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Tauben ohne Ende in Reutlingen: Suche nach Lösungen

Die Tauben in der Stadt und besonders an der Eisenbahnbrücke sind ein Dauerbrenner. Aber warum werden es immer mehr? Wie gefährlich sind die Tiere als Krankheitsüberträger? Und wie könnte man das Problem lösen? Jürgen Wuhrer vom Nabu-Vogelschutzzentrum Mössingen, und der Leiter des Kreisveterinäramts, Dr. Thomas Buckenmaier, antworten auf die am meisten diskutierten Fragen.

Tauben in der Reutlinger Innenstadt.
Tauben in der Reutlinger Innenstadt. Foto: Steffen Schanz
Tauben in der Reutlinger Innenstadt.
Foto: Steffen Schanz

REUTLINGEN. Egal, ob in der Reutlinger Stadtmitte, in Rommelsbach oder Orschel-Hagen: Die Stadttaube breitet sich aus, und das nicht unbedingt zur Freude aller Menschen. Ganz im Gegenteil – die Tiere gelten vielen als »Ratten der Lüfte«, die Krankheiten übertragen und deren Kot Fassaden zerfrisst. Die Stadt hat vieles versucht, um die weitere Ausbreitung der Tiere zu verhindern und vor allem um die unschöne Lage an der Bahnhofsbrücke in den Griff zu bekommen. Keine davon hat bisher nachhaltig gewirkt. Erst wurde ein Netz angebracht, dann wieder entfernt, eine erneute Anbringung wurde verhindert, nicht zuletzt, weil Tierschützer dagegen protestierten.

Oft werden diese Auseinandersetzungen emotional geführt, die einen sehen in den Vögeln nur lästige Tiere, die man so schnell wie möglich loswerden sollte. Andere stellen den Tierschutz in den Mittelpunkt und pochen auf eine tiergerechte Lösung, um die Tauben umzusiedeln.

Einen sachlichen Überblick geben Jürgen Wuhrer, Ornithologe und Mitarbeiter im Nabu-Vogelschutzzentrum Mössingen, und der Leiter des Kreisveterinäramtes, Dr. Thomas Buckenmaier, im Gespräch mit dem GEA.

Warum verbreiten sich die Tauben so rasant?
Die starke Verbreitung der Stadttauben kommt ganz klar von der Klimaerwärmung, führt Vogelexperte Jürgen Wuhrer aus: »Vor 20 Jahren hatten wir im November Frost, alle Tiere, die zu der Zeit noch geschlüpft sind, kamen nicht durch.« Anders heute: Wegen der milderen Witterung legen Vögel bis in den Spätherbst oder gar frühen Winter Eier, und die Jungtiere überleben in vielen Fällen. Das heißt, alleine durch die verlängerte Brutzeit gibt es viel mehr Tauben als vor einigen Jahrzehnten.

Warum drängen Tauben immer mehr in Städte?
Tauben sind dort, wo sie Futter finden, und das ist in den Städten. Zudem haben sie hier kaum natürliche Feinde, erklärt Dr. Thomas Buckenmaier. »Es ist eine Tierart, die in der Zwischenzeit urban geworden ist«. Das ist aber nur ein Grund für die starke Vermehrung, wie Jürgen Wuhrer berichtet – früher seien die Menschen im Umgang mit den Tauben weniger sensibel gewesen. »Wenn da einem eine Taube nicht gepasst hat, konnte es schon sein, dass er sie abgeschossen hat«, sagt Wuhrer. Zudem stand, für die meisten heute unvorstellbar, noch vor 50 oder 100 Jahren Taube ab und zu auf dem Speiseplan. Damals konnte man sich kaum Fleisch leisten, und so wurde eben auch Taubenbraten oder Taubensuppe serviert.

Woher stammen die Stadttauben?
Die Tauben, die man in bewohnten Gebieten antrifft, sind allesamt verwilderte Haustiere: Zuchttauben, die abgehauen sind, oder Brieftauben, die nicht mehr nach Hause gefunden haben. Aus diesen einstigen Haustauben haben sich mittlerweile in den Städten verschiedenste Populationen entwickelt, die sich perfekt an das Leben in Siedlungen angepasst haben.

Wäre ein Taubenhaus eine Lösung?
Das wäre auf jeden Fall eine der besten Lösungen, betont Wuhrer, »allerdings muss man es dann richtig machen«. Was wiederum einiges an Arbeit mit sich bringt, denn es genügt natürlich nicht, ein mobiles Taubenhaus irgendwo zu platzieren oder ein leerstehendes Gebäude als Taubenhaus auszuweisen. Die Tauben müssen sich heimisch fühlen, um sich dauerhaft niederzulassen. Und das gelingt nur, wenn sie dort Essen finden und es sauber ist. »Einmal am Tag sollte man sie füttern, einmal pro Woche sauber machen, und außerdem sollte man auch einen Plan über die gelegten Eier haben, damit der Eiertausch gelingt«, erklärt Wuhrer. Tauben schlüpfen nach 14 Tagen, daher sollte man nicht zu lange damit warten, die echten Eier gegen welche aus Beton auszutauschen.

Wie sieht es mit den umstrittenen Netzen an der Eisenbahnbrücke aus?
Wenn man vorab prüft, dass keine Tiere mehr in dem Unterschlupf sind und es richtig dicht ist, kann ein solches Netz durchaus etwas bringen, um die Tiere von einem Ort fernzuhalten. Das Kreisveterinäramt wurde daher zu Beratungen hinzugezogen, damit man nicht gegen den Tierschutz verstößt. Allerdings weiß man nie im Vorfeld, welche Maßnahme am Ende tatsächlich Früchte trägt, sagt Buckenmaier, »dafür müsste man schon ein Prophet sein«. Und selbst, wenn eine Vergrämung mit einem Netz erfolgreich ist, »muss man sich darüber im Klaren sein, dass es das Problem nur verlagert«, so Wuhrer. Die Tiere werden sich dann nämlich einen anderen Nistplatz suchen, beispielsweise in leeren Häusern.

Welche anderen Möglichkeiten gibt es noch, um Tauben zu vergrämen?
Eine weitere Lösung ist es, auf natürliche Feinde der Tauben zu setzen. »Man kann versuchen, Greifvögel anzusiedeln, etwa indem man Wanderfalken-Kästen an Kirchtürmen anbringt und hofft, dass sich dort Wanderfalken niederlassen.« Gelingt dies nicht, könnte man auch einen Falkner beauftragen, der mit Falken oder Uhus kommt. »Die Tauben suchen sich oft einen anderen Platz, wenn einige von ihnen geschlagen worden sind.«

Können Tauben Krankheiten auf den Menschen übertragen?
Tauben können Wirte für Krankheitserreger sein, keine Frage, etwa für Bakterien, Viren oder Milben. Eine große Gefahr für den Menschen geht üblicherweise davon nicht aus. Jürgen Wuhrer geht davon aus, dass hier vieles hochgekocht wird und die Angst vor einer Erkrankung unbegründet ist, wenn man sich an Hygienemaßnahmen hält. Diese Einschätzung teilt auch der Mediziner Buckenmaier, »ich schätze das Risiko für sehr gering ein, denn kaum jemand hat ja direkten Kontakt zu den Tieren oder ihren Ausscheidungen«.

Wieso liegen oft tote Tauben unter der Eisenbahnbrücke?
Das kann mehrere Ursachen haben. Zum einen können sich Krankheiten innerhalb des Taubenbestands entwickeln, wenn es eine Überpopulation gibt, also zu viele Tauben an einer Stätte, erklärt Wuhrer. »Dadurch reguliert sich der Bestand von selbst«. Buckenmaier vermutete, dass es oft aber auch »Unfallopfer« sind, da unter der Brücke viele Autos, Lastwagen und Busse durchfahren, mit denen die Tiere zusammenprallen.

Verstoßen die Spikes an der Brücke nicht gegen den Tierschutz?
Um zu verhindern, dass Tauben sich niederlassen oder brüten, werden an Gebäuden mitunter Spikes angebracht. Die Stadt Reutlingen hat dies auch an der Eisenbahnbrücke gemacht. Oft sorgt dies für Proteste von Tierschützern, die darauf hinweisen, dass sich die Tiere an diesen Spitzen verletzen können. »Spikes sind umstritten«, sagt auch Dr. Buckenmaier. Klar sei, dass sie nicht tierfreundlich sind, aber sie sollen ja eben auch zur Abwehr der Tiere dienen. Die Verletzungsgefahr sieht Buckenmaier vor allem bei jüngeren oder nicht ganz fitten Tieren. »Ein gesundes Tier, das alle Sinne beieinander hat, fliegt nicht hinein und spießt sich auf«, so seine Einschätzung.

Wie geht’s weiter mit den Tauben in Reutlingen?
Es ist ein Thema, das noch länger beschäftigen wird, sind sich die Experten einig. Denn es ist nicht einfach, eine Lösung zu finden, mit der Mensch und Tier harmonisch nebeneinander leben können. Der erste Versuch mit einem Netz ist gescheitert, ob weitere folgen, ist unklar. »Das erste Mittel der Wahl« wäre laut Wuhrer ein Taubenhaus. Doch um dies sinnvoll zu betreiben, braucht es auch Menschen, die sich darum kümmern. (GEA)