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Aktuell Kriminalität

Reutlinger Schützen fürchten um ihr Image

Kriminelle Sportschützen ramponieren zunehmend das Image der Sportart. Die Reutlinger Schützengilde legt Wert auf die Feststellung, dass der aktuell vor Gericht stehende »Reichsbürger« Markus L. nicht Mitglied im Reutlinger Verein war.

Wolfram Mewes (links) und Dr. Wolfgang Bleher sorgen sich um das Image der Schützenvereine.
Wolfram Mewes (links) und Dr. Wolfgang Bleher sorgen sich um das Image der Schützenvereine. Foto: Andrea Glitz
Wolfram Mewes (links) und Dr. Wolfgang Bleher sorgen sich um das Image der Schützenvereine.
Foto: Andrea Glitz

REUTLINGEN. Zum Abschied sagt der Vorsitzende der Reutlinger Schützengilde Wolfram Mewes etwas flapsig: »Wir bilden hier keine Terroristen aus.« Doch der Hintergrund ist ernst. Mit dem Reutlinger Reichsbürger Markus L., dem derzeit zusammen mit acht weiteren Angeklagten vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht der Prozess gemacht wird (der GEA berichtet), steht ein Mann im Visier, der in den Medien quer durch die Republik als Mitglied eines »Reutlinger Schützenvereins« bezeichnet wird. Er hat sich gegen die Festnahme mit zehn Schüssen aus einer halbautomatischen Langwaffe widersetzt, einer der beiden getroffenen Polizisten wurde schwer verletzt.

»Markus L. war nicht bei uns im Verein«, stellen Mewes und Vizevorstand Dr. Wolfgang Bleher gleich eingangs in ihrem Schützenhaus im Reutlinger Wasenwald klar. »Wir tun alles, um Extreme fernzuhalten, zusammen mit der Waffenbehörde und dem Landesschützenverband.« Der Vereinsvorsitzende hat sich selbst an die Zeitung gewandt, möchte offensiv mit dem Thema umgehen. Er gibt auch zu, dass nicht alle im Verein das proaktive Vorgehen gutheißen.

Das Image der Schützenvereine leidet, schon lange. Mit jedem Medienbericht, der vermittelt, dass ein Amokläufer, ein Irregeleiteter mit verqueren politischen Auffassungen, ein Psychopath auch Sportschütze ist oder war. »Die Leute denken unterdessen an was Böses, wenn sie Schießsport hören«, beklagt Mewes und räumt auf Nachfrage ein, dass er die verstehen könne: Kaum kursiere ein neuer Fall durch die Medien, der einen Sportschützen betrifft, werde der Schießsport »verteufelt«. Es folge »reflexhaft« die Forderung nach der Verschärfung des Waffengesetzes. Dabei hätten Nancy Faeser und ihr Innenministerium »keine Ahnung« von der Materie, unterstellen die beiden Schießsportler der Politik.

»Wenn jemand mit dem Auto in eine Menschenmenge fährt, ist ja auch nicht der Fahrlehrer schuld«

Die Ministerin möchte den Waffenbesitz dramatisch reduzieren, die Hürden für legale Waffen hochschieben. Das »Sch…-Waffengesetz verleidet den Schützen den Sport«, beklagt Mewes, der diesen ein halbes Jahrhundert schon betreibt und darin stete Gesetzesverschärfung erlebt hat.

Was das bringt? Nichts, glauben die beiden Schützen und verweisen auf England, das seit dem Massaker von Dunblane 1996 das schärfste Waffenrecht in ganz Europa hat. Die Zahl der Verbrechen mit Schusswaffen sei aber nicht geringer geworden, im Gegenteil. »Wer sich Waffen beschaffen will, kann dies auch in Deutschland leicht illegal tun«, sagt Mewes. Zwei Millionen angemeldete Waffen stünden hier 20 Millionen unangemeldeten gegenüber.

Warum sind kriminelle Schützen immer wieder auch Sportschützen? Ziehen die Sportvereine bestimmte Charaktere an, lernen die Betroffenen Dinge, die sie besser nicht können sollten? Die beiden Männer streiten dies ab. »Es gibt keine Korrelation. Das ist Zufall«, sagt Mewes. »Ich gehe nicht in den Verein zum Schießen- und Zielenlernen.« Das lerne man auch in einem Shooting Camp in den USA. »Vielleicht waren die Betroffenen schon vor der Radikalisierung in einem Verein«, mutmaßt Mewes.

Die Magnum ist eine tödliche Waffe mit hoher Durchschlagskraft. US-amerikanische Polizisten nutzen sie, aber auch Sportschützen.
Die Magnum ist eine tödliche Waffe mit hoher Durchschlagskraft. US-amerikanische Polizisten nutzen sie, aber auch Sportschützen. Foto: Wolfgang Kumm
Die Magnum ist eine tödliche Waffe mit hoher Durchschlagskraft. US-amerikanische Polizisten nutzen sie, aber auch Sportschützen.
Foto: Wolfgang Kumm

Dass Schützenvereine Waffennarren anziehen können, hält Bleher immerhin für möglich. Eine Verantwortung will man jedoch nicht haben: »Wenn jemand mit dem Auto in eine Menschenmenge fährt, ist ja auch nicht der Fahrlehrer schuld«, sagt Mewes.

Für Sportschützen ist alles streng geregelt. Wenn jemand Vereinsmitglied werden will, wird der Antrag zunächst im Ausschuss besprochen. Dann muss der Betroffene ein Jahr – im Schützenbuch dokumentiert – am Schießbetrieb teilnehmen, damit er überhaupt eine Waffenbesitzkarte bekommt, die ihm erlaubt, eine Waffe zu kaufen. Jede muss dann einzeln beantragt werden.

Der Vorsitzende muss den Antrag unterschreiben und ihn an den Schützenverband weiterleiten, der wiederum unter anderem das Schützenbuch sehen will. Mit dieser Bestätigung kann der Schütze dann beim Ordnungsamt seine Waffe(n) beantragen. Doch zuvor prüfe dieses die Eignung des Betroffenen, frage auch bei Kripo und Staatsschutz nach.

»Manchmal kommen welche, da sind wir froh, wenn die wieder gehen«, sagen die beiden Männer. Jüngst seien »drei Figuren« im Vereinsheim aufgeschienen, die mal eben schnell eine Besitzkarte haben wollten für »eine Waffe fürs Nachtschränkchen«, so Mewes Eindruck. Nachdem der Vereinsvorsitzende ihnen klar gemacht habe, dass man dazu zunächst einmal ein Jahr Verein absolvieren müsse, seien die drei nicht mehr aufgetaucht.

»Unsere Kontrollmöglichkeiten sind jedoch begrenzt«, sagt Mewes. Man könne auch niemandem in den Kopf gucken. Er kenne Leute, die Reichsbürger Markus L. als »ruhig, nett und zuvorkommend« beschreiben. Die beiden Vorstände sehen vor allem andere in der Pflicht. »Die Behörden müssen ihrer Kontrollpflicht nachkommen.« Oft seien sie es, die angeprangert gehörten, etwa weil sie Hinweise missachtet haben.

Strenge Vorschriften haben die Schützen auch für die Aufbewahrung der Waffen. Im Schützenhaus stehen die vereinseigenen Sportgeräte zum Verleih an Gastschützen oder Jugendliche im Tresor. Der Schlüssel zu diesem Tresor hängt in einem weiteren Panzerschrank. Auch Zuhause brauchen Schützen gesicherte Aufbewahrungsorte für ihre Sportgeräte.

Aber muss man zu diesem Sport eine Waffe nutzen, die auf hundert Meter zuverlässig einen Menschen töten kann? Muss man halbautomatische Waffen verwenden, die nicht nach jedem Schuss nachgeladen werden müssen? Auch bei den Reutlinger Schützen liegen Waffen im Schrank, die der Unbedarfte nicht in Verbindung mit Sport bringt: Die Magnum 357 beispielsweise hat auch die US-amerikanische Polizei im Einsatz.

»Unsere Kontrollmöglichkeiten sind begrenzt«

Um auf höhere Distanzen zu schießen, brauche es eben mehr »Wumms«, erklären die Männer. Und Wolfgang Bleher fragt sich: »Wo sollen wir die Grenze ziehen?« Immer mehr Einschränkung führt seiner Auffassung nach »zu einem gesellschaftlichen Gefängnis«. Und: »Wer etwas Böses vorhat, kann sich die Magnum ja ohnehin illegal besorgen.«

Sportschütze Markus L. hat nach Angaben der Reutlinger Stadtverwaltung 14 Waffen ordentlich angemeldet: sieben Büchsen, zwei Flinten, drei Pistolen und zwei Revolver. Hinzu kommen 15 Waffenteile, wie etwa Wechselläufe. Er hatte auch eine Sprengstofferlaubnis. Nicht ungewöhnlich: Auch Wolfram Mewes hat eine. Die benötigt er, um Gewehrmunition, leere Hülsen mit Nitro-, Schwarz- oder Böllerpulver nachzufüllen. »Das ist billiger.«

Besitz und Tragen von Waffen ist streng reglementiert

Das Reutlinger Ordnungsamt stellt als Untere Waffenbehörde vor Ort die Waffenbesitzkarten aus, die Sportschützen, Jäger, Erben und Sammler benötigen. Nicht geladene Waffen dürfen damit – getrennt von der Munition – in der Öffentlichkeit transportiert werden.

Das Amt stellt auch den kleinen Waffenschein aus. Ihn muss beantragen, wer eine freie Waffe, also beispielsweise eine Schreckschuss- oder Signalpistole, in der Öffentlichkeit bei sich tragen will. Das Amt erteilt außerdem den großen Waffenschein, der erlaubt, Feuerwaffen »gebrauchsfertig in der Öffentlichkeit zu führen«. In Reutlingen gibt es nach Angaben der Ordnungs-Behörde allerdings nur einen einzigen Inhaber dieser großen Variante. (igl)

Die beiden brechen eine Lanze für das Sportschießen, das ein Hochleistungssport sei. »Kein Hobby, sondern eine Passion«, so Mewes. Stolz ist man im Wasenwald auf die lange Tradition der »Schützengilde Reutlingen 1290«. »Wir sind der älteste Verein in Baden-Württemberg«, sagt Wolfram Mewes.

»Manchmal kommen welche, da sind wir froh, wenn die wieder gehen«

In den Anfängen der Gilde war das Schießen beileibe keine Freizeitbeschäftigung. Die Bürger der Freien Reichsstadt waren verpflichtet, es zu lernen, um im Ernstfall die Stadt zu verteidigen. Jahrhundertelang war das Schützengelände im Bereich des heutigen Volksparks. 1891 wurde ein Mann, der auf dem Weg nach Gönningen war, tödlich von einer Kugel aus dem Schützen-Areal getroffen. Der Verein wurde zugemacht. Die Reutlinger Schützen gingen nach Eningen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Diaspora mit dem Kauf des Schützenhauses im Wasenwald beendet.

Neben der Tradition sei die Förderung der Jugend eine wichtige Vereinssäule, was sich auszahlt. Die Alterspyramide stehe zwar auf dem Kopf. Anders als andere Schützenvereine habe man jedoch keine Nachwuchssorgen. 40 Mitglieder unter 21: Die Vorstände rühmen die »hervorragende Jugendarbeit« im Verein.

Seit Corona verzeichne man einen starken Zuwachs. 230 Mitglieder zählt der Verein insgesamt, darunter 58 weiblichen Geschlechts. Und das hat besonderes Talent fürs Zielen. »Frauen schießen besser als Männer«, verrät Vereinschef Mewes. (GEA)