REUTLINGEN. Die Scherben einer gescheiterten Ehe haben das Schöffengericht am Amtsgericht Reutlingen juristisch beschäftigt. Dem Noch-Ehemann wird die Vergewaltigung seiner Noch-Ehefrau in Tateinheit mit Körperverletzung vorgeworfen. Der Angeklagte legt ein vollumfängliches Geständnis ab, kommt mit einer Bewährungsstrafe davon. Denn die Verhandlung voller Aussagen zum Absturz einer ehemaligen Liebesbeziehung macht deutlich, dass es hier nicht um das geht, was gemeinhin als Vergewaltigung verstanden wird.
Neun Jahre lang sind der 35 Jahre alte Angeklagte und sein Opfer ein Paar gewesen. Die beiden werden die Eltern einer Tochter und eines Sohnes. Warum und wie dieses Glück schließlich zerbrochen ist, spielt im Sitzungssaal 1 des Reutlinger Amtsgerichtes keine Rolle. Wohl aber das, was Staatsanwalt Dr. Jan Vytlacil in seiner Anklageschrift in allen Details ausbreiten muss.
Im September des vergangenen Jahres ist laut Anklage der Konflikt zwischen Mann und Frau an einem Tag und in der darauffolgenden Nacht mehrfach eskaliert. Das bereits getrennte Paar lebt noch unter einem Dach, als der Ex-Gemahl auf dem Smartphone seiner Ex-Gattin einen Chatverlauf findet. Offenbar handelt es sich um ihre Korrespondenz mit einem Liebhaber. Daraufhin kommt es in den Morgenstunden zu einem heftigen Streit. »Er gab ihr in der Küche auf jede Wange eine Ohrfeige«, beginnt der Staatsanwalt seine Beschreibung. »Hure, Schlampe«, habe der Angeklagte die Frau anschließend beschimpft sowie sie gegen ihren Willen am nackten Oberkörper berührt. Mit seinen Fingern sei er trotz Gegenwehr mehrfach zwischen ihren Beinen in sie eingedrungen.
Opfer wehrte sich heftig
Dies obschon sich das Opfer heftig wehrte, sowie mehrfach »Stop« sagte. Auf dem Boden habe sich ein »länger andauerndes Gerangel« entwickelt. Dies alles in Gegenwart der Kinder im Haus. Es handele sich damit um zwei Fälle von sexueller häuslicher Gewalt, sprich um Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung, führt Staatsanwalt Dr. Jan Vytlacil aus. Der Angeklagte selbst schweigt zunächst, lässt stattdessen seine Anwältin sprechen.
»Er räumt das, so wie es in der Anklage steht, ein«, erklärt Rechtsanwältin Michaela Spandau. Ihrem Mandanten tue es »sehr leid. Er war sehr geschockt. Er übernimmt die Verantwortung«, sagt die Juristin. Mehr noch befinde sich der Angeklagte seit der Tat in psychologischer Behandlung, nutzt beim Pfunzkerle e.V. das Beratungs- und Trainingsangebot gegen häusliche Gewalt.
Schließlich betont die Verteidigerin, ihr Klient habe sich mehrfach entschuldigt sowie auch einen Täter-Opfer-Ausgleich angeboten, den seine Ex-Frau jedoch ablehne. Wieso wird klar, als das Opfer in den Zeugenstand gebeten wird.
Zu den Taten des Vaters ihrer Kinder möchte die Frau nun wirklich bei der Verhandlung nichts mehr sagen. Sehr wohl jedoch erklärt sie unter Tränen sichtlich mitgenommen, wie es ihr danach gegangen ist: sehr schlecht. Monatelang kann sie nicht arbeiten. Was die Tat des Vaters bei den Kindern angerichtet haben muss, kann man nur erahnen. »Ich merke bis heute, dass ich mich viel damit auseinandersetzen muss«, offenbart die Geschädigte dem Gericht. Fassungslos sei sie, »dass mich ein Mensch so gedemütigt hat, der mir so nahe stand«. Schweigen im Saal. Der Fall ist glasklar, weswegen die Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidigerin sich letztlich kaum unterscheiden. »Es liegt kein Regelfall von Vergewaltigung vor«, sagt Ankläger Vytlacil, und fordert deswegen eine zweijährige Haftstrafe auf Bewährung. Dem schließt sich Anwältin Spandau an.
Wieso es kein »Regelfall« ist, erklärt Richter Eberhard Hausch in seiner Urteilsbegründung. Der Täter erhalte deswegen eine zweijährige Haftstrafe auf Bewährung, »weil es dem Angeklagten nicht um Sex ging. Ihm ging es um Machtausübung« – und das mache juristisch einen wesentlichen Unterschied. Dieses Urteil sei aber, betont Hausch, »nicht als Freibrief für Vergewaltigung in der Ehe zu verstehen«. Dem Mann müsse klar sein, dass er gerade noch einmal davongekommen sei.
Strafmildernd hätten sein umfangreiches Geständnis sowie seine Bemühungen um Aufarbeitung danach gewirkt. Schließlich sei er nicht vorbestraft und außerdem würde ein Vater hinter Gittern die Kinder noch mehr belasten, könne keinen Unterhalt bezahlen. Der Verurteilte muss jedoch auch noch einerseits 4.000 Euro Schmerzensgeld an sein Opfer bezahlen, sowie 2.000 Euro an soziale Organisationen überweisen. (GEA)