REUTLINGEN. Die Reutlinger Kreiskliniken standen in den letzten Wochen immer wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Zuletzt als klar wurde, dass Professor Dr. Jörg Martin als Geschäftsführer der Regionalen Kliniken Holding und Services GmbH (RKH) schon im Spätsommer ausscheiden wird. Obwohl sein Vertrag noch bis 2025 läuft. Martin ist auch einer von zwei Geschäftsführern der Reutlinger Kliniken. Auch die Krankenhausreform von Gesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach (SPD) beschäftigt das Haus am Steinenberg. Landrat Dr. Ulrich Fiedler und die beiden Klinikgeschäftsführer, Dominik Nusser und Jörg Martin, geben einen Überblick über die tiefgreifenden Veränderungen, die bevorstehen werden.
Welche Behandlungen können in Zukunft in Reutlingen noch angeboten werden?
Längst nicht mehr alle. So viel ist klar. Hinter dem sehr theoretischen Namen »Medizinkonzept 2030« verbirgt sich eine klare Analyse der RKH über die mittelfristige Klinik-Zukunft. Die Geschäftsführer und ihre Mitarbeiter haben sich dazu verschiedene Bereiche angeschaut: Wie wird sich der Landkreis in puncto Altersstruktur bis 2030 entwickeln? Welche Beschwerden lassen die Einwohner des Kreises aktuell schon vermehrt in anderen Kliniken behandeln? Wie stellen sich die Kliniken in der nahen Nachbarschaft, also beispielsweise in Tübingen oder Sigmaringen auf? Und in welchen Bereichen kann man in Zukunft verstärkt ambulant behandeln?
Ein Ergebnis der Analyse: In der Münsinger Albklinik wird vermutlich alles bleiben, wie es ist. Das Angebot ist schon genug spezialisiert, »man kann da einen Haken daran machen, wir haben unseren Job dort getan«, bilanziert Klinik-Geschäftsführer Nusser. In Reutlingen werden dagegen Bereiche abgebaut oder ganz geschlossen werden müssen. Alles andere wäre nicht zukunftsgerichtet und nicht ökonomisch, betont Nusser. Heißt: »Wir konzentrieren uns auf das, was wir schon heute enorm gut können.« In anderen Bereichen müssen man die »Kooperation« mit anderen Kliniken suchen.
Zum Erhalt und Ausbau schlägt die RKH im »Medizinkonzept 2030« folgende Bereiche vor: Onkologie und Palliativmedizin, Kardiologie, Traumatologie, die Behandlung von Bauchaneurysmen, die Altersmedizin, sowie neurologische Behandlungen. Abbauen sollte man laut RKH folgende Bereiche in Reutlingen: Die Thoraxchirurgie, Lebereingriffe, Eingriffe an der Speiseröhre und der Bauchspeicheldrüse, sowie die Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde. Auf Gelenk-Operationen hat sich die Albklinik spezialisiert, auch das wird in Reutlingen mittelfristig kein Thema mehr sein. Bei all dem handelt es sich »um Einschätzungen unserer Seite«, so Nusser. Endgültig beschlossen ist noch nichts.
Wie geht es nun weiter?
Der Kreistag entscheidet in seiner Sitzung am 20. März über das »Medizinkonzept 2030«. Es ist davon auszugehen, dass die Kreisräte mehrheitlich zustimmen werden. Erste konkrete Ergebnisse der Krankenhausreform erwarten Landkreis und Geschäftsführung frühestens Ende 2024 - und davon hängt ab, wie es wirklich weitergehen kann. Man habe sich mit dem »Medizinkonzept 2030« einen zeitlichen Vorsprung verschafft, betonen Landrat Fiedler und Geschäftsführer Nusser. Denn wenn der Kreistag zustimmt, können die Klinik-Geschäftsführer jetzt schon mit Gesprächen mit anderen Kliniken und dem Sozialministerium beginnen. In diesen Gesprächen soll ausgelotet werden, in welchen Bereichen man in Zukunft mit anderen Häusern kooperieren kann.
Die Mitarbeiter am Standort Reutlingen wurden am Montag, die am Standort Münsingen am Dienstag über das »Medizinkonzept 2030« und den Stand der Planungen informiert.
Wie wirken sich die geplanten Änderungen auf die Klinik-Finanzen aus?
»Wenn wir das medizinische Leistungsspektrum ändern, stehen wir 2030 bei einem Defizit von 8,4 Millionen Euro«, so Klinik-Chef Nusser. Also immer noch ziemlich im Minus. Laut Nusser gibt's aber auch noch weitere Stellschrauben, an denen man drehen kann, um irgendwann eventuell die schwarzen Zahlen zu erreichen. Man könne beispielsweise verstärkt ambulant operieren. Aktuell liegen zudem viele - vermehrt alte - Menschen im Krankenhaus, die eigentlich keine Betreuung dort mehr brauchen. Doch es gibt schlichtweg keinen Heimplatz für sie. Durch ihre lange »Verweildauer« im Krankenhaus blockieren sie wichtige Betten für akute Notfälle wie Schlaganfälle oder Herzinfarkte. »Das ist ein Problem, das wir mit den Kollegen in den Pflegeheimen lösen müssen«, so Nusser.
Auch die Vermietung und Verpachtung der Ermstalklinik in Bad Urach wird Geld einbringen. Zudem sollen Prozesse optimiert und an die »zukünftige und neue Arbeitswelt« angepasst werden. Nusser nennt ein Beispiel: Aktuell gebe es Beschäftigte, die »Rechnungen von A nach B tragen. Das werden wir uns in Zukunft nicht mehr leisten können«. Das sei aber nicht mit Personalabbau verbunden, betont er. »Denn es gibt viele andere Bereiche, in denen wir auf die menschliche Arbeitskraft nicht verzichten können.« Die (demografische) Entwicklung des Arbeitsmarktes spreche eine deutliche Sprache: »Ob wir wollen oder nicht, wir werden in die Situation kommen, dass wir mit zehn Prozent weniger Arbeitskräften die gleiche Arbeit leisten müssen.«
Wird es einen Klinikneubau geben?
Ja. Auch wenn es noch niemand konkret ausspricht: Im Landratsamt scheint man den modernen Neubau in Sondelfingen auf dem Gelände Spießhardt/Stettert klar zu forcieren. So wird der Kreistag am 20. März auch über Folgendes abstimmen: Die Verwaltung schlägt dem Gremium vor, »die weiteren Planungen für einen Neubau des Klinikums Reutlingen auf Basis des Medizinkonzepts 2030 mit einem Bettenbedarf von 540 Betten voranzutreiben«. Ein aktualisierter Kostenrahmen für den »potenziellen Standort Reutlingen-Sondelfingen« soll zudem aufgestellt werden. Auch ein Stadtentwickler ist schon in die Planungen involviert. Das Millionenprojekt scheint unumgänglich. Denn eine jahrelange Sanierung und Modernisierung am Steinenberg im laufenden Betrieb kann Patienten nicht zugemutet werden, hieß es auch zuletzt immer wieder. Aktuell sieht der Bettenplan 620 Betten am Steinenberg vor, aufgrund von Personalmangel können aber nicht alle belegt werden.
Wer wird die Kliniken in die Zukunft führen?
Der Managementvertrag mit der RKH läuft am 30. April 2025 aus. Landrat Fiedler sagt klar, dass es seiner Meinung nach »klug« wäre, weiterhin ein externes Management zu beschäftigen. »Damit wir nicht nur die Kompetenz der Geschäftsführung haben, sondern im Hintergrund auch noch mehr Kompetenz.« Ob wieder ein Managementvertrag ausgeschrieben wird? Auch darüber entscheidet der Kreistag am 20. März. Es ist davon auszugehen, dass die Mehrheit im Gremium dafür stimmen wird. Dann kann sich die RKH wieder bewerben. Aber auch andere Konzerne.
Nur vereinzelt werden kritische Stimmen laut. So will Grünen-Kreisrat Rainer Buck per Antrag erreichen, dass zwei Geschäftsführer gefunden werden, die losgelöst von einer Holding handeln. Buck spricht von »doppelten Loyalitäten«, die so vermieden werden sollen. Also dass Geschäftsführer auf die wirtschaftlichen Interessen ihres Konzerns und gleichzeitig auf die Interessen des Landkreises schauen müssen. (GEA)