Logo
Aktuell Amtsgericht

Richter beschlagnahmt Facebook-Account

REUTLINGEN. Auf der Anklagebank sitzt einer aus der Generation Facebook. Zwanzig Jahre jung, mit Turnschuhen und T-Shirt, das Smartphone in der Jeans. Ihm wird Beihilfe zum Wohnungseinbruchsdiebstahl vorgeworfen, doch das macht das Verfahren vor dem Reutlinger Amtsgericht nicht wirklich außergewöhnlich. Spannend wird's als Richter Sierk Hamann verkündet, den Facebook-Account des Angeklagten zu beschlagnahmen. Damit spielt auf einmal das größte soziale Netzwerk der Welt eine Rolle im Gerichtssaal. Denn es geht im Prozess um Kontakte des Angeklagten mit dem Einbrecher.

Auf Facebook gespeicherte Informationen interessieren das Amtsgericht.
Auf Facebook gespeicherte Informationen interessieren das Amtsgericht. Foto: dpa
Auf Facebook gespeicherte Informationen interessieren das Amtsgericht.
Foto: dpa
Hat der 20-Jährige in jener Nacht vor zwei Jahren dem Gauner geholfen, in das Wohnhaus einer Familie einzusteigen, oder ist er unschuldig? Der Einbrecher soll nicht nur leichtes Spiel durch ein von innen geöffnetes Garagenfenster gehabt haben, sondern könnte auch über die Abwesenheit der Bewohner informiert worden sein. Doch wer hat ihm auf diese Weise geholfen?

Der junge Mann auf der Anklagebank war auf jeden Fall am Abend des Verbrechens bei einer der Töchter der geschädigten Familie im Haus zu Besuch, ist mit ihr unterwegs gewesen. Offenbar hat es auch einen Austausch von Kurznachrichten und Chat-Botschaften zwischen ihm und dem Einbrecher gegeben. Dennoch streitet der Beschuldigte den Vorwurf der Beihilfe energisch ab: »Ich habe damit nichts zu tun, und kein Fenster geöffnet«. Richter Sierk Hamann geht der Sache auf den Grund.

Als »Al Capone« im Chat

Er verliest von der Polizei gesicherte Kurznachrichten und Chat-Botschaften, in denen der Angeklagte als »Al Capone« kommuniziert habe, und fragt den jungen Mann unter anderem, wieso er alle Mails auf seinem Handy vor dem Tag des Einbruches gelöscht habe.

Das sei doch völlig normal, meint der, macht im Übrigen so manche Erinnerungslücken geltend, und lässt sich auch durch Hamanns Hinweis - »es gibt schon Dinge, die auf Sie hindeuten« - nicht aus der Ruhe bringen. Womit Richter Hamanns Suche nach weiteren be- oder entlastenden Informationen erst so richtig in Fahrt kommt.

»Ich habe mir erlaubt, ihren Facebook-Account zu beschlagnahmen«, verkündet der Amtsrichter, »denn das soziale Netzwerk ist eine unerschöpfliche Quelle.« Schließlich könnten die Daten des Angeklagten im sozialen Netzwerk unter Umständen Licht ins Verfahren bringen. Könnten, denn noch hat Hamann die Daten nicht, sondern setzt sich mit Facebook auseinander, was keinesfalls einfach scheint. Seine Erfahrungen macht der Amtsrichter in der Verhandlung öffentlich.

Ein Schreiben an Facebook Deutschland mit Sitz in Hamburg habe die Erkenntnis gebracht, dass Facebook Irland für die »Bereitstellung von Diensten für Deutschland« zuständig sei. Hamann verliest eine Stellungnahme von Facebook mit dem Satz: »Es gibt keine in Deutschland Beschäftigten, die Zugriff auf Nutzerdaten haben.« Im Übrigen befänden sich die Computer, auf denen diese Daten gespeichert sind, in den USA. »Facebook rückt die Daten noch nicht heraus«, stellt Hamann fest, womit sich der Reutlinger Richter aber keinesfalls abspeisen lassen möchte. »Ich beabsichtige jetzt Zeugen aus Irland zu laden«, verkündet er. Dies würde er ebenso machen, wenn es um die Herausgabe von Kontoauszügen einer beliebigen Bank gehe. Schließlich müsse sich auch Facebook an deutsches Recht halten, ganz egal wer in diesem Netzwerk von wo aus auf welche Daten Zugriff habe oder nicht. An den Angeklagten gerichtet gibt er zu bedenken, dass er im Falle einer Verurteilung die Kosten für eine derart aufwändige Ermittlungsarbeit tragen müsse. Es sei denn, er kooperiere.

»Ich mache Ihnen das Angebot der freiwilligen Datenherausgabe«, sagt Hamann dem Beschuldigten und fordert ihn damit auf, die Informationen seines Facebook-Accounts selbst zu sichern und herauszurücken - das könne jeder Nutzer des Netzwerks. Zeit sei dazu bis rechtzeitig vor der Fortsetzung des Verfahrens am 23. Februar. (GEA)