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Stillleben für Kinderleben

REUTLINGEN. Seit siebzehn Jahren lebt Enami Shibata in Deutschland, fünf Jahre davon in Reutlingen. Im japanischen Okazaki geboren, hat sie von Kindesbeinen an gerne gemalt. Gerne und sehr gut – wie diverse Preise beweisen, die sie seit frühester Jugend einheimsen konnte. Kein Wunder also, dass das talentierte Mädchen seine künstlerische Neigung am liebsten zum Beruf gemacht hätte. Jedoch: Da waren erhebliche elterliche Bedenken vor.

Die Künstlerin Enami Shibata unterstützt japanische Waisenkinder aus der Katastrophenregion Fukushima. FOTO: TRINKHAUS
Die Künstlerin Enami Shibata unterstützt japanische Waisenkinder aus der Katastrophenregion Fukushima. Foto: Gerlinde Trinkhaus
Die Künstlerin Enami Shibata unterstützt japanische Waisenkinder aus der Katastrophenregion Fukushima.
Foto: Gerlinde Trinkhaus
»Vater und Mutter«, verrät die heute 39-Jährige, »hielten meine Pläne für eine Schnapsidee.« Beide bangten sie um die Zukunft ihrer Tochter und legten ihr deshalb nahe, doch besser ein solides Brot-und-Butter-Studium zu absolvieren. Auf dass Enami als Erwachsene stets ein Auskommen mit ihrem Einkommen haben werde.

Deutsch ist logisch

»Diesen Gefallen«, so Shibata, »habe ich meinen Eltern nach reiflicher Überlegung getan.« Und wie sich alsbald herausstellen sollte, war’s eine schicksalhafte Entscheidung, die da vor etwa zwanzig Jahren gefällt wurde. Denn hätte die junge Japanerin Kunst anstelle von Wirtschaftswissenschaften studiert, hätte ihr diese Fachrichtung nicht das Erlernen einer weiteren Fremdsprache abverlangt, wäre die Wahl nicht auf Deutsch gefallen – wer weiß, wo Enami Shibata heute leben und wirken würde.

»Leicht«, erklärt sie, sei ihr der Deutschunterricht gefallen, und das, obschon die Sprache doch gemeinhin als knifflig empfunden wird. »Das kann ich überhaupt nicht bestätigen«, sagt die Wahlreutlingerin und präzisiert: »Deutsch ist überaus logisch, ebenso wie die deutsche Mentalität.«

1993 war’s, als die Studentin erstmals zu Bildungszwecken in die Bundesrepublik reiste und sich spontan für Land und Leute erwärmte. Mehr noch: Dieser erste Trip sollte ein durch und durch prägender sein. »Er hat einen unglaublich starken und positiven Eindruck hinterlassen« – zu einem Zeitpunkt, als Enami Shibata Pinsel und Leinwand schon lange nicht mehr angerührt hatte.

Stattdessen konzentrierte sie sich auf ihr Universitätsdiplom, jobbte nebenher als Nachhilfelehrerin, legte Yen für Yen auf die hohe Kante und träumte den Traum von einem dauerhaften Aufenthalt in Deutschland. In Erfüllung ging er anno 1996. Und heute, siebzehn Jahre später, nach einem Zweitstudium der Weinbetriebswirtschaft, der Hochzeit mit Ehemann Mark Ebel und der Geburt ihres Söhnchens Haruki, weiß Enami Shibata, dass sie ihren Traum nicht irrtümlich geträumt hat. »Ich fühle mich pudelwohl«, bekennt sie und erzählt von bewegten Lehr- und Wanderjahren. Lebensläufige Zwischenstopps führten sie von Bonn über Heilbronn ins Elsass, weiter nach München und Stuttgart, schließlich nach Reutlingen, wo sich Shibata mit ihrer Familie bestens eingelebt und zur Kunst zurückgefunden hat.

Von Profis ermutigt

Ermutigt von Reutlinger Profis und von diesen freundlich in die schöpferisch-kreative Szene der Achalmstadt aufgenommen, hat sich die 39-Jährige aktuell dem Malen von Stillleben verschrieben. Wobei es besonders das Thema Wein ist, das sie inspiriert. Zu sehen und zu erwerben sind ihre Acryl-Arbeiten, deren Verkaufserlös zur Hälfte japanischen Waisenkindern zugutekommt, derzeit im Rahmen der Aktion »Kunst an jedem Ort«: im Restaurant »Il Panino« und bei »Peter Eisele – Whisky und Tabak«.

Was aber ist mit Heimweh? Quält sie’s zuweilen? Nicht wirklich. Zwar sei Enami Shibata im Herbst 2013 nach einer mehrwöchigen Japan-Reise – der vierjährige Sohn Haruki sollte Tuchfühlung mit der Kultur seiner Mutter aufnehmen – der Abschied schwerer als sonst gefallen. Gleichwohl »kann ich mir nicht vorstellen, wieder nach Okazaki zurückzukehren«, wo man übrigens schon seit Jahrzehnten ein Erdbeben gigantischen Ausmaßes erwartet.

»Bisher ist diese Naturkatastrophe glücklicherweise ausgeblieben«, sagt die 39-Jährige. Ereignet hat sie sich dafür am 11. März 2011 in und um Fukushima und dortselbst, wie Shibata betont, »für alle vollkommen unerwartet«. Niemand, nicht einmal die Wissenschaft, habe damit gerechnet, dass es den Norden Nippons mit solch’ verheerender Wucht treffen könnte.

»Das war eine bitterböse Überraschung, ein Albtraum« – der freilich noch lange nicht ausgestanden ist. »Der Wiederaufbau«, hat Shibata bei ihrem jüngsten Besuch in der Urheimat erfahren, »geht äußerst schleppend voran.« »Wegen der immensen Strahlenbelastung durch die leckgeschlagenen Reaktorblöcke finden sich nämlich keine Arbeitskräfte mehr. Die Regierung versucht inzwischen, sogar Obdachlose anzuheuern.« Erschwerend komme hinzu, dass es in der kontaminierten Region »fast kein Know-how mehr gibt«. Experten, die sich mit Atommeilern auskennen, die als Männer der ersten Stunde im Einsatz waren, sind entweder der Strahlung zum Opfer gefallen oder haben – »diese lebensgefährliche Aufgabe kann man ja nur befristet bewältigen« – das Katastrophengebiet verlassen.

Berührende Schicksale

»Das alles ist so furchtbar.« Als noch furchtbarer empfindet die Autodidaktin jedoch das Schicksal der Kinder, die ihre Eltern durch das Beben verloren haben. Diesen traumatisierten Waisen zu helfen, hat sich Enami Shibata nun vorgenommen, ihnen will sie ihre Schaffenskraft widmen. Heißt konkret: Auch nach ihrem Mitwirken bei »Kunst an jedem Ort« – das Event endet Mitte Februar – plant Shibata die Erlöse aus ihren Verkäufen zu 50 Prozent an die japanische Stiftung »Ashinaga« weiterzureichen. »Das ist mir ein Herzensanliegen.« (GEA)