»Wir wollen uns noch mal so richtig austoben«, nennen die beiden, 64 und 65 Jahre alt, den Grund für die Geschäftsaufgabe. Ein »Werkstättle« schwebt ihnen am neuen Wohnsitz vor, in dem sie mit Techniken und Materialien experimentieren können - ganz ohne Kostendruck. Und mit der Freiheit, auch mal was in den Sand setzen zu können. Anders als bisher, schließlich mussten die beiden mit ihren vier Kindern vom Laden leben. Zeit ist Geld, da bleibt für Experimente oder eine extrem arbeitsintensive Fertigung wenig Raum.
Beide haben das Goldschmiede-Handwerk von der Pike auf gelernt. Sie üben es in schönster Rollenteilung aus. Sybille Groh war schon immer die »Wilde« mit Hang zum Außergewöhnlichen. Wolfgang Groh dagegen, ein hervorragender Techniker, mag's symmetrisch - Nachwehen seiner Anfangsjahre als Edelsteinfasser. Gelernt hat er bei einem renommierten Juwelier in Stuttgart, zu dessen Kunden sogar königliche Hoheiten gehörten. Aberhunderte Brillanten und andere wertvolle Steine musste Groh fassen. »Das war eine technische Herausforderung«, sagt er. Mehr aber auch nicht. Denn die Kreativität blieb dabei auf der Strecke.
»Anfangs war es Krieg zwischen uns und den Juwelen«, lacht Sybille Groh, »'das ist doch nicht gerade' hat er immer zu meinen Sachen gesagt«. Der Widerstand legte sich, auch Wolfgang Groh macht mittlerweile wilde Sachen. Und beide ergänzen sich perfekt. »Pingpong in Gedanken« nennen sie das Zusammenspiel. Das kommt nicht von ungefähr. »Wir sind beide 68er«, erklärt Sybille Groh. Menschen also, die gern gegen den Strom schwimmen, die alles hinterfragen. Auch beim Thema Schmuck. »Schmuck kommt von Schmücken und nicht von Wertigkeit«, umreißt sie ihre Philosophie. Verkaufen wollen sie nur Produkte, hinter denen sie stehen können. Behandelte Steine, Kinderarbeit oder Dinge, die viel Müll hinterlassen, sind tabu. »Das soll alles moralisch einwandfrei sein.«
Bei der Vita des kreativen Paares wundert es nicht, dass es Reutlingen wieder den Rücken kehrt. Seit 1988 fertigt das Ehepaar in der Werkstatt im Erdgeschoss des Jugendstilhauses in der Payerstraße Schmuck. Doch das war nur eine Station von vielen auf dem gemeinsamen Lebensweg.
Der begann just beim Stuttgarter Nobel-Juwelier, wo er in der Werkstatt, sie im Verkauf arbeitete. »Als Goldschmiedin bekam ich damals keine Stelle, die wurden alle für die Männer freigehalten.« Karlsruhe und Freiburg folgten. Wolfgang Groh arbeitete als Angestellter in Goldschmiede-Werkstätten, zuletzt als Betriebsleiter in Reutlingen.
»Da fängt für mich Schmuck an«Als die vier Kinder flügge waren, wollte Sybille Groh zurück in ihren Beruf. Frauen wurden damals schlechter bezahlt als Männer, aber auch deren Verdienst war wie in vielen anderen Handwerksberufen alles andere als berauschend. »Das bisschen, was man da verdient, kriegen wir auch zusammen«, sagten sich deshalb die beiden. Da sie ohnehin noch einmal etwas ganz anderes und das Ganze »ohne Einschränkungen« machen wollten, gründeten sie ihren eigenen kleinen Betrieb in der Payerstraße.
Anfangs war die Werkstatt in der Wohnung. Als das Erdgeschoss frei wurde, bauten sie es maßgeschneidert für ihre Bedürfnisse aus. Mittelpunkt des Ateliers ist der spezial angefertigte Werktisch, an dem beide arbeiten. »Das ist die Wiege von allem«, sagt Wolfgang Groh stolz. Sämtliche Utensilien, die sie benötigen, finden sich in Reichweite auf dem Tisch. Daneben ein Stamm, an dem zig Treibhämmer hängen. Die Holzgriffe fertigt Wolfgang Groh selbst, schließlich sollen sie perfekt in der Hand liegen.
Die Werkbank steht neben dem Verkaufstisch. Die Kunden können die Herstellung ihrer Schmuckstücke miterleben. Und bereits beim Entwurf mitwirken. »Da fängt für mich Schmuck an«, sagt Sybille Groh, »das ist nichts Anonymes von der Stange, sondern eine ganz individuelle Kreation.«
Die Stammkunden kommen von überall her, sogar aus der Schweiz. Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten hielten sie den Grohs die Treue. »Die wachsen mit uns«, lacht Wolfgang Groh, »die Welt verändert sich, unser Schmuck auch.« Geschätzt wird die Bodenständigkeit, die sich das Paar trotz vieler Preise und Auszeichnungen bewahrt hat.
Von Reutlingen verabschieden sich Sybille und Wolfgang Groh mit dem guten Gefühl, außerhalb der Einkaufsmeile Fußgängerzone überlebt zu haben - länger, als sie es selbst für möglich gehalten hätten. Einen Nachfolger wird es nicht geben. Kann es auch gar nicht, meint Sybille Groh und schaut sich im kleinen Atelier um. »Das war unser Kind und ganz auf uns zugeschneidert.« (GEA)