REUTLINGEN. »Für mich«, sagt Marktbeschicker Martin Frech, »ist ein Held, wer sich ehrenamtlich und unentgeltlich für die Gesellschaft einsetzt. Rotkreuzler zum Beispiel, Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr, Vereinsvorstände und -trainier…« Gemeint sind alle Menschen, die sich uneigennützig für andere engagieren, anstatt mit ausgefahrenen Ellenbogen und »Hoppla-jetzt-komm-ich-Attitüde« durchs Leben zu rempeln. Gerade Vereine – der Reutlinger bezeichnet sie als »Kitt unserer Gesellschaft« – sind Tummelplätze vieler Alltagshelden: weil Ehrenamt in aller Regel mit reichlich (Amts-)Geschäft, aber wenig Ehre verbunden ist.
Eine Auffassung, der sich Tanja Roselow (55) anschließt. »Wahre Helden«, erklärt sie, »sind keine Egotripper. Sie stellen ihr Können, ihre Kraft und Zeit zumindest teilweise in den Dienst der Gemeinschaft.« Die Stuttgarterin denkt in diesem Zusammenhang an »Lernpaten, an alle in der Flüchtlingsarbeit engagierte Frauen und Männer und an die Ehrenamtlichen des Technischen Hilfswerks.« Da Roselows Sohn selbst Freiwilligendienst im THW leistet, ist er für die Mutter »ganz klar ein Held. Ich bin stolz auf ihn«.
Stolz auf ihre nächsten Angehörigen ist auch Einzelhändlerin Julia Gessert. Auf Alltagshelden angesprochen, kommen der 50-jährigen Reutlingerin sofort Mutter und Vater in den Sinn. »Mama kocht jeden Donnerstag für mich.« Und der Papa? Der will sich nicht mit der Vermüllung des Stadtgartens abfinden. Deshalb hat er sich bei den Technischen Betriebsdiensten (TBR) Sammel-Equipment besorgt und befreit die Grünanlage seither von den Hinterlassenschaften kleiner und großer Sauigel. Er macht das »einfach so« – ohne viele Worte darüber zu verlieren; gewissermaßen als Sisyphos im Jetzt und Hier.
Und was verbindet Noah Reißner (21) mit Heldentum? Vor allem eines: Selbstlosigkeit. Weshalb er einen guten Freund von sich als »Alltagsheld« definiert. Mit Anfang zwanzig hat dieser »eine kleine NGO gegründet, Eigenkapital und Zeit aufgewendet, um Frauen in Tansania zu helfen«. Auf den Namen Unapendwa (zu deutsch: »Du wirst geliebt«) hat der junge Mann seine Hilfsorganisation getauft, die Nähmaschinen zur Verfügung stellt und Näherinnen ausbildet – auf dass diese Frauen ein selbstbestimmtes Leben führen können. »Wer solche Hilfe zur Selbsthilfe leistet«, findet Reißner, »ist ein wirklicher Held«; ein »Superman der Realität«.
Solche realen »Supermen« sind in Reutlingen zuweilen neon-orange gekleidet. »Straßenkehrer« sind’s, denen Uwe Holwein den Ehrentitel Alltagsheld zuspricht. Aus dem Schaufenster seiner Weinhandlung oder im Vorbeilaufen beobachtet er, wie sie Gehsteige und eine kleine Grünanlage auf dem Steinenbergplatz vom Wohlstandsmüll befreien. »Fleißig und freundlich« erledigen sie ihren nicht eben vergnügungssteuerpflichtigen Job. »Das finde ich bemerkenswert. Diese Leute sorgen für städtische Lebensqualität. Ohne sie sähe es hier übel aus.«
Und übel sähe es außerdem aus, wenn es keine gelebte Solidarität gäbe. Sie ist für Nico Smoczoka (26) zwingend, wenn Menschen der Helden-Titel verliehen werden soll. Man müsse, sagt der Berliner sinngemäß, keine Mutter Teresa sein, um sich sozial nützlich zu machen. Die junge Frau, die einer alten Frau über die Straße hilft, der Nachbar, der für sein erkranktes Nebenan Einkäufe erledigt – »solche Leute sind für mich Helden«, weil sie die Welt zwar nicht im großen Ganzen, aber immerhin im Kleinen besser machen.
Was von Armin Schlotterbeck grundsätzlich mit Zustimmung quittiert wird. Wiewohl er mit sichtlichem Missbehagen an die zahllosen Helden erinnert, die während der Corona-Lockdowns in den Olymp gelobt wurden – um danach umso härter wieder auf dem Boden der Tatsachen aufzuschlagen. »Was haben wir geklatscht«, frotzelt der Hechinger: »Altenpfleger, Krankenschwestern, Kassiererinnen in den Supermärkten und so weiter. Wir waren von Helden umzingelt.« Dieser Heroismus hatte indes nur eine kurze Halbwertszeit. »Ihr Ruhm ist in Windeseile verpufft. Deshalb kann ich mit dem Begriff Helden letztlich nur bedingt etwas anfangen. Vor allem Superhelden sind mir suspekt. Die gibt’s bloß in der Comicwelt.«
Und Simone Kehrer? Die hält von maximal überhöhtem Heroismus ebenfalls wenig. Kleinere Alltagshelden gibt es ihrer Beobachtung nach indes etliche. »Jeder«, sagt die Reutlinger Einzelhändlerin, »der sich ohne Eigennutz für eine gute Sache starkmacht, ist für mich so ein wirklicher Held, also ein Vorbild«: Tierschützer zum Beispiel und Menschen, die sich ehrenamtlich in der Seniorenarbeit einbringen. »Immer, wenn sich Menschen Zeit für andere nehmen und unterstützend wirken, ist das ein bisschen heldenhaft.«
Ach ja, und dann ist da noch dieses Ehepaar, das da entspannt über die Wilhelmstraße bummelt und keinesfalls zu Unrecht behauptet: »In unserer Familie gibt es ausschließlich Helden. Drunter machen wir’s nämlich nicht.« Des Rätsels Lösung: Die beiden Flaneure Ramona und Klaus-Dieter heißen mit Nachnamen Held und begegnen der GEA-Straßenumfrage mit einem Augenzwinkern. (GEA)