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Reutlinger Sportheime: Eine Welt für sich

Sportheime sind eine Welt für sich. Mit »normalen« Gaststätten sind sie nicht zu vergleichen. Ein Blick in drei Vereinsheime in Reutlinger Bezirksgemeinden zeigt, was sie so besonders macht.

Die Mannschaft des TSV Oferdingen und Sportgaststätten-Wirt Zeljko Gucic (Vierter von rechts).
Die Mannschaft des TSV Oferdingen und Sportgaststätten-Wirt Zeljko Gucic (Vierter von rechts). Foto: Frank Pieth
Die Mannschaft des TSV Oferdingen und Sportgaststätten-Wirt Zeljko Gucic (Vierter von rechts).
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Frisch geduscht geht es direkt an die Theke. Bier sowie Schnitzel mit Pommes bestellen sich fast alle Fußballer des TSV Oferdingen, die nach dem abendlichen Training noch in der Stammtisch-Ecke der vereinseigenen Sportgaststätte gemütlich zusammensitzen. »Das ist bei uns so Tradition, das machen wir jeden Donnerstag «, sagt Daniel Kunst, Kapitän der ersten Mannschaft. »Es verbindet uns auch mit unserer zweiten Mannschaft.« Die trainiert zwar auf demselben Platz, Berührungspunkte gebe es aber ansonsten kaum. Im Sportheim treffen sich dann die Spieler, um zu quatschen - längst nicht nur über Fußball. »Es gibt auch ein paar Spezialisten in der Zweiten, die lassen das Training sausen und kommen nur ins Sportheim«, sagt Kunst grinsend.

Das hat auch sehr viel mit Wirt Zeljko Gucic tun, der die Sportgaststätte in Oferdingen seit 29 Jahren betreibt. Weil er mit »den Jungs« gut klarkommt, macht er ihnen besonders günstige Preise. Das »Sportler-Schnitzel« mit Pommes gibt's für 5,50 Euro, den halben Liter Bier für 2,50 Euro. Und jeden Sonntag gibt er den Kickern einen »Stiefel«, gefüllt mit Bier, aus - egal, ob sie gewonnen oder verloren haben. »Auch dem Gegner«, betont Gucic. Silvio Keune, seit anderthalb Jahren Trainer des Kreisliga-A-Teams, findet es »auffällig, wie gut es mit dem Sportheim hier läuft«. Bei seinen anderen Trainerstationen hat er teils die Erfahrung gemacht, dass die Fußballer und die Sportheim-Wirte kaum etwas voneinander wissen wollten oder Vereine große Probleme hatten, einen Betreiber zu finden.

»Man braucht viel Fingerspitzengefühl, um allen gerecht zu werden«

Gucic hingegen steht an jedem Sonntag als Zuschauer am Spielfeldrand. Auch nach bald 30 Jahren ist der ehemals selbst aktive Fußballer noch nicht Sportheim-müde geworden. "Ich liebe das einfach." Obwohl er auch sagt, dass so eine Vereinsgaststätte "noch einmal eine Schippe extremer" ist als ein "normales" Gasthaus. "Hier treffen sehr viele unterschiedliche Menschen aufeinander", erklärt der Wirt, der im Reutlinger Ratskeller und im Glemser Stausee-Hotel eine Lehre als Koch gemacht hat. Da seien die Fußballer, die nach einem Sieg schonmal grölend das Sportheim stürmen. "Das muss ich dann manch verwunderten Gästen, die nur zum Essen da sind, erst einmal erklären. Dann gibt es noch die Stammtischler, die grantig werden können, wenn ihr Stammplatz besetzt ist. "Denen geb ich dann eine Runde aus, dann ist alles wieder gut." Was er damit sagen will: "Man braucht Fingerspitzengefühl, um diesen drei Gruppen gerecht zu werden." Für ihn ist das eine mögliche Erklärung, warum manche Vereine Probleme haben, einen Wirt für ihr Sportheim zu finden.

Arbeiten gut zusammen: Clubhaus-Inhaber Holger Pfingsttag (rechts), Bedienung Sabrina Hippler und Günter Forster, Vorstand vom T
Arbeiten gut zusammen: Clubhaus-Inhaber Holger Pfingsttag (rechts), Bedienung Sabrina Hippler und Günter Forster, Vorstand vom TSV Betzingen. Foto: Steffen Schanz
Arbeiten gut zusammen: Clubhaus-Inhaber Holger Pfingsttag (rechts), Bedienung Sabrina Hippler und Günter Forster, Vorstand vom TSV Betzingen.
Foto: Steffen Schanz

An einem sonnigen frühen Nachmittag ist direkt vor dem Clubhaus des TSV Betzingen kein Parkplatz mehr zu bekommen. Obwohl die Mittagstisch-Zeit schon vorbei ist, sind im Biergarten und im Gastraum die meisten Tische besetzt, auf fast allen anderen steht ein »Reserviert«-Schildchen. »Die brauched koi Werbung mehr«, sagt ein Gast lachend als er mitbekommt, dass der GEA zu Besuch ist. Wirt Holger Pfingsttag nickt. »Vor allem am Schnitzel- und Cordon-bleu-Tag bekommt man ohne Reservierung eine Woche im Voraus keinen Platz mehr«, sagt der Inhaber, der Ende Mai das von ihm parallel betriebene »Möhrenköpfle« nach 25 Jahren »schweren Herzens aufgegeben« hat. Es habe sich nicht mehr rentiert. Im Sportheim hingegen ist regelmäßig »viel mehr los«.

»Es hat nachgelassen, dass die Leute bis in die Puppen am Stammtisch sitzen«

Mittags ist das Clubhaus vor allem für viele Angestellte aus dem angrenzenden Industriegebiet zum Essen da, aber auch viele Senioren aus dem Ort oder Ausflügler eine Anlaufstelle für gutbürgerliches Essen. Fußballer, aber auch andere aktive Sportler aus den zwölf Abteilungen des TSV Betzingen findet man in der Gaststätte seltener, sagt Pfingsttag. Das liege auch daran, dass seit der Corona-Pandemie die Öffnungszeiten abends verkürzt worden sind. »Warme Küche gibt's nur noch bis 21 Uhr.« Das reicht für viele nach dem abendlichen Training nicht mehr. »Die Tischtennisspieler und Handballer rufen manchmal an, dass sie etwas später noch vorbeikommen wollen, dann lasse ich die Küche etwas länger warm«, sagt der Wirt. Das war zu Günter Forsters aktiven Sportler-Zeit noch anders. »Wir sind nach jedem Spiel und jedem Training am Stammtisch gesessen bis in die Puppen«, erinnert sich der TSV-Vorsitzende, der seit 51 Jahren Mitglied ist. »Das hat alles nachgelassen.«

So geht es weiter

Am nächsten Dienstag, 17. Oktober, lesen Sie in der GEA-Gastro-Serie: Der Schwanen in Nehren: Ein Dorf rettet mit einer Genossenschaft sein Gasthaus. (GEA)

Deutlich regelmäßiger sei dagegen »die ältere Generation ab 75 aufwärts« der Vereinsmitglieder da, sagt Pfingsttag. »Für die ist das immer noch der zentrale Treffpunkt, die haben noch ihre Stammtische.« Und sie sind stark vertreten, wenn samstags die Bundesliga-Konferenz im Fernsehen läuft oder sonntags das Frühschoppen ansteht. »Einzelne Sportler kommen schon auch immer«, wirft Förster ein, »aber eben nicht mehr mit ihren Teamkollegen, sondern eher mit ihren Familien.«

Für den Verein ist das Clubhaus trotz der Veränderungen »immer noch der zentrale Ort« sagen Vorstand und Wirt unisono. Jede Versammlung und jede Vereinsfeier findet hier statt. »Wir arbeiten sehr gut zusammen«, betont Pfingsttag. Ein Hausverwalter, »der jede Schraube hier kennt«, kümmert sich darum, dass das 1929 errichtete Sportheim in Schuss bleibt und modernisiert wird. Im nächstens Jahr feiert Pfingtsttag sein zehnjähriges Jubiläum im Clubhaus. Es könnte eine weitere Ära wie beim »Möhrenköpfle« werden: »Ich kann mir nichts anderes mehr vorstellen.«

Urgesteine des TSV Sickenhausen und des Sportheims (von links): Geschäftsführer Berthold Gutbrod, Vize-Präsident Volker Grauer u
Urgesteine des TSV Sickenhausen und des Sportheims (von links): Geschäftsführer Berthold Gutbrod, Vize-Präsident Volker Grauer und Präsident Markus Anlauf. Foto: Steffen Schanz
Urgesteine des TSV Sickenhausen und des Sportheims (von links): Geschäftsführer Berthold Gutbrod, Vize-Präsident Volker Grauer und Präsident Markus Anlauf.
Foto: Steffen Schanz

Nach dem Spiel sitzen die Spieler des TSV Sickenhausen zusammen mit denen des Gegners auf den Treppenstufen vor dem Sportheim und diskutieren mit Bier in der Hand die strittigen Szenen des Spiels - und drücken sich auch so manchen »dummen« Spruch. Drinnen zieht sich die Warteschlange vom Tresen fast bis zur Eingangstür. Spieler in ihren verschwitzen Trikots, Freunde, Verwandte der Kicker sowie alteingesessene Anhänger wollen sich ihr Siegerbier oder -spezi bestellen. Am Ausschank stehen jedoch keine Gastro-Profis - sondern Sickenhäuser Spieler. Seitdem das Sportheim kurz nach der Vereinsgründung im Jahr 1972 von Mitgliedern errichtet wurde, wird es auch von diesen bewirtet. »So können wir sehr moderate Getränkepreise bieten«, sagt Präsident Markus Anlauf. »Die Leute schätzen das sehr.«

»Das Sportheim ist das Zentrum unseres Vereins«

Zum Essen stehen auf der Karte nur Chips und Erdnüsse. Bis vor wenigen Jahren gab es noch »Gerichte ,die schnell gemacht waren«, wie Saitenwürste oder Kutteln, erinnern sich Anlauf, sein Stellvertreter Volker Grauer und Geschäftsführer Berthold Gutbrod - allesamt Urgesteine des Vereins. Damals hatte das Sportheim noch von Donnerstag bis Sonntag offen. Zum samstäglichen Bundesliga-Gucken platzte das kleine Nebenzimmer aus allen Nähten, sonntags sorgte der »Rentner-Stammtisch« beim Frühschoppen für ordentlich Betrieb. Mittlerweile hat das Sportheim nur noch sonntags rund um die Heimspiele regulär geöffnet. Dienstags und Donnerstag schließen die aktiven Fußballer die Tür für die interne »dritte Halbzeit« auf, mittwochs die »Alten Herren«.

»Die Bereitschaft zum Bewirten hat unter den nicht-aktiven Mitgliedern leider nachgelassen«, sagt Gutbrod. »Seit ein paar Jahren bewirten nur noch die aktiven Fußballer.« Grauer erinnert sich, dass »früher« die Zuschauer nach Heimspielen kurz nach Hause, abends zurück ins Sportheim gegangen und dann »verhockt« sind. »Jetzt sind spätestens um 20 Uhr alle Zuschauer weg«, sagt er. »Die Spieler bestellen sich aber oft was zu Essen und sind deutlich länger da.« Das Sportheim ist auch ein gewichtiger Grund, warum einige Fußballer ihre gesamte Karriere beim TSV verbringen oder überhaupt zum Verein gewechselt sind. Manch Kicker berichtet von »legendären« Feiern, die für den starken Zusammenhalt sorgen, für die der Club auch in der Region bekannt ist.

»Die Spieler wissen auch, dass es im Verein einfach dazugehört, auch mal das Sportheim zu bewirten«, sagt Anfang. Einen Pächter aus der Gastro-Branche für haben die Vereinsverantwortlichen nie gesucht - und wollen das auch in Zukunft nicht. »Wir wollen keine «normale» Wirtschaft werden, sondern unsere lockere Atmosphäre unbedingt beibehalten.« (GEA)