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Volksverhetzung und Beleidigung: Ehemaliger Richter in Reutlingen verurteilt

Das Amtsgericht Reutlingen hat einen pensionierten Richter wegen Beleidigung und Volksverhetzung zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Der 79-Jährige soll ein beleidigendes Schmähgedicht über Wirtschaftsminister Robert Habeck verbreitet und einen fremdenfeindlichen Beitrag auf Facebook gepostet haben. Den will er aber nicht verfasst haben.

Die Justitia an der Fassade des Amtsgerichts Reutlingen.
Die Justitia an der Fassade des Amtsgerichts Reutlingen. Foto: Stephan Zenke
Die Justitia an der Fassade des Amtsgerichts Reutlingen.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. »Ich mache meine Vertretung heute selbst«, sagte der pensionierte Richter, der am Mittwoch vor dem Reutlinger Amtsgericht wegen Beleidigung und Volksverhetzung angeklagt worden war. Gut besucht war der Sitzungssaal III in der Gartenstraße 40, in dem Richterin Dr. Selina Domhan das Verfahren am Vormittag eröffnete. Mehr als einmal musste Domhan im Laufe der Verhandlung energisch um Ruhe bitten - und mehr als einmal meldeten sich Unterstützer des Beschuldigten durch unangebrachte Zwischenrufe.

Auch der Angeklagte beschränkte seine lautstarken Klagen nicht auf dessen Internetpräsenz und fiel dem Gericht immer wieder ins Wort. Staatsanwalt Tobias Freudenberg beschuldigte den 79-Jährigen, im Juli vergangenen Jahres eine E-Mail an mehrere Empfänger verschickt zu haben, in der ein beleidigendes Schmähgedicht über Wirtschaftsminister Robert Habeck enthalten war. Darin wird der Grünenpolitiker mehrfach als »Vollidiot« bezeichnet, mit »Hundekot« in Verbindung gebracht und die rhetorische Frage gestellt, wann er sich denn endlich »verpisse«. Der Vorwurf laute daher Beleidigung gegen eine Person des politischen Lebens.

Im gleichen Zuge wurde der Richter im Ruhestand beschuldigt, Anfang des Jahres ein Facebook-Post verfasst zu haben, in dem er sich rassistisch über Ausländer und Flüchtlinge äußerte. Die Staatsanwaltschaft sah hier den Tatbestand der Volksverhetzung gegeben.

E-Mail ja, Facebook-Post nein

Wenngleich der pensionierte Richter zugab, die E-Mail versendet zu haben, wehrte er sich in einer ersten Stellungnahme vehement gegen den ihm zugeschrieben Facebook-Beitrag: »Dieser primitive Post ist nicht von mir.« Wer ihn kenne, der wisse, dass er hinter seiner Meinung stehe und diese dann auch kundtun würde, so die Argumentation des Angeklagten. Im mittlerweile gelöschten Post wurden Flüchtlinge und Ausländer pauschal mit Begriffen wie »Abschaum«, »Vergewaltiger« und »Kanaken« bezeichnet. Das Gedicht hingegen habe er »spaßig«, »treffend« und »passend«, jedoch »nicht sonderlich gut« gefunden. Zudem habe er es nicht selbst verfasst, sondern nur zitiert. Sein Handeln sei durch die Meinungsfreiheit geschützt. Warum er das Gedicht verschickt habe? »Weil's lächerlich macht«, antwortete der ehemalige Richter. Den Vorwürfen könne er kein Verständnis entgegenbringen.

Im Zuge seiner weiteren Verteidigung redete sich der 79-Jährige regelrecht in Rage: In Deutschland gehe alles den Bach runter, Nichtskönnen sei zum Prinzip geworden und seit den Grünen solle jedes kritische Wort unterbunden werden. Auf die Nachfragen des Gerichts ging der Angeklagte nur kurz ein und nutzte dann wieder die Bühne, um krude Behauptungen über die politische Lage in Deutschland aufzustellen. Überhaupt werde mit ihm ein übles Spiel getrieben, sein Facebook-Account müsse gehackt worden sein, vermutlich von den Grünen oder dem Staatsschutz.

Geduldig versuchte Richterin Domhan den Geschehnissen auf den Grund zu gehen. Ob er seine Zugangsdaten nach dem vermuteten Hackerangriff geändert hätte, verneinte der Angeklagte. Gelöscht habe er den Beitrag nicht - er wisse auch gar nicht, wie man das mache. Einem zuständigen Kriminalbeamten, der im Zuge des Verfahrens aussagte, habe der 79-Jährige damals schon gesagt, »den Dreck nicht geschrieben zu haben«.

Urteil: 7.800 Euro Strafe

Am Ende glaubten weder Staatsanwaltschaft noch Gericht dem Angeklagten - sehr zu dessen Zorn: »Einem Richter nicht zu glauben, das ist eine Frechheit, eine Unverschämtheit«, entgegnete er dem Abschlussplädoyer von Staatsanwalt Freudenberg. Als »Blödsinn« und »eine Schande« betitelte der Beschuldigte die Forderung nach einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 130 Euro.

Nach einer halbstündigen Urteilsfindung kam Richterin Domhan der Forderung sehr nahe: Der Richter a.D. wurde schließlich zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 130 Euro verurteilt, also 7.800 Euro insgesamt. Im verbreiteten Schmähgedicht sei »ein deutlicher Bezug zur Fäkalsprache zu erkennen«, zudem sei es laut Domhan auch keine spontane Äußerung gewesen - sondern schriftlich fixiert und weitergeleitet.

Bezüglich des Facebook-Posts sagte Domhan: »Ich bin davon überzeugt, dass er von Ihnen stammt«. Dafür spreche, dass der Angeklagte an besagtem Januartag weitere Posts abgesetzt und den betreffenden Beitrag bis Mitte des Monats nicht gelöscht hatte. Zudem erschließe es sich der Richterin nicht, dass nach dem vermeintlichen Hackerangriff das Account-Passwort nicht geändert worden sei - und hielt es für abwegig, dass die Grünen den 79-Jährigen überhaupt ins Visier nehmen würden. Der Tatbestand der Volksverhetzung sei erfüllt, da Flüchtlinge und Ausländer pauschal mit schweren Verbrechen in Verbindung gesetzt und somit in ihrer Menschenwürde verletzt werden. Dass der Angeklagte bislang straffrei geblieben sei, komme ihm beim Urteil zugute. Dieses ist noch nicht rechtskräftig. (GEA)