberamtsbeschreibung Tübingen von 1867 bezeichnet die Rommelsbacher als »fleißige, sparsame, geordnete Leute«. Es sei ein »kräftiger Menschenschlag, der nicht selten ein hohes Alter« erreiche. Doch das 19. Jahrhundert war auch eine Zeit, in der die Menschen mit vielerlei Problemen zu kämpfen hatten. Der Ausbruch des Tambora in Indonesien sorgte 1816 durch die Verdunkelung der Sonne für ein »Jahr ohne Sommer«. Die Ackerflächen reichten durch die Erbteilung nicht mehr aus, um die Familien zu ernähren. Es gab Überbevölkerung, Teuerung und Ernteausfälle durch die Kartoffelkrankheit. »Davon berichtet auch das Zeitdokument von 1880, das 2014 beim Abriss des Hauses Lammert in der Lammstraße in Rommelsbach gefunden wurde«, sagte die Referentin. Die Bauherren Buckmüller hatten in einer Kapsel im Fundament ein Schriftstück hinterlassen, das die Überbevölkerung anspricht und »die größte Selbstsucht« rügt.

Bau von Dampfschiffen

Kein Wunder also, dass es vielen reizvoll erschien, in der Neuen Welt und anderswo ihr Glück zu finden. Beispielhaft berichtet Lütgemeier aus dem umfangreichen Konvolut von Familienbriefen der Rommelsbacher Familie Reichenecker. Von den acht Kindern des Ehepaars Jacob Reichenecker und Maria Katharina Wacker, die das Erwachsenenalter erreichten, seien nur zwei Töchter in Rommelsbach und Tübingen verstorben. Alle anderen hatte es nach Ohio, ins Elsass oder nach Kuba gezogen.

Jacob und Johann Reichenecker waren auf Neckar und Rhein gereist und hatten von Amsterdam aus nach Amerika übergesetzt. 1807 kamen sie in Brownsville (Philadelphia) an, wo gerade der Bau vom Dampfschiffen boomte. Jacob fasste schnell Fuß, heiratete eine Frau aus der Auswandererfamilie Baumann aus der Pfalz und gründete eine Familie. Mit über 70 Jahren kehrte Jacob Reichenecker noch einmal in die alte Heimat zurück, freute sich über die herrliche Aussicht und lobte die fleißigen Leute und eine Gesellschaft, die nicht so schnell zum Gewehr griff wie in Amerika. Trotzdem lag dort seine Zukunft, er kam nicht mehr nach Deutschland zurück. (GEA)