Logo
Aktuell Beratungsstelle

Reutlinger Verein pro familia bangt um Existenz

Einnahmen hat die Reutlinger Beratungsstelle pro familia fast keine, aber die Nachfrage steigt ständig. Wenn sich die Situation nicht ändert, droht binnen weniger Jahre das Aus. Erstmals hat der Trägerverein darum den Kreis um Unterstützung für Beratungen gebeten.

Pro familia hat den Auftrag, bei allen Fragen rund um Familienplanung, Schwangerschaft, Sexualität, aber auch vor Schwangerschaf
Pro familia hat den Auftrag, bei allen Fragen rund um Familienplanung, Schwangerschaft, Sexualität, aber auch vor Schwangerschaftsabbrüchen, zu beraten. Das Angebot wird zunehmend nachgefragt, die Finanzierung wackelt aber gewaltig. Foto: Symbolfoto: adobe stock
Pro familia hat den Auftrag, bei allen Fragen rund um Familienplanung, Schwangerschaft, Sexualität, aber auch vor Schwangerschaftsabbrüchen, zu beraten. Das Angebot wird zunehmend nachgefragt, die Finanzierung wackelt aber gewaltig.
Foto: Symbolfoto: adobe stock

REUTLINGEN. Die Lage ist ernst für die Beratungsstelle pro familia. »Wenn es so weitergeht, können wir noch drei Jahre weitermachen«, sagt Grit Heideker, die Leiterin der Reutlinger Beratungsstelle, was dann kommt, steht in den Sternen. Klar ist: Im Moment sind die laufenden Ausgaben nicht zu stemmen, der Verein muss auf Insolvenzrücklagen zurückgreifen, die spätestens in drei Jahren aufgebraucht sind. Andere Rücklagen hat der Verein nicht, ebenso wenig wie regelmäßige, größere Einnahmen.

Das ist auch einer der Gründe für die finanzielle Schieflage: Der größte Teil der Beratungsangebote gehört zur sogenannten »Daseinsvorsorge«. Diese ist unter anderem im »Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten« verankert und muss kostenfrei erfolgen. Nach einem Einwohnerschlüssel berechnet das Sozialministerium des Landes die benötigten Stellen. Im Falle der Reutlinger Beratungsstelle sind dies 2,65 Vollzeitstellen, die sich fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilen. Von den anfallenden Personal- und Sachkosten übernimmt das Land 80 Prozent, die restlichen 20 Prozent müssen auf andere Art und Weise erwirtschaftet werden.

Genau das ist aber kaum möglich, erläutert Heideker. Denn für die wenigsten Angebote kann pro familia Kostenbeiträge erheben, Spenden gehen relativ wenig ein und auch die Fundraising-Mittel, beispielsweise aus gespendetem Zahngold oder über Bußgelder, sind rückläufig. Die Stadt Reutlingen fördert seit mehr als 20 Jahren mit einem Miet- und Beratungszuschuss, der Kreis gibt bisher nur Zuschüsse für den Bereich der Jugendhilfe und den Kinderschutz. Das reicht einfach nicht aus.

Lebenssituationen von Familien werden schwieriger

Gleichzeitig wenden sich immer mehr Frauen an die Beratungsstelle. So wurden im Jahr 2022 bundesweit etwa zehn Prozent mehr Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt; in den beiden letzten Quartalen waren es sogar 16 Prozent. Auch in Reutlingen ist ein deutlicher Anstieg an Beratungen zu verzeichnen. Dies habe vielschichtige Gründe, erläutert Grit Heideker.

Die Lebenssituation vieler Familien wird immer schwieriger: Oft fehlt es an Geld oder Wohnraum für ein (weiteres) Kind, auch die weniger werdenden Kinderbetreuungsangebote oder Probleme, Familie mit dem Beruf zu vereinbaren, führen dazu, dass sich Mütter häufiger dagegen entscheiden, ein Kind zu bekommen. Auch mehr Flüchtlinge, darunter viele jüngere Frauen aus der Ukraine, waren im vergangenen Jahr in der Betreuung, was die Fallzahlen ebenfalls steigen lässt.

Doch nicht nur die vorgeschriebenen Beratungstermine vor einem Schwangerschaftsabbruch werden mehr, sondern auch die Begleitung von Schwangeren und Familien im Verlauf der Schwangerschaft oder in Fragen der Verhütung oder Sexualität allgemein - diese machen rund drei Viertel aller Beratungen aus. Das Spektrum der Anfragen ist ebenfalls breit gestreut: Es reicht von Fragen zur ungewollten Schwangerschaft über Erziehungsfragen bis zu Sorgen, die durch Pränataldiagnostik entstehen können.

Einiges kann in einem Gespräch geklärt werden, aber oft begleiten die Beraterinnen und Berater Frauen über einen längeren Zeitraum, mitunter bis zur Geburt und darüber hinaus. Auch für diese Klienten kann pro familia in den meisten Fällen keine Gebühren verlangen, was unter sozialen Aspekten absolut sinnvoll ist, aber die bestehende Finanzierungslücke vergrößert.

Beratungsbedarf wird weiter steigen

Und diese Lücke wird auch in den nächsten Jahren nicht kleiner, ist sich Heideker sicher, denn: »Eine weitere Zunahme in allen Bereichen ist zu erwarten«. Auch die Kosten für Personal, das ohnehin nur schwer zu finden ist, und die Sachausgaben werden weiter steigen. Daher gibt es nur eine Lösung: »Wir benötigen dringend eine verlässliche Finanzierung der bisher nicht finanzierten Anteile«, schreibt der Verein an die Kreistagsfraktionen mit der Bitte um Unterstützung.

Die Kassen des Landkreises sind leer, das ist dem Verein klar, trotzdem habe man sich entschieden, bereits in diesem Jahr einen Antrag zu stellen, und nicht erst, wenn man komplett in Schieflage geraten ist. Die Leistungen, die der Verein als freier Träger erbringt, sind Pflicht. Sollte pro familia sie tatsächlich nicht mehr übernehmen können, müsste der Landkreis dafür einen anderen freien Träger finden oder die Aufgabe selbst erfüllen. Dies, so macht Heideker klar, wäre dann noch um einiges teurer als der Zuschuss von rund 31.000 Euro, den man für 2024 beantragt hat, bis 2026 soll er auf 35.000 Euro steigen.

Heideker geht davon aus, dass es keine dauerhafte Übernahme der Kosten sein wird, »sondern eine übergehende Überbrückung«. Die Bundesregierung arbeite derzeit bereits an einer Neuregelung der Daseinsvorsorge, was auch die Finanzierung ändern könnte. Aber bis das neue Gesetz greift, will pro familia auch am Standort Reutlingen zuverlässig und zeitnah für Hilfesuchende da sein. (GEA)